Wer die Niederlage nicht kennt, hat den Sieg nicht verdient
Finnlands Langlauflegende Juha Mieto ist der berühmteste Verlierer des Sports, ihm fehlte bei den Winterspielen 1980 in Lake Placid ein Hundertstel auf Olympiagold. Auch noch 37 Jahre später begleitet den Riesen diese Zeit, bei der Nordischen WM in Lahti
Finnen lieben Langlauf über alles. Ihre Skispringer sind Legenden, Rallye- und Traberfahrer genießen Heldenstatus, (nur die wirklich guten) Eishockeyspieler werden wie Gottheiten verehrt; Fußballer eher notgedrungen toleriert. Doch geht es um Loipen oder Siege gegen Sportler aus dem unbeliebten Nachbarland, vielleicht sogar um WMGold im so ehrfürchtig ausgesprochenen Lahti, dem für Finnen einzig wahren Quell der nordischen Sportkultur, dann vergisst das 5,5 Millionen Einwohner starke Land wirklich alles.
Dann hat die allseits so geliebte Melancholie Pause, es wird nicht mehr geschwiegen, also still geschaut. Dann werden wirklich alle klassischen Klischees widerlegt. Gewinnt ein Langläufer, können Finnen lachen, richtig herzhaft, sogar laut. Und dann wird gefeiert, gesungen, getrunken, in der WM-Container-Sauna geschwitzt. „Suomalaiset ovat paras“– Finnen sind die Besten. Seit es Pisa-Studien gibt und Nokia wieder einen zumindest kleinen Aufschwung erlebt, ist das in der Heimat der Mumins unbestritten.
Wer dieser Tage bei der siebenten Nordischen WM in Lahti, ca. 100 Kilometer nördlich von Helsinki entfernt, vorbeischaut, sieht und spürt, wie finnische Begeisterung sein kann. Wie Sportkultur euphorisch zelebriert wird, sich Menschenmassen zuerst friedlich durch die Straßen zwängen und anschließend, wie Sardinen aneinandergereiht entlang der Loipe aufgefädelt in Stellung bringen. Ob Norweger, Finne, Schwede, die Herkunft ist bei Minusgraden, im Waldstück, am Hang oder bei der Abfahrt vor dem Stadion gleich. Hauptsache, es gibt Grillwurst (Makara), Bier (Olut) und Glühwein (Glöggi). Allerdings, der Preis, ab sechs Euro aufwärts, ist doch eher finnisch.
Juha Mieto
wurde am 20. 11. 1949 in Kurikka geboren. Der Ex-Langläufer saß von 2007 bis 2011 als Abgeordneter der Zentrumspartei im Parlament. Bei der WM in Lahti ist er „Hausherr des VIPKlubs“.
1980
gewann er Olympiasilber über 15 Kilometer, bei den Winterspielen in Lake Placid war nur der Schwede Thomas Wassberg schneller – er gewann mit dem Minimalvorsprung von 0,01 Sekunden.
Größte Erfolge
Mieto gewann in Innsbruck 1976 Gold mit der Staffel und triumphierte 1976 und 1980 im Gesamtweltcup.
