»Dann kaufen Erdogan-˘Anhänger nicht mehr bei mir ein«
Wie Deutschtürken die »Spannungen« vor dem Referendum erleben. Ein Besuch in Berlin-Kreuzberg.
Die Gegend um das Kottbusser Tor in Berlin ist ein seltsamer Ort. Mütter schieben hier Kinderwägen vorbei an Junkies. In den angesagten Lokalen rundherum kippen junge Deutsche ihr Bier, während draußen Drogendealer nach Kunden suchen. Und mittendrin Touristen. Aber in diesen Tagen geht es nicht darum, ob der „Kotti“, wie die Berliner den Platz liebevoll nennen, nun total hip ist oder doch nur ein sehr raues Pflaster. Es geht um die ausgeprägte türkische Gemeinschaft in dem Viertel und um die Frage, ob sie die Spannungen spürt in den Beziehungen zwischen Berlin und Ankara – in dem Gezerre um türkische Wahlkampfauftritte in der Bundesrepublik. Und es geht darum, wie sie es halten mit dem Referendum über die Verfassungsänderung am 16. April. Schließlich sind 2,9 Millionen Auslandstürken wahlberechtigt, die Hälfte davon in Deutschland.
„Kreuzberg Merkezi“steht über der Unterführung, die zum Kottbusser Tor führt, türkisch für Kreuzberg Mitte. An diesem Nachmittag hat sich ein BBCJournalist auf dem Platz postiert. Er sagt sinngemäß und zugespitzt in die Kamera, dass hier im Bezirk Kreuzberg das türkische Verfassungsreferendum entschieden werden könnte.
Hinter dem Reporter liegt der Istanbul Supermarkt. Ein junger Mitarbeiter steht draußen. Präsident Recep Tayyip Erdogan˘ sei ein „guter Mann, guter Mensch“, sagt er. „Ich stimme mit Ja ab.“Der Rest sei dann aber bitte mit dem Chef abzuklären, der drinnen im Supermarkt mit dem Filetiermesser ein Stück rohes Fleisch zerlegt. Politik, behauptet der Chef, sei ihm „egal“. Das hört man oft. Aber dann grübelt er kurz. Also eigentlich wäre ein möglicher Wahlkampfauftritt von Erdogan˘ in Deutschland Unsinn. „Da braucht es dann ein riesiges Polizeiaufgebot. Und wer zahlt das? Ich mit meinem Steuergeld.“Beim Referendum stimmt der Chef mit Nein. Schlecht für das Geschäft. Nicht alle wollen so offen reden. Nach den Stichworten „Erdogan“˘ und „Journalist“wird das Gespräch beendet, manchmal mit einem „Nein danke“in gebrochenem Deutsch, dann wieder in breitestem Berlinerisch: „Ick hab ken Interesse.“In einigen Fällen wird auch deshalb geschwiegen, weil jede Antwort schlecht für das Geschäft sein kann. Das legt ein Gespräch mit einem Obstund Gemüsehändler am Kottbusser Tor nahe: Der 58-Jährige trägt einen weißgrauen Bart, ist etwas korpulent. Typ: gemütlicher Großvater. Was Erdogan˘ macht, findet er „beschissen“. Er wird mit Nein abstimmen. Und natürlich gebe es Spannungen hier unter den Deutschtürken, den Anhängern und Gegnern des Präsidenten. „Da drüben im Lokal schreien sie sich an, manchmal gibt es Gewalt.“So deutlich sagt das sonst niemand. Er selbst meide das Thema Politik, sagt der Händler. Denn die Erdogan-˘Anhänger würden dann nicht mehr zu ihm kommen: „Sie kaufen dann nicht mehr bei mir ein.“Ein Kunde nähert sich. Der 58-Jährige will nicht, dass man ihn hört. Das Gespräch ist zu Ende.
In den Aussagen des Gemüsehändlers spiegelt sich die größte Angst der deutschen Behörden. Hans-Georg Maaßen, oberster Verfassungsschützer, warnte vor einem Stellvertreterkonflikt auf deutschem Boden. Es gebe unter Gegnern und Anhängern Erdogans˘ ein „hohes Gefährdungspotenzial“. „Quatsch“. Spaziergang auf der Badstraße im Ortsteil Gesundbrunnen, wo 61,7 Prozent der Bewohner Migrationshintergrund haben. Die Dichte an Kebab-Läden ist hier gefühlt noch einmal höher. Einer davon gehört Ali Günhan, 54, ein stolzer Linker aus der Westtürkei. Günhan stößt sich an Erdogan˘ und empört sich über Landsleute, die dem Präsidenten zujubeln: „Wenn in der Türkei alles besser ist, wieso sind die dann in Berlin?“
Ein paar Meter weiter in einem türkischen Handyshop stellt sich die Welt ganz anders dar. Der 50-jährige Kunde mit dem kleinen Sohn an der Hand schimpft über die Absage türkischer Wahlkampfauftritte. Die Nazi-Vergleiche Erdogans˘ redet er klein: „Das ist ein Spiel.“Der Kfz-Mechaniker wird für die neue Verfassung stimmen, dass diese die Demokratie aushöhlt, sei „Quatsch“: Jeder könne sich doch ein Bild über Erdogans˘ Pläne machen, „mehr erfahren“, sagt er. Es stehe doch fast alles „im Internet“.
Die Verfassungsfrage spaltet die Deutschtürken. Manchmal gibt es auch Gewalt.