Der radikale Islamhasser aus Venlo
Der Niederländer Geert Wilders ist eine Galionsfigur unter den europäischen Rechtspopulisten. Er hat entscheidend zum politischen Klimawandel an der Nordsee beigetragen. Als Einzelkämpfer ist er aber Außenseiter geblieben.
Es ist paradox: Die hochtoupierte, platinblond gefärbte Mähne – sein Markenzeichen, das die mütterlicherseits vererbten indonesischen Züge samt dunkler Tönung kaschieren soll und das anfangs an einen Polit-Punk gemahnte – war in den niederländischen Medien und auf den Titelbildern internationaler Gazetten und Magazine zuletzt als Symbol des Aufstiegs des rechtsextremen Gottseibeiuns omnipräsent. Im nun zu Ende gehenden Wahlkampf hat sich Geert Wilders indessen rar gemacht.
Nur da und dort tauchte der Chef der Freiheitspartei kurz auf, umringt von Bodyguards und Anhängern, um hinterher Fotos und Botschaften via Twitter zu verschicken – eine Leidenschaft, die er mit Donald Trump teilt. Tagelang setzte er seine Kampagne sogar aus, als ein Personenschützer mit marokkanischen Wurzeln seinen Terminkalender preisgab – ein kalkulierter Eklat ganz nach seinem Geschmack. Wilders lebt von und für die Provokation, die Erregung ist sein Elixier, der Skandal sein Programm. Als Tabubrecher überschreitet er Grenzen. Merkels blutverschmierte Hände. Vor der Parlamentswahl am Mittwoch wird der Rechtspopulist nur einmal in einem TV-Duell mit seinem Kontrahenten, dem rechtsliberalen Regierungschef Mark Rutte, auftreten. Alle anderen TV- und Radio-Diskussionen hat der 53-Jährige aus der Grenzstadt Venlo in der südholländischen Provinz Limburg abgesagt. Offizieller Grund ist sein Unmut über ein TV-Interview seines Bruders Paul, in dem der Ältere ein wenig schmeichelhaftes Porträt seines kleinen Bruders zeichnete.
Erzürnt über eine Fotomontage, die Geert Wilders nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt in Berlin verbreitet und in der er in bekannt provokanter Manier Angela Merkel mit verzerrtem Mund und blutverschmierten Händen dargestellt hatte, gab Paul Wilders Einblick in die kleine, isolierte, abgehobene Welt seines Bruders. Seit zwölf Jah- ren lebt Geert Wilders an einem geheimen Ort, abgeschottet von der Umwelt und rund um die Uhr bewacht. Oft suchte er, so heißt es, zum Schutz vor Todesdrohungen eine Kaserne auf. Seine Frau, eine ungarische Diplomatin, sieht er angeblich nur alle paar Tage.
Mit seinem Bruder Paul hat sich die – neben Marine Le Pen – prominenteste Galionsfigur der extremen Rechten in Europa inzwischen wieder einmal überworfen. Dabei hat er sich einst mit ihm beraten, welcher Partei er sich denn nun anschließen solle. Nach dem Schulabschluss hatte sich Geert Wilders im Nahen Osten herumgetrieben, und vor allem die Monate in einem Kibbuz in Israel haben ihn geprägt und zu einem fanatischen Verteidiger Israels und über die Jahre zu einem immer radikaleren Islamhasser gemacht.
In der rechtsliberalen Volkspartei des heutigen Premiers Rutte profilierte sich Geert Wilders erst als Assistent des damaligen Parteichefs, Frits Bolkestein, dessen konfrontativen Stil er samt seiner Islamkritik bald abkupferte. 1998 zog er als junger Wilder für die Partei ins Parlament ein. Als Liberaler polterte er gegen den holländischen Wohlfahrtsstaat und dessen Missstände. Doch unter dem Eindruck des 9/11-Terrors in den USA sowie der Attentate auf den populistischen PolitDandy Pim Fortuyn 2002 und zwei Jahre später auf den islamkritischen Filmemacher Theo van Gogh 2004 mutierte Wilders zum extremen Islamgegner – bis hin zur Obsession.
Geboren 1963
in Venlo an der Grenze zu Deutschland. Katholische Prägung, heute jedoch Agnostiker. Ein Aufenthalt in einem Kibbuz in Israel als Student stärkt seine Verbindung zu Israel und festigt seine Ablehnung des Islam. Er arbeitet für eine Versicherung und schließt sich der Volkspartei an, wo er sich als Assistent und Redenschreiber erste Sporen verdient. Als Liberaler wettert er gegen den Wohlfahrtsstaat.
Als Abgeordneter
zieht er 1998 ins Parlament ein. 2004 scheidet er im Streit über die EU-Politik aus der Volkspartei aus und agiert als „wilder“Abgeordneter, bis er 2006 seine eigene Partei gründet – die Freiheitspartei. Seit 2004 steht er wegen Morddrohungen unter erhöhtem Personenschutz.
Für die Niederlande markierten die beiden Morde eine Zäsur. Das politische Klima der Handelsnation mit der großen Tradition, die sich viel auf ihre Toleranz und Weltoffenheit, auf ihre liberale – mitunter progressive – Kultur zugute hält, veränderte sich zusehends. Zum politischen Klimawandel an der Nordsee trug nicht zuletzt Geert Wilders maßgeblich bei. Der Tod Fortuyns hinterließ ein Vakuum, und Wilders stieß mit voller Wucht hinein.
