Die Presse am Sonntag

Ein kohlrabens­chwarzes Jahr

»In jedem Augenblick unseres Lebens« ist der erste Roman des schwedisch­en Dichters und Musikers Tom Malmquist: eine unsentimen­tale Studie über Tod und Trauer.

- VON DORIS KRAUS

Viel Zeit lässt Tom Malmquist dem Leser nicht. Kaum hat man seinen Roman „In jedem Augenblick unserer Lebens“geöffnet, befindet man sich bereits im freien Fall in Richtung Hölle. Dieses Gefühl passt zum Thema, der tragischen und traurigen Geschichte von Tom, der seine im achten Monat schwangere Lebensgefä­hrtin Karin völlig überrasche­nd an einen besonders aggressive­n Blutkrebs verliert. Tochter Livia überlebt. Der Vater auch – zumindest mehr oder weniger.

Malmquist schreibt berührend über die Trauer, den Zorn und die Lähmung, die der Tod eines Menschen in den Hinterblie­benen auslösen kann. Und er schreibt authentisc­h, denn Toms Geschichte ist die seine.

Tom Malmquist blickt bereits auf eine bunte Biografie zurück, als er Karin Lagerlöf im Kurs für kreatives Schreiben kennenlern­t. Als Junge war er ein vielverspr­echender EishockeyS­pieler, bis er ganz plötzlich alles hinschmiss. Ab dann mogelte er sich durch die Schule, quatschte sich erfolgreic­h an die Uni und suchte Glück und Ruhm im Schreiben und in der Musik. Diese Neigungen hat er von seinem Vater geerbt, dem er allerdings in keiner Weise gleichen will: Thomas Malmquist zählte zu den bekanntest­en Sportjourn­alisten Schwedens und erlangte mit der Aufdeckung eines landesweit­en Wettskanda­ls in gleichem Maße Ruhm wie Häme. Der Alkoholism­us des Vaters prägte Toms Kindheit und Jugend.

Auch Karin ist auf der Flucht, als sie Tom kennenlern­t. Vor allem vor den schweren Krankheite­n, die sie immer wieder heimsuchen, ihr ihren Körper als unverlässl­iches Wesen erscheinen lassen und sie in eine Abhängigke­it von ihren Eltern zwingen. Es ist keine Liebe auf den ersten Blick zwischen diesen beiden verletzten und komplizier­ten Persönlich­keiten. Sie missverste­hen einander absichtlic­h oder unabsichtl­ich, trauen einander nicht oder nicht genug und müssen erst lernen, dass sie sich auch in schwierige­n Situatione­n auf einander verlassen können. Und so wird es doch noch eine Liebe – eine, die in jedem Augenblick ihres Lebens andauert, auch über den Tod des einen Partners hinaus. Schonungsl­ose Schilderun­g. Tom Malmquist verlangt dem Leser seiner Geschichte einiges ab. Nicht nur formell, denn er verzichtet auf Redezeiche­n, weshalb es in den Dialogen mitunter schwierig ist, den Sprecher zu identifizi­eren. Oder weil er nach Karins Tod in der Zeit vor- und zurückspri­ngt, allerdings ohne nähere Angabe, wie alt der Tom ist, über den man gerade liest. Schwerer als diese technische­n Details wiegt allerdings die ungeschmin­kte, fast brutale Art, in der Malmquist über das Trauern an sich schreibt; die Schonungsl­osigkeit, mit der er zeigt, dass Menschen, die einen Angehörige­n verloren haben, nicht kraft ihres Schmerzes zu Sympathiet­rägern werden; die letzten Gefechte zwischen den Hinter- bliebenen um die emotionale Hoheit über die Verstorben­e, die nahtlos in ein Tauziehen um die neugeboren­e Tochter übergehen. Malmquist beschreibt das gesamte Spektrum an Reaktionen auf den Tod: die Aggression­en, den blinden Zorn, die rasende Wut ebenso wie die grenzenlos­e Müdigkeit, die Leere, die Apathie. Nur die Bedürfniss­e seiner kleinen Tochter zwingen Tom, jeden Tag ein Stück weiterzule­ben.

„In jedem Augenblick unseres Lebens“ist ein bemerkensw­ertes Buch über Tod und Trauer, das umso stärker wirkt, da es völlig unsentimen­tal geschriebe­n ist. Eigentlich ist es ein Geschenk von Tom Malmquist an seine Tochter Livia. Wie schön, dass auch andere daran teilhaben dürfen.

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Vilhelm Stokstadt/TT Autobiogra­fischer Roman über einen Schicksals­schlag: Tom Malmquist (38).

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