Der Jahrmarkt der Bräute
Immer im Frühjahr gehen unverheiratete Männer der Kalderasch-Roma in Bulgarien auf Brautschau. Ein Besuch auf dem Jahrmarkt der Heiratswilligen.
Das Gehen auf den ungewohnt hohen Absätzen fällt auf dem holprigen Asphalt noch schwer. Stolz, aufgeregt oder verlegen zerren die jungen Frauen mit den rot gepuderten Wangen an ihren kurzen Miniröcken und Glitzerkleidern. Suchend lässt die siebenfache Mutter Petrena ihren erfahrenen Blick über die Schar der potenziellen Schwiegertöchter auf den zum Heiratsmarkt umfunktionierten Lastwagen-Parkplatz im bulgarischen Stara Sagora streichen.
„Mein Sohn ist sehr schön, und darum sollte das Mädchen für ihn auch sehr schön sein“, erläutert die fröhliche Frau mit dem roten Kopftuch ihr Anforderungsprofil. Doch mehr als 4000 bis 5000 Lewa (2000 bis 2500 Euro) könne sie als Brautpreis nicht auf den Tisch blättern: „Wenn ich das Mädchen in meine Familie aufnehme, muss ich sie schließlich auch ernähren, sie ankleiden und mich um sie kümmern.“
Das wachende Auge der Mütter ist immer dabei: Alljährlich zu Beginn des Frühjahrs begeben sich die unverhei- rateten Männer der bulgarischen Kalderasch-Roma am sogenannten Todorov-Tag auf Brautschau. „Wir halten uns an die Tradition und unsere strengen Sitten“, sagt unter seinem Filzhut Kesselschmied Kosta, mit 70 Jahren einer von fünf Mitgliedern des Ältestenrats: „Wir verheiraten unsere Töchter früh, mit 15 bis 18 Jahren, damit wir sie besser kontrollieren können – und damit sie nicht irgendwelche schmutzigen Dinge machen.“ Ex-Jungfrauen verlieren an Wert. Nur bis zur achten oder neunten Klasse würden die Kalderasch ihre Mädchen auf der Schule lassen, sagt Kosta und zwirbelt energisch an seinem gefärbten Schnurrbart: „Denn dort würden sie sonst ihre Unschuld und den Preis ver- lieren. Denn wenn es sich erweist, dass eine Braut keine Jungfrau mehr ist, muss ihre Familie den Brautpreis zurückerstatten.“
Auf dem Markt hätten die jungen Leute Gelegenheit, einander kennenzulernen, sagt der redselige Kosta. Bestehe bei deren Familien Vermählungsinteresse, würden die Verhandlungen um den Brautpreis erst danach beginnen: „Man nimmt gebratene Hähnchen und Rakija zum Besuch der Brautfamilie mit. Dann beginnt das Feilschen, wie wenn man Pferde oder Esel kauft.“Wichtigstes Preiskriterium seien Schönheit, Alter und Teint: „Für Bräute mit heller Haut muss man mehr bezahlen.“ Alles angeblich nur symbolisch. Unwirsch reagiert eine Mutter im blauen Kopftuch, die ihren Namen nicht nennen will, auf die Frage nach dem erhofften Mann für die neben ihr stehende Tochter. Reißerische Medienberichte, wonach die Kalderasch ihre Kinder für viel Geld verkauften, seien „Märchen“, erbost sich die 45-Jährige. Keineswegs werde auf dem Markt die Entscheidung über den künftigen Schwiegersohn oder die Schwiegertochter getroffen, er diene mehr der Traditions- und Kontaktpflege: „Die Partnersuche ist ein langer Prozess, bei dem einander nicht nur Bursche und Mädchen, sondern auch deren Familien kennenlernen.“So komme der Freund ihrer Tochter seit zwei Jahren regelmäßig in die Familie. Vor der Hochzeit werde eher „zum Spaß“über den Brautpreis verhandelt: „Niemand zahlt wirklich Geld. Der ausgehandelte Betrag wird nur symbolisch übergeben.“
Tatsächlich sind die von den ClanÄltesten beschworenen Zeiten, in denen der Heiratsmarkt die einzige Chance zur Kontaktaufnahme mit dem anderen Geschlecht war, für die jungen Kalderasch längst vorbei. Dank Facebook und Handys könnten die Burschen mit anderen Mädchen kommunizieren, klagt ein grauhaariger Alter. Auch die Emigration weiche die Traditionen und strengen Sitten der christlich-orthodoxen Kalderasch auf: „Es gibt immer häufiger Fälle, dass die Bräute nicht mehr als Jungfrau in die Ehe gehen.“
Warmes Bier lockert die Zungen. Die Zeiten seien schlecht für sein noch 2000 Familien zählendes Volk, klagt Kosta. Denn nicht nur die Brautpreise, sondern vor allem die Einkommen seien drastisch gefallen. Früher hätten die Kalderasch, die traditionell auf Kupferschmiedearbeiten spezialisiert sind, mit der Herstellung von Kesseln für die Rakija-, Milch- und Fettproduktion ein redliches Auskommen finden können. Nun stünden auf dem Land viele Häuser leer, niemand brauche mehr Kupferkessel. Auch vom Viehhandel könnten sich die Kalderasch kaum mehr ernähren. Längst hat der Traktor Pferde und Ochsen ersetzt. „Viele müssen inzwischen mit der Sozialhilfe von 120 Lewa (60 Euro) über die Runden kommen. Und andere wandern aus.“ Überkommenes System? Doch ob reich oder arm, jung oder alt: Für ihren jährlichen Festtag haben sich die Kalderasch farbenfroh herausgeputzt. Kleb-
»Dann beginnt das Feilschen um die Bräute – wie wenn man Pferde oder Esel kauft.« »Er will sich nur mit anderen Mädchen amüsieren, aber das habe ich ihm verboten!«
rige Zuckerwatte versüßt den jungen Hochzeitskandidaten den Tag. Doch über die Tradition des von den Eltern angebahnten Eheglücks kann sich nicht mehr jeder junge KalderaschRom begeistern. Persönlich gefalle ihm das überkommene Heiratssystem „absolut nicht“, bekennt freimütig Petrenas Sohn Nazgor: „Aber das ist unsere Tradition, die muss ich respektieren – und notfalls auch so heiraten.“
Bei den Marktbesuchen in den vergangenen Jahren habe er noch kein Mädchen getroffen, das ihm gefallen habe, sagt der 23-Jährige achselzuckend. „Er will sich nur mit anderen Mädchen amüsieren“, erbost sich seine Mutter. „Aber das habe ich ihm verboten: Mein Sohn muss ein Mädchen aus unserer Gemeinschaft heiraten!“