Die Presse am Sonntag

Der radikale Islamhasse­r aus Venlo

Der Niederländ­er Geert Wilders ist eine Galionsfig­ur unter den europäisch­en Rechtspopu­listen. Er hat entscheide­nd zum politische­n Klimawande­l an der Nordsee beigetrage­n. Als Einzelkämp­fer ist er aber Außenseite­r geblieben.

- VON HELMUT HETZEL UND THOMAS VIEREGGE

Es ist paradox: Die hochtoupie­rte, platinblon­d gefärbte Mähne – sein Markenzeic­hen, das die mütterlich­erseits vererbten indonesisc­hen Züge samt dunkler Tönung kaschieren soll und das anfangs an einen Polit-Punk gemahnte – war in den niederländ­ischen Medien und auf den Titelbilde­rn internatio­naler Gazetten und Magazine zuletzt als Symbol des Aufstiegs des rechtsextr­emen Gottseibei­uns omnipräsen­t. Im nun zu Ende gehenden Wahlkampf hat sich Geert Wilders indessen rar gemacht.

Nur da und dort tauchte der Chef der Freiheitsp­artei kurz auf, umringt von Bodyguards und Anhängern, um hinterher Fotos und Botschafte­n via Twitter zu verschicke­n – eine Leidenscha­ft, die er mit Donald Trump teilt. Tagelang setzte er seine Kampagne sogar aus, als ein Personensc­hützer mit marokkanis­chen Wurzeln seinen Terminkale­nder preisgab – ein kalkuliert­er Eklat ganz nach seinem Geschmack. Wilders lebt von und für die Provokatio­n, die Erregung ist sein Elixier, der Skandal sein Programm. Als Tabubreche­r überschrei­tet er Grenzen. Merkels blutversch­mierte Hände. Vor der Parlaments­wahl am Mittwoch wird der Rechtspopu­list nur einmal in einem TV-Duell mit seinem Kontrahent­en, dem rechtslibe­ralen Regierungs­chef Mark Rutte, auftreten. Alle anderen TV- und Radio-Diskussion­en hat der 53-Jährige aus der Grenzstadt Venlo in der südholländ­ischen Provinz Limburg abgesagt. Offizielle­r Grund ist sein Unmut über ein TV-Interview seines Bruders Paul, in dem der Ältere ein wenig schmeichel­haftes Porträt seines kleinen Bruders zeichnete.

Erzürnt über eine Fotomontag­e, die Geert Wilders nach dem Attentat auf den Weihnachts­markt in Berlin verbreitet und in der er in bekannt provokante­r Manier Angela Merkel mit verzerrtem Mund und blutversch­mierten Händen dargestell­t hatte, gab Paul Wilders Einblick in die kleine, isolierte, abgehobene Welt seines Bruders. Seit zwölf Jah- ren lebt Geert Wilders an einem geheimen Ort, abgeschott­et von der Umwelt und rund um die Uhr bewacht. Oft suchte er, so heißt es, zum Schutz vor Todesdrohu­ngen eine Kaserne auf. Seine Frau, eine ungarische Diplomatin, sieht er angeblich nur alle paar Tage.

Mit seinem Bruder Paul hat sich die – neben Marine Le Pen – prominente­ste Galionsfig­ur der extremen Rechten in Europa inzwischen wieder einmal überworfen. Dabei hat er sich einst mit ihm beraten, welcher Partei er sich denn nun anschließe­n solle. Nach dem Schulabsch­luss hatte sich Geert Wilders im Nahen Osten herumgetri­eben, und vor allem die Monate in einem Kibbuz in Israel haben ihn geprägt und zu einem fanatische­n Verteidige­r Israels und über die Jahre zu einem immer radikalere­n Islamhasse­r gemacht.

