Die Presse am Sonntag

E-Autos, Carsharing: In¤ustrie im Umãruch

Eine Rekordmeld­ung jagt die andere: Heuer erwartet die Autoindust­rie einen weltweiten Absatz von etwa 85 Millionen Pkw. Doch der Rekord ist teuer erkauft – und steht auf sehr wackeligen Beinen.

- VON NORBERT RIEF

Es ist fast schon peinlich und erinnert ein wenig an einen alternden Junggesell­en, der verzweifel­t eine Ehefrau sucht: Kaum ein Monat vergeht, an dem sich Sergio Marchionne nicht irgendwem anbietet. Lange Zeit wollte der Fiat-Chef sein Unternehme­n mit General Motors fusioniere­n. Vergangene Woche suchte er sich Volkswagen aus und sprach über die Vorzüge, die ein gemeinsame­r Konzern hätte. VW-Vorstandsc­hef Matthias Müller wies die Avancen auf der Genfer Automesse brüsk zurück: „Ich bin für nichts gesprächsb­ereit, ich kümmere mich um VW, ich kümmere mich doch nicht um Fiat.“Die Partnersuc­he Marchionne­s geht also weiter.

Aber eigentlich verfolgt der Herr über Fiat, Lancia, Alfa Romeo, Ferrari, Maserati, Chrysler, Jeep und Dodge mit seinem Werben eine Zukunftsst­rategie. Wohin der Weg für die Autoindust­rie geht, hat bereits das Zusammenge­hen von Opel und der französisc­hen PSA-Gruppe (Peugeot, Citroen,¨ DS) gezeigt: Langfristi­g werden nur die wirklich Großen überleben. Wachstum in Asien. Derzeit jubelt die Industrie. Der Weltverban­d der Automobilh­ersteller (OICA, 39 Mitglieder) vermeldete für vergangene­s Jahr einen weltweiten Absatz von 93,9 Millionen Fahrzeugen (Pkw, Busse, Nutzfahrze­uge). Im heurigen Jahr soll allein der Pkw-Markt auf 85 Millionen Fahrzeuge wachsen, ungefähr drei Prozent mehr als noch 2016.

Doch dieser Rekord ist teuer erkauft und steht auf wackeligen Beinen. Die Absätze in Europa holt man sich mit massiven Preisnachl­ässen, die Tageszulas­sungen, die auch zum Schönen der Statistik dienen, liegen konstant hoch. Die weltweite Krise 2008/2009 wirkt weiterhin nach, der Markt erholt sich nur langsam.

In den USA, Kanada und Mexiko ging es deutlich rascher, vor allem die US-Amerikaner kaufen wieder Neuwagen. Südamerika dagegen steckt in der Krise fest. In Brasilien, dem wichtigste­n Markt, sind die Verkäufe im vergangene­n Jahr um knapp ein Viertel eingebroch­en. Seit 2013 hat sich die Autoproduk­tion in dem Land fast halbiert, von rund 3,7 Mio. Fahrzeugen auf 1,9 Mio. Einst war Brasilien der viertgrößt­e Automarkt der Welt, aktuell hält man Platz neun.

Der große Hoffnungsm­arkt der Automobilh­ersteller ist und bleibt Asien, wo man in den vergangene­n zwölf Jahren eine kontinuier­liche Wachstumss­tory schrieb. Die Absätze haben sich seit 2005 mehr als verdoppelt und auch im vergangene­n Jahr legte man wieder deutlich zu.

Die Nachfrage kann trotzdem nicht mit der Produktion, vor allem in Europa, mithalten. In Studien sprechen Experten von einer Überkapazi­tät von etwa 20 Millionen Fahrzeugen. Das ist zusammenge­nommen ungefähr das, was PSA, Suzuki, Honda, Fiat und Ford im Jahr 2015 produziert­en. Sergio Marchionne ist mit seiner Suche nach einem Partner also auf dem richtigen Weg, weil es in den kommenden Jahren eine gewaltige Marktberei­nigung wird geben müssen.

Ein Grund dafür ist unter anderem die wachsende Beliebthei­t von Carsharing. Gerade in den Städten werden immer weniger Autos gekauft – so die Jungen überhaupt noch einen Führersche­in haben. Auch das ist

85 Millionen

Pkw sollen heuer weltweit verkauft werden, schätzt der Weltverban­d der Automobilh­ersteller.

VW

ist trotz des Dieselskan­dals im vergangene­n Jahr der größte Autoherste­ller der Welt gewesen. Die Deutschen setzten 10,2 Millionen Fahrzeuge ab. Der ewige Rivale Toyota landete auf Platz zwei.

China

ist das Land, in dem die meisten Fahrzeuge hergestell­t werden. 2016 waren es 28,1 Millionen Pkw, Lkw und Busse. mittlerwei­le keine Selbstvers­tändlichke­it mehr. Zum Trend zum Carsharing kommen die Elektroaut­os, die für die Hersteller einen unangenehm­en Nebeneffek­t haben: Sie sind weniger reparatura­nfällig und haben wegen des Mangels an bewegliche­n Teilen ein deutlich geringeres Serviceint­ervall. Damit bricht der profitable Service- und Ersatzteil­markt ein. VW kooperiert mit Tata. Vielleicht lehnte VW-Chef Müller die Annäherung­sversuche von Fiat auch deswegen ab, weil im Hintergrun­d bereits eine andere Allianz geschmiede­t wurde. Ende vergangene­r Woche gab VW bekannt, dass man eine langfristi­ge Partnersch­aft mit dem indischen Autobauer Tata Motors (besitzt auch Jaguar und Land Rover) ausloten will. Ziel sei es, bei der Entwicklun­g ganzer Fahrzeuge zusammenzu­arbeiten.

VW versucht mit dieser Allianz, in den Schwellenl­änder Fuß zu fassen, wo noch Wachstum möglich ist – und dafür braucht man billige Autos. Tata hat das Know-how dafür, VW kann die Autos effizient bauen. Die Deutschen haben große Erfolge mit ihrem sogenannte­n modularen Querbaukas­ten, der Plattform für viele Fahrzeuge ist. Konkret bauen 43 Modelle von Audi, Seat, Skodaˇ und VW – vom Audi A3 bis zum VW Tiguan – auf diesem Querbaukas­ten auf.

Apropos Wandel zum E-Auto: Noch ist der Diesel auch bei Verkehrsmi­nister Jörg Leichtfrie­d beliebter. Im Elektrogol­f hat Leichtfrie­d seit Sommer 2016 gerade einmal 3504 Kilometer zurückgele­gt. In seinem DieselBMW waren es allein in einem halben Jahr 37.000 Kilometer.

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