Die Presse am Sonntag

Die fünfte Jahreszeit im Rheinland

»Kölle ŻlŻŻf«: Der KŻrnevŻl in Köln mit seinen Büttenre©en un© PŻrŻ©en hŻt KultchŻrŻk­ter.

- THOMAS VIEREGGE

Mit Brimborium zelebriere­n die Jecken in Köln den Auftakt des Karnevals am 11. November, und selbst Zugereiste wie Peter Stöger können sich dem Rummel nicht entziehen. Der Wiener Trainer des 1. FC Köln präsentier­te sich im ersten Jahr rustikal in Lederhose. Wer nicht als Spielverde­rber gelten will, schunkelt und trällert mit – zu „Kölle alaaf“, dem Schlachtru­f des Frohsinns, oder zu „Viva Colonia“, der Hymne der Kultband Höhner über die Rheinmetro­pole, die sich nicht nur im Karneval als nördlichst­e Stadt Italiens begreift.

All das ist nur ein Vorgeschma­ck auf den Höhepunkt, die „fünfte Jahreszeit“im Rheinland zwischen Weiberfast­nacht am Donnerstag und dem jähen Ende des anarchisch­en Ausnahmezu­stands in der Nacht zum Aschermitt­woch. Das Kölsch fließt in Strömen, in den Kneipen fallen fast alle Schranken, wenn Frauen auf Krawattenj­agd gehen und sich ein „Bützchen“, ein Küsschen, auf die Wange drücken lassen. Im Vorjahr war es nach den Übergriffe­n zu Silvester allerdings gesitteter zugegangen, und nach dem Attentat auf den Weihnachts­markt in Berlin steht heuer ein Großaufgeb­ot der Polizei bereit.

Ein Rheinlände­r wäre kein Rheinlände­r, wenn er sich deshalb die Laune verdrießen lassen würde: „Et kütt, wie et kütt“und „Et hätt noch emmer joot jejange“bringen die Mentalität auf den Punkt. Exilrheinl­änder in Berlin oder Hamburg kribbelt es in Bauch und Beinen, und es zieht sie zurück in die Heimat, zu den Büttenrede­n und Paraden, den Karnevalss­itzungen samt Dreigestir­n und Funkenmari­echen und den Straßenumz­ügen mit einer Unmenge an Kamellen, die von den Wagen unters ausgelasse­ne Volk gestreut werden.

Am Rosenmonta­g, wenn die Parole „D’r Zoch kütt“(„Der Zug kommt“) durch die Straßen hallt, strömen eine Million Menschen in der Altstadt zusammen. Die Pappfigure­n persiflier­en – unvermeidl­ich – Donald Trump auf der Schulbank, Angela Merkel als auf dem Rücken liegender Käfer und halb nackte EU-Politiker unter dem Schock des Brexit-Votums. Das närrische Treiben wurzelt auch in der Lust, Dampf abzulassen und der Obrigkeit in Kirche und Staat einmal die Meinung zu sagen. In Köln treibt allein schon die Erwähnung des Erzrivalen Düsseldorf die Karnevalis­ten zu Gejohle. Dabei ist der Kölner Karneval eine ernste Sache und der Aufwand, der in Vorbereitu­ng und Planung der kollektive­n Heiterkeit geht, enorm.

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