„Wir feiern 100 Jahre Unabhängigkeit, Lahti trägt die siebente WM aus – ich finde es wirklich toll, dass der Skiverband das geschafft hat.“Ein Riese thront beim Eingang des Skimuseums, das während der WM in den VIP-Klub verwandelt wurde. Dieser bärtige, 1,96 Meter große Mann könnte zwar getrost der Türsteher sein, doch für solche Auftritte kommt der sonst für jeden Spaß zu habende Juha Mieto nicht infrage. Das hat er auch nicht nötig, denn er ist Finnlands größte Skilegende. Eine Ikone, die allerdings ihren Ruhm und ihre Popularität der wohl größten Niederlage in der Sportgeschichte zu verdanken hat. Mieto verlor bei Olympia in Lake Placid 1980 Gold an – das schmerzte Finnland doppelt – den Schweden Thomas Wassberg. Nach 15 Kilometern trennten ihn 3,3 Zentimeter vom Sieg. Der Riese aus Kurikka war um ein Hundertstel langsamer. „Ach, vergiss das. Es ist so lange her.“ SMS? Nein danke! Mieto wollte lieber über die Gegenwart sprechen. „Es ist eine tolle WM, so viele Menschen kommen her. 200.000 sollen es sein – und natürlich, Finnland gewinnt sicher viele Medaillen.“Der „Ewige Zweite“ist Landwirt, war Parlamentarier der Zentrumspartei und dient bei der WM als Hausherr des VIP-Klubs. Der 67-Jährige sei nur noch Freelancer, sagt er und betont, diese Rolle auch zu genießen. Es sagt ihm ohnehin keiner, was er zu tun hätte, selbst in Österreich sind Legenden ja für gemeinhin beratungsresistent. Dass er aus seinen Eigenheiten keinen Hehl macht, etwa nur auf Holzskiern gelaufen zu sein, Bankomatkarten hasst, nie ein SMS geschrieben hat „oder es je tun würde“, Interviews lieber während des Holzhackens gibt und ein Faible für Essen in großen Mengen hat. All das plaudert er ganz munter so nebenbei aus.
Zwischendurch gibt es ein Foto hier, einen Handschlag da. Manchmal kann man seine Gedanken verstehen. Politiker und Schulterklopfer gibt es allerorts. „Wieso sprichst du Finnisch?“, fragt Mieto und schaut interessiert. Die Erklärung der Familienwurzeln und die routinierte Abholung des Komplimentes entlockt der Legende eine Episode. „Ich war schon oft in Österreich. Es war super. Einmal aß ich fünf Chateaubriands, auf einen Sitz . . .“In Österreich feierte er übrigens auch 1976 seinen größten Erfolg. Er gewann in Innsbruck Olympiagold mit der Staffel. Lahti ist wie Kitzbühel? Natürlich, er spricht auch über den Langlauf. Sein Sport habe sich verändert, aber er bemüht nicht gängige Floskeln Älterer, dass früher alles besser gewesen sei. Mieto sagt, „dass Langläufer heute sehr viel Geld verdienen“, das Business rundherum größer, besser geworden sei. Und damit die Ereignisse, wie diese WM. Früher wären die Fans nur gekommen, „weil sie Rennen sehen wollten. Jetzt kommen sie auch, weil sie singen und tanzen, Party machen wollen. Es ist eine neue Form von Kultur“.
Dass Doping diese Freude trübe, sagt auch der Finne. 2001 hatte ein Skandal das ganze Suomi-Team ausge- löscht, Mieto sei damals am Boden zerstört gewesen. „Das ist bereits 16 Jahre her, und dennoch haben es viele immer noch im Hinterkopf. Nur eines darf man bitte nicht vergessen: Das ist jetzt eine ganz andere WM, eine ganz andere Generation.“Das Leben müsse immer weitergehen, egal, ob man verliert oder gewinnt. Juha Mieto lacht, er sagt: „Man darf niemals den Humor verlieren!“Diesen Satz habe er sicher schon Tausende Male gesagt. Dass er bei der WM in Lahti 1978 nur Silber mit der Staffel gewann, passt in dieses Bild.
Um die Liebe der Finnen zu Lahti, der Salpausselkä-Schanze, den Loipen rundum, die auch durch das Stadion des lokalen Fußballklubs führen, zu erklären, bedarf es nicht vieler Worte. „Das ist doch wie euer Kitzbühel, ein Hotspot des Sports“, sagt Mieto trocken und zeigt mit seinen langen Armen über das Terrain, als würde ein Feldherr dem Besucher sein Land zeigen, dessen einzigartige Dimension vorführen. Ruhe, Kraft, Stimmung, Spaß, – all
Ein vollbärtiger finnischer Riese läuft durch den Wald. Still, allein, immer kraftvoll.