Wie man die Türkei provoziert
Die Provokationsspirale zwischen der EU und der Türkei dreht sich. Und Österreichs Spitzenpolitiker sind vorn dabei. Von einem Plan B für das Flüchtlingsproblem hören wir aber nichts.
Es ist eine besonders subtil elegante Variante des Auslandswahlkampfes, die Christian Kern, Sebastian Kurz und Hans Peter Doskozil in den vergangenen Tagen anwandten. Sie setzen auf die Macht der deutschen Axel-Springer-Medien und überbieten sich in Türkei-Interviews für ihre deutschen Leser und Wähler. Anfangs wurde der Verhandlungsstopp zu einem ohnehin illusorischen EU-Beitritt der Türkei gefordert. Zitat Sebastian Kurz in der „Welt“: „Diese Türkei hat keinen Platz in der EU.“Nun geht es darum, Wahlkampfauftritte türkischer Politiker zu verhindern. Die Regierung in Ankara möchte Minister in EULänder schicken, um für die von Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ angestrebte Verfassungsänderung zu werben. Mehrere solcher Veranstaltungen wurden in Deutschland abgesagt, was in der Türkei für Zorn sorgte. Da braucht Deutschland dringend Unterstützung und Rückendeckung aus Wien.
Bundeskanzler Kern rückte in der „Welt am Sonntag“aus und sprach sich für ein EU-weites Verbot von Wahlkampfauftritten türkischer Politiker aus. „Eine gemeinsame Vorgehensweise der EU wäre sinnvoll.“Und: „damit nicht einzelne Länder wie Deutschland, in denen Auftritte untersagt werden, unter Druck der Türkei geraten“. Dabei geriet Österreich selbst unter Druck: Kurz hatte „höflich unsere türkischen Gesprächspartner informiert“, dass Wahlkampfauftritte „unerwünscht“seien, „weil sie die Konflikte, die Polarisierung aus der Türkei nach Österreich tragen“würden. Ankara nannte Kurz postwendend islamophobisch. Innenminister Sobotka legte einen Gesetzesentwurf vor, mit dem derartige Auftritte verboten werden können.
Um nicht falsch verstanden zu werden: Die Auftritte der Erdogan-˘Gefährten, die gegen Demokratie und Menschenrechte vorgehen und hetzen, haben in der EU tatsächlich nichts verloren und sollten verhindert werden. Und: Wer den Bosporus-Napoleon Erdogan˘ verehrt und vergöttert, möge doch bitte einen Flug in sein schönes Land buchen. Wir garantieren einen ruhigen Flug und nicht notwendigerweise die Rückkehr.
Aber: Sich im Stakkato in Verbotsforderungen zu überbieten, passt nicht gerade zu einer kühl und strategisch vorgehenden Regierungstruppe. Die Niederlande haben mit ihrer Reaktion auf die Wahlkampf-Pläne von Außenminister Mevlüt C¸avus¸og˘lu in Rotterdam gezeigt, wie es im Notfall geht. Da Minister schon aus Sicherheitsgründen nicht einfach dienstlich durch die Welt reisen können, ihre Besuche immer von den lokalen Behörden genehmigen lassen müssen, kann man schlicht die Flug- bzw Landeerlaubnis entziehen und den Mann mit Hinweis auf die mögliche Gefährdung der öffentlichen und/ oder seiner Sicherheit nicht einreisen lassen.
Aber: Wie Doskozil der „Bild“kürzlich richtig sagte: Europa muss sich darauf vorbereiten, dass Erdogan˘ den Flüchtlingsdeal platzen lässt. Und sich wieder Tausende auf den Weg machen werden. Die Balkanroute ist keineswegs so geschlossen wie behauptet. Das heißt, ein Sommer wie 2015 könnte Mitteleuropa wieder bevorstehen. Ohne Willkommenskultur, aber mit dramatischen Szenen an den Grenzen. Und dann gibt es auch keine gute Presse mehr in Deutschland.