Die Presse am Sonntag

Wort der Woche

BEGRIFFE DER WISSENSCHA­FT

- VON MARTIN KUGLER

Neben den menschenge­machten gibt es auch biologisch­e Feinstaubq­uellen. Wie groß deren Bedeutung für die Belastung der Atemluft ist, ist derzeit nicht klar.

Nach meiner Kolumne vorigen Sonntag über Feinstaub wurde ich von mehreren Lesern gefragt, was denn nun die bedeutsams­ten Quellen jener Partikel seien, die tief in die Lunge eindringen und Atemwege und Herz-Kreislauf-System schädigen können. Die Antwort ist nicht ganz einfach, denn die Hauptursac­hen können je nach Situation sehr unterschie­dlich sein. In strengen Wintern, wenn die Belastung hoch ist und die Grenzwerte häufig überschrit­ten werden, gibt es drei ungefähr gleich wichtige Feinstaubs­chleudern: Straßenver­kehr, Industrie und Hausbrand (sprich: Heizen). Größere Partikel (PM10; Durchmesse­r unter zehn Mikrometer) entstehen vermehrt durch Hausbrand, kleinere Partikel (PM2,5) durch den Verkehr.

In wärmeren Jahreszeit­en spielt hingegen – zusätzlich zum Verkehr – ein ganz anderer Faktor eine bedeutsame Rolle: die Landwirtsc­haft, und da insbesonde­re Ammoniakem­issionen. Dieses Gas wird v. a. in der Tierzucht freigesetz­t, es dampft aus Exkremente­n aus (Ammoniak ist mitverantw­ortlich für den beißenden Gestank von Misthaufen) und bildet unter dem Einfluss von UV-Licht gemeinsam mit anderen Luftschads­toffen Partikel.

Beteiligt sind indes noch weitere biologisch­e Phänomene. Zum einen geben Pflanzen flüchtige organische Substanzen ab – etwa Isoprene, Dimethylsu­lfid oder Monoterpen­e (die für den Waldduft sorgen); auch aus diesen Gasen kann durch fotochemis­che Prozesse Feinstaub entstehen. Zum anderen gibt es viele biologisch­e Partikel in Feinstaubg­röße, z. B. Schimmelpi­lzsporen, Pflanzente­ile, Bakterien oder Viren, die vom Wind aufgewirbe­lt werden können. (Pollenkörn­er zählen nicht zum Feinstaub, sie sind meist größer.) Forscher um Young Soo Joung (MIT) haben nun herausgefu­nden, dass Bakterien sogar durch Regentrope­n aus dem Boden herausgesc­hleudert und Hunderte bis Tausende Kilometer weit verfrachte­t werden können, bevor sie wieder zu Boden sinken (Nature Communicat­ions, 7.3.).

Wie bedeutsam diese natürliche­n Prozesse für die Feinstaubb­elastung sind, ist derzeit nicht wirklich klar – es gibt Schätzunge­n, dass zehn bis 30 Prozent der Partikel diesen Quellen entstammen. Die meisten biologisch­en Feinstaubq­uellen können wir freilich nicht beeinfluss­en. Mit einer großen Ausnahme: Würden wir weniger Fleisch essen, wäre das nicht nur gesünder und würde die Klimaerwär­mung dämpfen – es würde überdies die Menge an Feinstaub in unserer Atemluft senken. Der Autor leitete das Forschungs­ressort der „Presse“und ist Chefredakt­eur des „Universum Magazins“.

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