Gestochen scharfe Vare
Isabella Urban verkauft das ganze Jahr über Einhörner und Totenköpfe – als Keksform. 900 Motive lagern nahe dem Prater. Sollte das passende nicht dabei sein, fertigt sie von Hand.
Vergangenen Herbst rief fast jeden Tag jemand bei Isabella Urban an: Ob sie Einhörner führe? Er brauche dringend das letzte Einhorn, das sie noch lagernd habe. Man muss an dieser Stelle klarstellen: Urban leitet weder eine Nervenheilanstalt noch einen DVDVerleih.
Die blonde Wienerin produziert und verkauft vielmehr seit 2005 Keksausstechformen. Schön versteckt nahe dem Ernst-Happel-Stadion in der Leopoldstadt, in einer Gegend, in der eher Assoziationen zu Fußball als zum Backen hochkommen, liegt ihr Geschäftslokal. 2016 stand dort die Kundschaft auf der Suche nach Einhörnern Schlange, 2015 wollte jeder zu Weihnachten Totenköpfe backen. Urban sah die Trends kommen und gehen – Ausstechformen entpuppten sich als getreuer Gradmesser für Hypes. Alles begann aber sehr klassisch mit einem Stephansdom. Urban ist zwar nicht die leidenschaftlichste Bäckerin, wie sie selbst zugibt. Aber als sie 2005 merkte, dass kein Geschäft im ganzen Land das Wiener Wahrzeichen zum Ausstechen führte, erkannte sie für sich eine Marktlücke. „Eine Lücke, bei der ich schauen konnte, ob es funktioniert, ohne ein Vermögen zu riskieren.“Als ein Jahr später alles im Zeichen von Mozart stand, hatte sie bereits eine Geschenkbox für Touristen und Wiener mit dem Stephansdom, dem Mozartkopf und dem Umriss von Österreich zusammengestellt.
900 Formen – aus allen Teilen der Welt zusammengekauft, in Oberösterreich bei ihrer Partnerdruckerei produziert und von ihr selbst handgebogen – lagern heute im zweiten Bezirk nahe dem Prater. Oft in zehnfacher Ausführung. Dass Urban auf dem größten Schatz an Ausstechformen in ganz Österreich sitzt, hat sie nie geplant. Die studierte Juristin leitet in ihrem Hauptberuf die Personalabteilung der Volksoper. Aber für Kunst hatte sie immer viel übrig. Urban studierte eine Zeit lang Theaterwissenschaften, eine Oper pro Woche im eigenen Haus ist Pflicht, daneben wird gemalt, illustriert und gezeichnet. Alte neue Meister. In ihrem kleinen Verkaufslokal hängen leicht verfremdete Reproduktionen von alten Meistern an den Wänden. Bei jedem findet sich eine Keksform im Bild. Heute erinnern nur diese Gemälde an den früheren Verwendungszweck der Räume. Wo heute an jeder freien Stelle Backformen hängen, stehen und liegen, eröffnete Urban 2005 eine Kunstgalerie.
Die Lage ist zwar nicht sehr zentral. Aber sie ist selbst in der Nachbarstraße aufgewachsen, ihrem Vater hat der Greißlerladen direkt nebenan gehört. Freunde, Bekannte und später Studenten von der Akademie stellten ihre Werke in kleinem Rahmen in seinem ehemaligen Lager aus. Aber Urban, die auch damals schon Vollzeit in der Volksoper arbeitete, erkannte rasch, dass sie weder genug Zeit für die Suche nach Sammlern noch für regelmäßige Öffnungszeiten oder Vernissagen hatte. Sie gestand sich ein, dass die professionelle Leitung der kleinen Galerie nebenberuflich nicht möglich war.
Schon damals gab es für die Ausstellungsbesucher als Geschenk den passenden Keks zum Bild. War darauf eine Wassermelone abgebildet, reichte Urban Cookies mit selbst eingemachter Melonenmarmelade. Viel Liebe zum Detail, nur rechnete sie sich nie. „Plötzlich haben die Keksformen die Kunst verdrängt“, erinnert sie sich an den schleichenden Übergang vom einen zum anderen zeitaufwendigen Hobby. Das Büro ist überall. Sechs Samstage vor Weihnachten hat Urban geöffnet. Den Rest des Jahres empfängt sie nur auf Anfrage oder nimmt Bestellungen über ihren Onlineshop entgegen. Schließlich ist die Nachfrage nach Keksausstechformen im März nicht so akut. Urbans Büro ist überall, morgens in der Straßenbahn, mittags in der Pause, abends vor dem Laptop in der Wohnung. Wenn Großkunden wie jüngst aus der Schweiz anklopfen, um 1800 Kühe und 1800 Schweizer Kreuze bei ihr zu bestellen, steht sie bereit.
Die Wien-Werbung versorgte sie bereits mehrmals mit Hunderten Österreich-Formen, Grazer Souvenirshops mit Uhrtürmen, ein steirisches Schlosshotel mit einer Keksform seines Umrisses. „Ich wollte etwas, was mich geistig von der Juristerei wegbringt. Im Endeffekt ist der kreative Part aber doch geringer ausgefallen, als ich dachte“, sagt sie halb lachend, halb ernst. Die Buchhaltung und die Wartung des Webshops füllen nicht wenige Abende und Wochenenden aus.
Ausstechformen entpuppten sich als getreuer Gradmesser für Modeströmungen. »Plötzlich haben die Keksformen die Kunst verdrängt.«
Der andere, kreative Teil der Arbeit ist gleichzeitig der körperlich anstrengende. Erst ab einer Bestellung von 500 Stück rechnet sich die maschinelle Produktion beim oberösterreichischen Partner, weil die Anfertigung der Grundform so teuer ist. So biegt Isabella Urban alle Sonderanfertigungen, die sie nirgends auf der Welt auftreiben kann und die nicht diese Zahl erreichen, selbst von Hand. Man kann sich vorstellen, dass die zierliche blonde Frau im Vorjahr nicht unglücklich darüber war, dass jemand anders bereits die Idee geboren hatte, Einhörner zu produzieren.