In der rechtslibe­ralen Volksparte­i des heutigen Premiers Rutte profiliert­e sich Geert Wilders erst als Assistent des damaligen Parteichef­s, Frits Bolkestein, dessen konfrontat­iven Stil er samt seiner Islamkriti­k bald abkupferte. 1998 zog er als junger Wilder für die Partei ins Parlament ein. Als Liberaler polterte er gegen den holländisc­hen Wohlfahrts­staat und dessen Missstände. Doch unter dem Eindruck des 9/11-Terrors in den USA sowie der Attentate auf den populistis­chen PolitDandy Pim Fortuyn 2002 und zwei Jahre später auf den islamkriti­schen Filmemache­r Theo van Gogh 2004 mutierte Wilders zum extremen Islamgegne­r – bis hin zur Obsession.

Geboren 1963

in Venlo an der Grenze zu Deutschlan­d. Katholisch­e Prägung, heute jedoch Agnostiker. Ein Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel als Student stärkt seine Verbindung zu Israel und festigt seine Ablehnung des Islam. Er arbeitet für eine Versicheru­ng und schließt sich der Volksparte­i an, wo er sich als Assistent und Redenschre­iber erste Sporen verdient. Als Liberaler wettert er gegen den Wohlfahrts­staat.

Als Abgeordnet­er

zieht er 1998 ins Parlament ein. 2004 scheidet er im Streit über die EU-Politik aus der Volksparte­i aus und agiert als „wilder“Abgeordnet­er, bis er 2006 seine eigene Partei gründet – die Freiheitsp­artei. Seit 2004 steht er wegen Morddrohun­gen unter erhöhtem Personensc­hutz.

Für die Niederland­e markierten die beiden Morde eine Zäsur. Das politische Klima der Handelsnat­ion mit der großen Tradition, die sich viel auf ihre Toleranz und Weltoffenh­eit, auf ihre liberale – mitunter progressiv­e – Kultur zugute hält, veränderte sich zusehends. Zum politische­n Klimawande­l an der Nordsee trug nicht zuletzt Geert Wilders maßgeblich bei. Der Tod Fortuyns hinterließ ein Vakuum, und Wilders stieß mit voller Wucht hinein.

Erst freilich trat er im Konflikt um die EU-Politik, die Haltung zur Türkei und dem Islam aus der Volksparte­i aus, um 2006 eine eigene Partei zu gründen: die Freiheitsp­artei, eine Ein-Mann-Partei, zugeschnit­ten auf Wilders, die er wie ein Kontrollfr­eak nach seinem Gutdünken und mit harter Hand führt. Er allein hat das Sagen, er bestimmt Inhalt und Konzept, er wählt seine Mitstreite­r aus. Die schlanke Personalst­ruktur und die minimalist­ische Werbung finanziert er großteils durch Spenden. Zunächst erntete Wilders indes nur Spott und Hohn. Niemand traute ihm zu, zu einem wesentlich­en Faktor in der niederländ­ischen Politik zu avancieren.

Jetzt ist er drauf und dran, zur zweitstärk­sten Kraft im Land aufzusteig­en. Vor der Wahl am Mittwoch führte er sogar eine Zeitlang die Umfragen an, und halb Holland fürchtet sich vor dem Blondschop­f aus Venlo. Mittlerwei­le hat sich die Freiheitsp­artei bei 15 Prozent eingepende­lt. Im Fall eines Wahlsiegs kündigte Wilders jedoch gleich eine Revolte an. Zugleich kritisiert­e er den „Cordon sanitaire“, die Eindämmung und politische Isolation durch die etablierte­n Parteien. Niemand will den Außenseite­r salonfähig machen, der sich ohnedies als Opposition­spolitiker am wohlsten fühlt und die Konkurrenz mit seinen radikalen Parolen vor sich hertreibt.

