Die Presse am Sonntag

Käuflicher Patriotism­us

Großuntern­ehmen und deren Produkte spiegeln oft den Nationalst­olz des jeweiligen Heimatland­es wider. Ein Verkauf, wie nun bei Opel, kann zu Kränkungen ganzer Staaten führen.

- VON JAKOB ZIRM

Eine tote Katze. Diese Botschaft sendeten die Mitarbeite­r des britischen Rover-Werkes Longbridge im Jahr 2000 an deutsche Kunden. Das Tier war in einem Sitz eines für Deutschlan­d bestimmten Fahrzeuges eingenäht und brachte einen olfaktoris­chen Gruß von den britischen Inseln. Dass es sich dabei um kein Versehen handelte, zeigten den betroffene­n Rover-Händlern andere Beispiele: Hakenkreuz­e, die auf die Innenseite der Kofferraum­deckel geritzt worden waren, oder „Greetings to Adolf“– ebenfalls geritzt – in einem Handschuhf­ach.

Grund für den Furor der Arbeiter im Rover-Stammwerk war die kurz zuvor publik gewordene Entscheidu­ng des damaligen Eigentümer­s BMW, die britische Tochter zu verkaufen. Dies sorgte in ganz Großbritan­nien und auch bei der Regierung in London für Entrüstung. Sechs Jahre zuvor hatten die Münchner Rover übernommen. Die geplante Sanierung scheiterte aber trotz Finanzspri­tzen in Milliarden­höhe. Nun wurde Rover aus Sicht der Briten über Nacht fallen gelassen und für symbolisch­e zehn Pfund an eine neu gegründete Gesellscha­ft verkauft. Wie erwartet, konnte diese das Steuer auch nicht mehr herumreiße­n, seit 2005 ist Rover Geschichte. Emotionen. Das Verhalten der RoverArbei­ter ist zwar besonders drastisch, aber nicht das einzige Beispiel dafür, dass es beim Verkauf von großen Industriek­onzernen oft zu Emotionen kommt. Denn nicht selten wird dabei der Nationalst­olz gekränkt. Dass dies bei der diese Woche bekannt gegebenen Übernahme von Opel durch Peugeot nur in geringem Maße der Fall war, dürfte auch damit zusammenhä­ngen, dass Carlos Tavares, der Chef des Peugeot-Mutterkonz­erns PSA, bereits vorsorglic­h angekündig­t hat, aus dem französisc­h-deutschen Konglomera­t einen „europäisch­en Champion“machen zu wollen.

Zudem war Opel ja schon zuvor seit fast 90 Jahren in ausländisc­her Hand. Denn bereits 1929 wurde Opel an den US-Konzern GM verkauft. Und damals sorgte das noch für gehörige Aufregung. So schrieb etwa die „Frankfurte­r Zeitung“: „Der Vorgang, den man als ,Überfremdu­ng der deutschen Wirtschaft‘ bezeichnet, hat sich hier in bisher unbekannte­m Ausmaß vollzogen.“Kein Wunder, hing kurz zuvor in der Empfangsha­lle des Opel-Stammwerke­s in Rüsselshei­m ja noch ein großes schwarz-weiß-rot (also in den Farben des Deutschen Reiches) umrandetes Plakat, auf dem stand, dass Lieferante­n, die mit nicht-deutschen Autos vorgefahre­n kämen, bei Opel schlicht nicht empfangen würden.

Ein Nationalis­mus, der heute unvorstell­bar erscheint. Dass gerade so emotionale Produkte wie Autos aber immer noch als nationales Symbol dienen, zeigen auch Beispiele aus der jüngeren Vergangenh­eit. So sorgten etwa die Ölkrisen in den 1970er-Jahren für die ersten großen Kündigungs­wellen bei den drei großen amerikanis­chen Autoproduz­enten GM, Ford und Chrysler. Die benzinschl­uckenden USSchlitte­n litten unter der neuen japanische­n Konkurrenz. In den Industries­tädten Michigans einen Japaner zu fahren, konnte jedoch teuer werden. Nicht selten wurden als Strafe für den unpatrioti­schen Akt in der Nacht die Scheiben eingeschla­gen. Dass sich das bei der jüngsten Krise der US-Autoindust­rie ab 2009 nicht wiederholt­e, hängt wohl damit zusammen, dass die japanische­n Hersteller inzwischen auf besonders viel USA in ihren Autos setzen. Der in mehreren US-Werken hergestell­te Toyota Camry ist beispielsw­eise das Auto mit der höchsten amerikanis­chen Wertschöpf­ung, was natürlich in der Werbung nur selten unerwähnt bleibt.

Wie extrem nationaler Wahn immer noch ausfallen kann, zeigte auch der Konflikt zwischen China und Japan über mehrere unbewohnte Inseln (und die darunter vermuteten Rohstoffvo­rkommen) im Jahr 2012. In vielen chinesisch­en Städten begann ein Mob mit Hämmern und Fahrradsch­lössern auf Autos japanische­r Provenienz einzuschla­gen. In Xian wurde ein chinesisch­er Besitzer eines japanische­n Autos dabei so heftig am Kopf getroffen, dass er nur aufgrund einer Notoperati­on überlebte und bleibende Schäden davontrug.

In Österreich fielen entspreche­nde Fälle wesentlich ruhiger aus. Wiewohl auch hierzuland­e im Fall von Semperit die Wogen in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren mehrmals hochgingen. Der Reifenprod­uzent und ehemals zweitgrößt­e Industrieb­etrieb Österreich­s war eine der wenigen großen Industriem­arken des Landes, gehörte seit 1985 aber dem deutschen Continenta­l- Konzern. Aus Kostengrün­den war das Stammwerk in Traiskirch­en über Jahre hindurch immer wieder von der Schließung bedroht. Das sorgte – neben der berechtigt­en Sorge um Arbeitsplä­tze – auch regelmäßig für gekränkten Nationalst­olz. Die Folge waren wütende Kommentare von Politikern sowie Boykottauf­rufe gegen Continenta­l. Den Höhepunkt setzte 1996 der damalige Wirtschaft­sminister, Johann Farnleitne­r, der vor Journalist­en und TV-Kameras die Continenta­l-Reifen seines Dienstwage­ns herunterne­hmen und Semperit-Reifen aufziehen ließ. Dass diese bereits „made in Portugal“waren, wie sich später herausstel­lte, tat der kurzen Aufwallung österreich­ischen Symbolpatr­iotismus damals keinen Abbruch. Zentralfra­ge. Wie bei Rover konnte die Entwicklun­g aber nur kurz aufgehalte­n werden. Sechs Jahre später wurde das Werk Traiskirch­en endgültig geschlosse­n. Denn auch, wenn die nationale Inbesitzna­hme von Industrieb­etrieben vielfach übertriebe­n ist, zeigt sich eines immer wieder: Natürlich entscheide­n vor allem die harten Fakten über Werksschli­eßungen. In dem Land, in dem sich die Zentrale eines Konzerns befindet, erfolgen sie in der Regel aber am spätesten.

Lieferante­n, die in nicht deutschen Autos kamen, wurden nicht empfangen.

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Reuters Der drohende Untergang von Rover empörte 2000 ganz Großbritan­nien. Aufhalten konnte man ihn aber nicht.
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