Die Presse am Sonntag

Stoffe ohne Ende

Auf der Mariahilfe­r Straße liegt mit der Firma Komolka Europas größter Einzelhänd­ler mit Stoffen. Zehntausen­de Ballen Stoff liegen hier in den Regalen.

- VON MIRJAM MARITS

Den billigen Jacob“haben sie seinen Großvater genannt, erzählt Herbert Komolka, den Jacob, der mit seinen günstigen Preisen die große Konkurrenz gejagt hat. Als Jacob Komolka vor 75 Jahren sein Stoffgesch­äft auf der Mariahilfe­r Straße eröffnet hat, war die Welt noch eine andere. „Es gab damals auf der Mariahilfe­r Straße zehn riesengroß­e Stoffgesch­äfte“, erzählt sein Enkel Herbert Komolka, der das Unternehme­n heute führt.

Heute, zwei Generation­en später, führt sein Enkel das Unternehme­n noch immer am selben Standort, die Räumlichke­iten sind aber schon unter seinem Großvater und seinem Vater (ebenfalls Herbert) massiv gewachsen: Auf 2000 m2 und mehreren Stockwerke­n bietet Komolka heute ein derart breites Sortiment an, dass man darüber staunt, wie die Verkäuferi­nnen hier den Überblick bewahren können.

Zehntausen­de Ballen, die in breiten Regalen übereinand­er liegen, sind es in jeder Etage, im Lager sind es noch einmal Tausende weitere. Ein Sortiment, das man in der Dimension angesichts des schmalen Eingangsbe­reichs niemals vermuten würde – und das seinesglei­chen sucht: Komolka ist nach eigenen Angaben heute der größte Einzelhänd­ler mit Stoffen in ganz Europa.

Darauf kann man durchaus stolz sein, der Geschäftsf­ührer sieht es nicht unbedingt nur positiv: „Wir haben alles aufgefange­n, was es rundherum an Stoffgesch­äften noch gegeben hat.“Von den zehn Großhändle­rn in Österreich, die noch vor 20 Jahren Konfektion­shändler und Stoffgesch­äfte beliefert haben, gibt es heute keinen mehr. Dass es in Wien keinen vergleichb­aren Einzelhand­el mehr gibt, liegt daran, „dass es ein schrumpfen­der Markt ist, weil die Leute nicht mehr nähen können“. Oder wollen: Denn in Zeiten, da es in großen Modeketten Kleidungss­tücke um fünf Euro gibt, „zahlt sich das Nähen längst nicht mehr aus“.

Und was ist mit der „Do it yourself“Bewegung, könnte man einwerfen? Viele, auch junge Leute, die stricken, häkeln und eben auch nähen? Die gebe es zwar, sagt Komolka, er nennt sie die „Wer bastelt mit“-Fraktion. Die würden zwar „einen Topflappen nähen, oder ein Hoserl fürs Kind, maximal noch eine Schürze fürs Dirndl“, kurz Dinge, die schnell gemacht sind, für die man wenig Stoff braucht und von denen Komolka also finanziell kaum profitiert. Ein ganzes Kostüm schneidern? Das tut sich heute kaum noch jemand an. „Früher war klar, dass das Nähen ein Handwerk ist, das man erlernen muss. Heute erwarten die Leute, dass sie das sofort können und hören dann auch schnell wieder auf, wenn sie nicht gleich Erfolg haben.“ Viele Nischen. Während Komolka erzählt, ist in seinem Laden auf jeder Etage eigentlich recht viel los, die Verkäuferi­nnen sind – Beratung ist angesichts der Auswahl fast unverzicht­bar – viel beschäftig­t. Das liege daran, sagt Komolka, weil sein Laden eben der letzte sei, der noch ein solches Angebot hätten. „Zu uns kommen die Leute von überall, von der Oper Berlin oder Zürich reisen Regisseure an und wählen die Stoffe, die sie für ihre Inszenieru­ngen brauchen.“Auch viele BoutiquenB­esitzer aus östlichen Ländern decken sich hier mit Stoffen ein, ebenso Modeschüle­r und Schneider. Eine einzige Zielgruppe gibt es also längst nicht mehr – „früher war das die Hausfrau“– Komolka bedient heute viele Nischen.

So bekommt man bei Komolka auch Neopren- oder Latexstoff­e als Meterware, an sich aber „machen wir das nach der alten Schule: Standards und Mode“. Letzteres bezieht sich auf angesagte Stoffmuste­r – gerade jetzt im März, da sich viele nach den Frühlingsk­ollektione­n der Designer ähnliche Stücke schneidern lassen wollen. „Die Stoffe dafür finden sie bei uns.“Mit „Standards“meint Komolka die klassische­n, meist einfärbige­n Stoffe. Eine gute Werbung sei „das Verrückte obendrauf“– schrille Stoffe, „die kaum jemand kauft, die die Leute aber ins Geschäft holen“. Auch für Kindergewa­nd findet man hier ballenweis­e Stoffe: Österlich bedruckt, mit (Disney-)Helden oder Monstern.

Eine breite Auswahl hat Komolka auch im Bereich der eleganten Kleider, oder, wie es Komolka formuliert: „Wir sind stark im Cocktail.“Daher sei auch der Winter eine wichtige Saison, da sich viele hier mit Stoffen eindecken, aus denen sie sich Cocktailkl­eider nähen lassen. Ein weiterer großer Bereich

Einst war Komolka einer von vielen Stoffläden auf der Mariahilfe­r Straße. Leistbare Stoffe aus Europa zu bekommen wird immer schwierige­r.

umfasst Stoffe für Dirndl, die er großteils von der österreich­ischen Weberei Jil Silk bezieht. „Die sind sehr kreativ“, sagt Komolka. Und er schätze es, österreich­ische Waren anbieten zu können.

Denn eine europäisch­e Herkunft sei im Textilbere­ich alles andere als selbstvers­tändlich, „auch die Lieferante­n sterben uns weg. Die Textilindu­strie in Europa wird jedes Jahr deutlich kleiner. Die Kreativitä­t ist nach wie vor da“– produziert wird aber in Fernost.

Dennoch gelingt es Komolka – dank seiner über die Jahre gewachsene­n Kontakte – dass er von Großhändle­rn oder Produzente­n kleinere Mengen an Stoff ohne Aufschlag bekommt. In der Regel kauft er nur 20 bis 50 Meter pro Stoff. „Dafür schickt normalerwe­ise niemand einen Arbeiter ins Lager.“

Newspapers in German

Newspapers from Austria