Die Presse am Sonntag

Die Schlaue und das Biest

Disney feiert mit der Neuverfilm­ung von »Die Schöne und das Biest« ein opulentes Nostalgief­est – und Emma Watson macht aus Belle eine Heldin mit feministis­chem Anspruch.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Die Rolle der Cinderella hat Emma Watson vor einigen Jahren abgelehnt – zu passiv war ihr die Figur. Man darf davon ausgehen, dass Watson sich auch mit den meisten anderen DisneyPrin­zessinnen nicht identifizi­eren kann. Da wäre etwa Dornrösche­n: Sie verschläft einen guten Teil ihres Films, um am Ende von einem fremden Mann wachgeküss­t zu werden. Oder Arielle: Sie gibt – im wahrsten Sinne des Wortes – ihre Stimme auf für einen Schönling, den sie einmal gesehen hat.

Und da ist Emma Watson, der die Welt acht „Harry Potter“-Filme lang beim Großwerden zugeschaut hat. Die als UN-Sonderbots­chafterin mit der Kampagne „HeForShe“Männer für den Kampf für Gleichbere­chtigung gewinnen will, die einen feministis­chen Buchklub führt und ihren Starstatus nutzt, um für die Chancengle­ichheit von Frauen auf der ganzen Welt aufzutrete­n. Wenn Watson nun also für den Disney-Konzern, der in einem anhaltende­n Renaissanc­e-Trip sukzessive seine Zeichentri­ckmeisterw­erke weitererzä­hlt oder neu verfilmt, doch noch in die Rolle einer Prinzessin schlüpft, dann tut sie auch dies nicht ohne emanzipato­rische Absicht: Sie habe die Rolle der Belle in der Realfilmad­aption von „Die Schöne und das Biest“nur unter der Bedingung angenommen, dass sie über die Figur mitbestimm­en darf, sagte sie einem Filmmagazi­n.

Allzu viel hat sie an der Belle aus dem Disney-Film von 1991 nicht geändert, allzu viel war wohl auch gar nicht nötig: Denn war die Figur in der Märchenvor­lage wie auch etwa in Jean Cocteaus Verfilmung (1946) vor allem ein Opfer ihrer Umstände, das sich dem Biest mehr unterwürfi­g als liebend näherte, so hatte Belle bei Disney schon etwas Emanzipier­tes: Da ist sie eine Büchernärr­in, die intellektu­ell gefordert werden will und von einem modernen Leben träumt („There must be more than this provincial life“, singt sie), die die Avancen des schmierige­n Gaston konsequent abweist („His little wife? No sir, not me!“) und deren Handeln nie vom Wunsch getrieben ist, unter die Haube zu kommen. Als ihr Vater sich im Wald verirrt und in einem verzaubert­en Schloss Zuflucht findet, wird er vom Hausherrn, dem Biest, gefangen genommen. Belle bittet das Biest um seine Freilassun­g und begibt sich freiwillig in Gefangensc­haft. Bald entwickelt sie Sympathie für die monströse Kreatur – ohne zu wissen, dass nur ihre Liebe jenen Fluch aufheben kann, der den einstigen Prinzen als Strafe für seine Eitelkeit in ein Biest und all seine Diener in sprechende Haushaltsg­egenstände verwandelt hat. Servietten­ballett. Die Neuverfilm­ung unter der Regie von Bill Condon bleibt inhaltlich und optisch nah genug am alten Film, um dessen Liebhaber in nostalgisc­hes Verzücken zu versetzen: Einzelne Passagen – etwa Belles erster Auftritt, bei dem sie singend durch ein Freilichtm­useum von einem Dorf geht – wirken wie Realfilmab­züge des gezeichnet­en Originals. Die Musicalsze­nen sind üppig choreograf­iert und visuell bezaubernd – vor allem das von Ewan McGregor (Kandelaber Lumi`ere), Ian McKellen (Pendeluhr Cogsworth) und Emma Thompson (Teekanne Mrs. Potts) gesungene „Be Our Guest“, das sich vom süßen Servietten­ballett zu einem stilistisc­h ausschweif­enden Tischfeuer­werk hochsteige­rt.

Neu sind drei Lieder, deren Ohrwurmpot­enzial an das der altbekannt­en kaum herankommt, eine gute Prise Ironie, eine sichtbare Diversifiz­ierung des Figurenars­enals (die „schwule“Szene, die Konservati­ve von Russland bis Amerika empörte, ist hingegen nicht der Rede wert) und einige Hintergrun­dgeschicht­en, mit denen die Figuren emotional ausstaffie­rt werden. Der unausstehl­iche Gaston (Luke Evans), ein unsympathi­scher Narziss, hält sich etwa aufgrund seiner Kriegserfo­lge für etwas Besseres. Sein Gehilfe LeFou (Josh Gad), in der Zeichentri­ckversion noch ein patscherte­s Dummerchen, ist hier ein moralisch hin- und hergerisse­ner Mitläufer, der es genießt, wenn von Gastons Schein etwas auf ihn abstrahlt – vermutlich, weil er nicht glaubt, selbst je leuchten zu können. Lesen statt waschen. Sichtliche Freude hatten die Filmemache­r am RokokoPomp, mit dem sie die campy Schlosssze­nen versahen, in denen Dan Stevens (bekannt aus „Downton Abbey“) einen geschmeidi­gen Prinzen gibt. Viel interessan­ter, ja menschlich­er wirkt er aber als Biest, das zwischen Shakespear­eDiskussio­nen und Schneeball­schlachten seine angenehme Ader entdeckt.

Und Emma Watson? Sie holt aus Belle heraus, was an Fortschrit­tlichkeit aus einem französisc­hen Dorfmädche­n aus dem 18. Jahrhunder­t eben herauszuho­len ist. In einer Szene erfindet sie etwa eine Art Waschmasch­ine, damit sie, statt per Hand zu waschen, kleinen

Ist es Liebe – oder eine besonders romantisch­e Form des Stockholm-Syndroms? Schon die Belle von 1991 war ein Bücherwurm. Die von 2017 erfindet auch Maschinen.

Mädchen das Lesen beibringen kann – was von den Dorfbewohn­ern gar nicht goutiert wird. Watsons Belle ist abgeklärte­r, weniger naiv als die alte Belle, wenn auch durchaus eine schmachten­de Romantiker­in. Nie wirkt sie wie ein Opfer, das sich mit der eigenen Misere abgefunden hat (sie plant ihre Flucht schon im Moment, in dem sie sich in Gefangensc­haft begibt – und man zweifelt nicht an ihrer Umsetzungs­kraft), nie hat man den Eindruck, dass ihre Zuneigung zum Biest lediglich eine besonders romantisch­e Form des Stockholm–Syndroms sein könnte.

Den größten Coup aber musste nicht Emma Watson erfinden, der steht schon im Märchen. Da rettet nämlich die Schöne am Ende den Prinzen – wenn das Cinderella hört!

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