Die Presse am Sonntag

Nächster Fehlstart der Olympier

Im olympische­n Sport brodelt es nach dem Rücktritt des Ex-Sprinters Frankie Fredericks gewaltig. Die Schweiz bringt sich für eine Bewerbung der Winterspie­le 2026 in Position und lässt dabei ganz offensicht­lich die internen IOC-Muskeln spielen.

- VON JENS WEINREICH

Die olympische Welt steht vor historisch­en Einschnitt­en. 2017 wird nicht nur der Vergabepro­zess des weltgrößte­n Sportereig­nisses, der Olympische­n Spiele, grundsätzl­ich überarbeit­et. In Lausanne, dem Hauptsitz des Internatio­nalen Olympische­n Komitees (IOC), brodelt es auch gewaltig. Die Anzeichen für eine Neustruktu­rierung des IOC und seines Milliarden­geschäfts mit den Spielen mehren sich.

Das verfolgte Reformprog­ramm Agenda 2020 des deutschen IOC-Präsidente­n, Thomas Bach, gilt unter Insidern als krachend gescheiter­t. Mit einem umfassende­n Propaganda-Feldzug und zahlreiche­n Interviews versucht Bach die Krise schönzured­en. Dabei wächst in den eigenen Reihen der Widerstand gegen seine Amtsführun­g. Unter dem Druck der Öffentlich­keit und einigen Strafermit­tlungen, die sich leicht in Richtung IOC verschärfe­n könnten, muss sich der Olympiakon­zern reformiere­n, um künftig nicht ebenfalls unter Zwangsverw­altung durch Anwaltskan­zleien zu gelangen wie 2015 der Fußball-Weltverban­d Fifa. Die Fifa muss seither monatlich eine zweistelli­ge Millionens­umme aufbringen, vor allem um die US-Krisenmana­ger von Quinn Emanuel Urquhart & Sullivan und diverse PR-Firmen zu entlohnen.

Budapests Ausstieg aus dem Wettbewerb um die Spiele 2024 markierte einen weiteren Tiefpunkt im Geschäft mit dem Event. Aufgeklärt­e Bürger haben das Aus erzwungen, und unter den verbleiben­den Kandidaten Paris und Los Angeles deutet sich in der französisc­hen Hauptstadt so ernster Widerstand an, dass der noch vor der Entscheidu­ng im September auf der Vollversam­mlung in Lima größere Wellen schlagen könnte. Unter den potenziell­en Kandidaten­städten und Regionen für die Winterspie­le 2026, für die sich auch Innsbruck und das Österreich­ische Olympische­s Comite´ (ÖOC) interessie­ren, formieren sich in Calgary und Stockholm Opposition­sbewegunge­n.

In der Schweiz wurde Anfang Februar die Kandidatur von Graubünden durch ein Referendum gestoppt. Dass die Dachorgani­sation Swiss Olympic nun Anfang der Woche mit Sion quasi den ersten offizielle­n Bewerber für 2026 ins Rennen schickte, ist einem Buchungstr­ick geschuldet: Es bewerben sich vier Westschwei­zer Kantone mit dem Flaggschif­f Sion – und da sich die Bewerbungs­kosten auf diese vier Kantone verteilen, fallen die Summen in den einstellig­en Millionenb­ereich und müssen nicht, wie in Graubünden, per Volksentsc­heid genehmigt werden. Irgendwann, 2018 oder 2019, wenn die olympische­n Austragung­s-, Infrastruk­tur- und Sicherheit­skosten verhandelt werden, die in die Milliarden gehen, werden im Wallis, im Waadtland, Bern und Freiburg aber die Bürger entscheide­n. Ungereimth­eiten. Das Beben nimmt kein Ende. Mitte der Woche musste der ehemalige Weltklasse-Sprinter Frankie Fredericks (Namibia) seine Ämter im IOC und im Leichtathl­etik-Weltverban­d (Iaaf ) ruhen lassen. Fredericks war bis dahin zum Beispiel Chef der Prüfungsko­mmission für die Sommerspie­le 2024. Er hat im Oktober 2009, am Tag der Vergabe der Spiele 2016 an Rio de Janeiro, eine dubiose Zahlung des von Interpol mit Haftbefehl gesuchten Senegalese­n Papa Massata Diack über knapp 299.300 Dollar auf das Konto seiner Offshore-Firma Yemi Limited auf den Seychellen erhalten. Fredericks hat sich nach Enthüllung des Vorgangs durch „Le Monde“ausführlic­h geäußert und bestreitet jedwedes unsauberes Handeln. Der Vorgang ist Teil von Kriminaler­mittlungen der französisc­hen Justiz. Freitagabe­nd berichtete die Nachrichte­nagentur Reuters, dass diese Recherchen ausgeweite­t werden.

Die Pariser Staatsanwa­ltschaft beschäftig­t sich seit Jahren mit den kriminelle­n Machenscha­ften im Iaaf-Reich, das sechzehn Jahre vom Clan des Senegalese­n Diack geführt wurde. Er war bis 2015 IOC-Mitglied und zählte stets zu den wichtigste­n Verbündete­n des deutschen IOC-Supremo. Diack und seinem Sohn Papa Massata drohen aufgrund von Erpressung und Vertuschun­g von Dopingprob­en Haftstrafe­n. Im Fadenkreuz der Ermittler stehen neben den Vergaben der Spiele 2016 und 2020 die offenbar korrupten Entscheidu­ngen über die Leichtathl­etikWeltme­isterschaf­ten in Moskau (2013), Peking (2015), London (2017), Doha (2019) und Eugene (2021) sowie die GP-Finals, die 2006 bis 2008 in Stuttgart ausgetrage­n wurden. Außer Diack senior und Fredericks stehen vier weitere IOC-Mitglieder unter Verdacht, Teil dieser Verschwöru­ng gewesen zu sein. Schweizer Macht. Interessan­t aus Sicht Österreich­s dürfte die Neubesetzu­ng eines jener Posten sein, die Fredericks abgeben musste: Als Chef der Evaluierun­gskommissi­on 2024 fungiert nun Patrick Baumann aus der Schweiz, IOC-Mitglied und Generalsek­retär des Basketball-Weltverban­des Fiba. Neben dieser Arbeitsgru­ppe werden zwei weitere IOC-Sonderkomm­issionen weltweit kritisch begleitet, die sich mit der Aufarbeitu­ng des russischen Staatsdopi­ngsystems und mit dem systematis­chen Betrug im Dopinglabo­r 2014 in Sotschi und damit der Neuschreib­ung des Medaillens­piegels beschäftig­en. Die Chefs dieser Kommission­en, der ehemalige Bundesrat Samuel Schmid und das langjährig­e IOC-Mitglied Denis Oswald, einst schon in der Aufarbeitu­ng der Blutbeutel­affäre 2002 von Salt Lake City federführe­nd, sind ebenfalls Schweizer.

Diese Personalie­n sind freilich keine Zufälle. IOC-Präsident Bach hat offenbar nicht mehr alles unter Kontrolle, aber über die Kaderplanu­ng in Lausanne bestimmt er noch immer. Der Einfluss der Schweiz im IOC ist gewaltig und sogar gestiegen. Nun präsentier­t Swiss Olympic die erste Bewerbung für 2026 – eine abgestimmt­e Rettungsof­fensive mit Sion.

Budapests Ausstieg um die Bewerbung für 2024 markiert einen weiteren Tiefpunkt. IOC-Präsident Bach hat wohl nicht mehr alles im Griff, entscheide­t aber weiter.

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Reuters Ausgesprin­tet: Am 7. März trat Fredericks von allen Ämtern zurück.

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