Erst freilich trat er im Konflikt um die EU-Politik, die Haltung zur Türkei und dem Islam aus der Volkspartei aus, um 2006 eine eigene Partei zu gründen: die Freiheitspartei, eine Ein-Mann-Partei, zugeschnitten auf Wilders, die er wie ein Kontrollfreak nach seinem Gutdünken und mit harter Hand führt. Er allein hat das Sagen, er bestimmt Inhalt und Konzept, er wählt seine Mitstreiter aus. Die schlanke Personalstruktur und die minimalistische Werbung finanziert er großteils durch Spenden. Zunächst erntete Wilders indes nur Spott und Hohn. Niemand traute ihm zu, zu einem wesentlichen Faktor in der niederländischen Politik zu avancieren.
Jetzt ist er drauf und dran, zur zweitstärksten Kraft im Land aufzusteigen. Vor der Wahl am Mittwoch führte er sogar eine Zeitlang die Umfragen an, und halb Holland fürchtet sich vor dem Blondschopf aus Venlo. Mittlerweile hat sich die Freiheitspartei bei 15 Prozent eingependelt. Im Fall eines Wahlsiegs kündigte Wilders jedoch gleich eine Revolte an. Zugleich kritisierte er den „Cordon sanitaire“, die Eindämmung und politische Isolation durch die etablierten Parteien. Niemand will den Außenseiter salonfähig machen, der sich ohnedies als Oppositionspolitiker am wohlsten fühlt und die Konkurrenz mit seinen radikalen Parolen vor sich hertreibt.
Sein Wahlprogramm fasste er in elf Punkten zusammen, die er auf einer Seite auflistete. Am prägnantesten – neben dem Nexit, dem EU-Austritt – sind die Forderungen nach einem Verbot des Koran, den er bevorzugt mit „Mein Kampf“vergleicht, und einer Schließung von Moscheen. „Entislamisie- rung“, so lautet sein Credo. Darunter fällt auch ein Zuwanderungsstopp für Muslime. „Wollt ihr in dieser Stadt und in den Niederlanden mehr oder weniger Marokkaner?“, rief Wilders bereits 2014 in Den Haag ins Wahlvolk – in einem rhetorischen Stil, der an Joseph Goebbels erinnerte. „Weniger, weniger“, skandierte die Menge entfesselt. „Dann werden wir das regeln“, antwortete Wilders – und überreizte das populistische Spiel. Ein Gericht verurteilte ihn wegen Diskriminierung und des Anstachelns zum Hass. „Eurabia“. Das hinderte ihn nicht an demagogischen Ausfällen. Marokkaner sind für ihn nichts weiter als „Abschaum“, und die Zukunft Westeuropas malt er als „Eurabia“aus – ein Schlagwort der rechten Szene. Mal schäumt er, dass ,,ein islamischer Tsunami unser Land überspült“. Mal zetert er: „Wir brauchen eine Kopftuchsteuer.“Wobei er in bewusster Verunglimpfung von „Kopflumpen“spricht. Den Islam hält er nicht für eine Religion, sondern für eine totalitäre Ideologie. Mit seiner Polemik trifft er einen Nerv in zumindest einem Teil der Gesellschaft, der von Globalisierung und Immigration zunehmend verunsichert ist. Je rund 400.000 Menschen mit türkischem und marokkanischem Hintergrund leben in den Niederlanden. Insgesamt beträgt der Anteil der Muslime aber nicht mehr als zehn Prozent der Bevölkerung.
Die Wirtschaftskrise hat die Polarisierung verschärft. Inzwischen haben die Niederlande die Rezession überwunden: Mit einem Wirtschaftswachstum von mehr als zwei Prozent und einer Arbeitslosenrate von 5,4 Prozent steht das Land gut da, doch viele klagen über teure Mieten. Wilders wandelte sich derweil von einem Kritiker des Sozialstaats zu einem moderaten Befürworter, der unter anderem für eine Senkung des Pensionsalters eintritt. Er spricht sich für Steuersenkungen aus, gleichzeitig für eine Erhöhung der Ver- teidigungs- und Sicherheitsausgaben. Auf der anderen Seite engagiert er sich für Homosexuellenrechte.
Orientierte sich Wilders erst an Winston Churchill, dessen Porträt in seinem Abgeordnetenbüro in Den Haag hängt, an der „Eisernen Lady“Margaret Thatcher oder an Israels Haudegen Ariel Scharon, so hat er in Donald Trump einen neuen Bezugspunkt gefunden. Wie der US-Präsident wettert er gegen die Elite und die Gebote der Political Correctness. Das Establishment in den Niederlanden greift er als „linke Kirche“an. Als „Dutch Donald Trump“punzierte ihn prompt auch CNN. Beim Parteikonvent der Republikaner in Cleveland durfte Geert Wilders sogar als Gastredner auftreten, und mit Trumps Chefstrategen Stephen Bannon verbindet ihn eine ideologische Nähe.
In die USA reist er oft, und als es 2011 um die Schließung einer Moschee unweit des Ground Zero in New York ging, marschierte Wilders an vorderster Front mit. Stets umgibt ihn eine leicht mysteriöse, entrückte Aura, als sei er nicht von dieser Welt. Wie Trump erschuf er eine überall kenntliche Kunstfigur mit plakativen Parolen. Doch in der holländischen Konsensdemokratie bleibt er wohl ein ewiger Außenseiter.
Die Attentate auf Fortuyn und van Gogh veränderten das politische Klima im Land. Mal schäumt er über einen »islamischen Tsunami«, mal fordert er eine Kopftuchsteuer. »Dutch Donald Trump«: Wilders wettert gegen die Elite als »linke Kirche«.