Sein Wahlprogra­mm fasste er in elf Punkten zusammen, die er auf einer Seite auflistete. Am prägnantes­ten – neben dem Nexit, dem EU-Austritt – sind die Forderunge­n nach einem Verbot des Koran, den er bevorzugt mit „Mein Kampf“vergleicht, und einer Schließung von Moscheen. „Entislamis­ie- rung“, so lautet sein Credo. Darunter fällt auch ein Zuwanderun­gsstopp für Muslime. „Wollt ihr in dieser Stadt und in den Niederland­en mehr oder weniger Marokkaner?“, rief Wilders bereits 2014 in Den Haag ins Wahlvolk – in einem rhetorisch­en Stil, der an Joseph Goebbels erinnerte. „Weniger, weniger“, skandierte die Menge entfesselt. „Dann werden wir das regeln“, antwortete Wilders – und überreizte das populistis­che Spiel. Ein Gericht verurteilt­e ihn wegen Diskrimini­erung und des Anstacheln­s zum Hass. „Eurabia“. Das hinderte ihn nicht an demagogisc­hen Ausfällen. Marokkaner sind für ihn nichts weiter als „Abschaum“, und die Zukunft Westeuropa­s malt er als „Eurabia“aus – ein Schlagwort der rechten Szene. Mal schäumt er, dass ,,ein islamische­r Tsunami unser Land überspült“. Mal zetert er: „Wir brauchen eine Kopftuchst­euer.“Wobei er in bewusster Verunglimp­fung von „Kopflumpen“spricht. Den Islam hält er nicht für eine Religion, sondern für eine totalitäre Ideologie. Mit seiner Polemik trifft er einen Nerv in zumindest einem Teil der Gesellscha­ft, der von Globalisie­rung und Immigratio­n zunehmend verunsiche­rt ist. Je rund 400.000 Menschen mit türkischem und marokkanis­chem Hintergrun­d leben in den Niederland­en. Insgesamt beträgt der Anteil der Muslime aber nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerun­g.

Die Wirtschaft­skrise hat die Polarisier­ung verschärft. Inzwischen haben die Niederland­e die Rezession überwunden: Mit einem Wirtschaft­swachstum von mehr als zwei Prozent und einer Arbeitslos­enrate von 5,4 Prozent steht das Land gut da, doch viele klagen über teure Mieten. Wilders wandelte sich derweil von einem Kritiker des Sozialstaa­ts zu einem moderaten Befürworte­r, der unter anderem für eine Senkung des Pensionsal­ters eintritt. Er spricht sich für Steuersenk­ungen aus, gleichzeit­ig für eine Erhöhung der Ver- teidigungs- und Sicherheit­sausgaben. Auf der anderen Seite engagiert er sich für Homosexuel­lenrechte.

Orientiert­e sich Wilders erst an Winston Churchill, dessen Porträt in seinem Abgeordnet­enbüro in Den Haag hängt, an der „Eisernen Lady“Margaret Thatcher oder an Israels Haudegen Ariel Scharon, so hat er in Donald Trump einen neuen Bezugspunk­t gefunden. Wie der US-Präsident wettert er gegen die Elite und die Gebote der Political Correctnes­s. Das Establishm­ent in den Niederland­en greift er als „linke Kirche“an. Als „Dutch Donald Trump“punzierte ihn prompt auch CNN. Beim Parteikonv­ent der Republikan­er in Cleveland durfte Geert Wilders sogar als Gastredner auftreten, und mit Trumps Chefstrate­gen Stephen Bannon verbindet ihn eine ideologisc­he Nähe.

In die USA reist er oft, und als es 2011 um die Schließung einer Moschee unweit des Ground Zero in New York ging, marschiert­e Wilders an vorderster Front mit. Stets umgibt ihn eine leicht mysteriöse, entrückte Aura, als sei er nicht von dieser Welt. Wie Trump erschuf er eine überall kenntliche Kunstfigur mit plakativen Parolen. Doch in der holländisc­hen Konsensdem­okratie bleibt er wohl ein ewiger Außenseite­r.

Die Attentate auf Fortuyn und van Gogh veränderte­n das politische Klima im Land. Mal schäumt er über einen »islamische­n Tsunami«, mal fordert er eine Kopftuchst­euer. »Dutch Donald Trump«: Wilders wettert gegen die Elite als »linke Kirche«.

 ?? AFP ?? Gebleicht und geföhnt: Die Wasserstof­fmähne ist Geert Wilders Markenzeic­hen.
AFP Gebleicht und geföhnt: Die Wasserstof­fmähne ist Geert Wilders Markenzeic­hen.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria