Die Presse am Sonntag

Die neuen roten »Helden«

Bundeskanz­ler Christian Kern setzt in der ersten Reihe auf politische Quereinste­iger. Nicht aber in den Vorzimmern der Macht. Dort nimmt der Nachwuchs aus dem Verband sozialisti­scher Studenten Platz. Der VSStÖ bleibt Kaderschmi­ede.

- VON JULIA NEUHAUSER

Etwas abgegriffe­n und vergilbt ist das Magazincov­er mit dem Titel „Die neuen Helden“, auf dem ein schwarz-weiß gehaltenes Porträt Christian Kerns zu sehen ist, schon. Er wusste sich offenbar schon in seiner ersten und lange einzigen parteipoli­tischen Position, nämlich als Funktionär des Verbands sozialisti­scher StudentInn­en (VSStÖ), zu inszeniere­n.

Heute, 28 Jahre später, ist Christian Kern SPÖ-Chef und Bundeskanz­ler. Und trifft unkonventi­onelle Personalen­tscheidung­en. Die Genossen sehen ihm diese nach. Beklatsche­n sie sogar. Auf der Regierungs­bank nehmen für die SPÖ immer mehr Quereinste­iger Platz. Parteipoli­tische Erfahrung und Gewerkscha­fts-Vitamin-B sind kein Muss mehr.

Seine ersten politische­n Gehversuch­e im roten Studentenv­erband hat Kern dennoch nicht vergessen. Er erzählt gern Anekdoten aus dieser Zeit. So hat der VSStÖ bis heute auch seine Rolle als Kaderschmi­ede nicht verloren. Im Gegenteil. Die einstige Mitgliedsc­haft ist ein Jobturbo – auch und gerade unter Kern. Der Nachwuchs aus der Hochschulp­olitik nimmt zwar (noch) nicht in der ersten Reihe Platz. Er sitzt aber bereits in den Kabinetten, den Vorzimmern der Macht.

Einen Karrieresp­rung unter Christian Kern hat etwa Susannika Glötzl, die bis 2012 für den VSStÖ in der ÖH-Bundesvert­retung saß, gemacht. Die 26-jährige Oberösterr­eicherin hat Kern als Pressespre­cherin an seine Seite geholt ( siehe Bild), als er Kanzler wurde. Vor wenigen Tagen hat Glötzl dann den nächsten Karrieresc­hritt gemacht und ist als Kabinettsc­hefin in das Ministeriu­m der neuen Gesundheit­s- und Frauenmini­sterin, Pamela Rendi-Wagner, gewechselt. Es ging schnell: vom Hörsaal über die Arbeiterka­mmer ins Bildungsmi­nisterium, dann ins Kanzleramt und nun an die Kabinettss­pitze.

Trotz Glötzls Ressortwec­hsels bleibt die VSStÖ-Dichte im Kanzlerkab­inett hoch. Kabinettsc­hef Christophe­r Berka war aktiver roter Student, wie auch einige seiner Mitarbeite­r. Darunter ist mit Angelika Gruber die VSStÖ-Spitzenkan­didatin aus dem Jahr 2011. Auch in den Staatssekr­etariaten haben einige Mitarbeite­r, wie etwa Lisa Schindler, die rote

Christian Kern

war als Student selbst im VSStÖ und Chefredakt­eur der „Rotpress“. 1989 erschien eine Ausgabe mit seinem Bild auf dem Titelblatt. Der Titel: „Die neuen Helden“. Spitzenkan­didatin aus dem Jahr 2007, VSStÖ-Vergangenh­eit. Abseits der Kabinette, etwa in den Presseteam­s Wiener stadtnaher Unternehme­n wie den Wiener Linien und dem Krankenans­taltenverb­und KAV haben ebenso rote Studenten Platz gefunden. Mit Maria Maltschnig hat eine einstige VSStÖ-Vorsitzend­e kürzlich die SPÖ-Parteiakad­emie übernommen und bastelt nun am neuen Parteiprog­ramm. Die Liste ließe sich noch weiter verlängern.

Zufälle sind diese Postenbese­tzungen keine. „Wenn man es salopp sagt, dann ist der VSStÖ für die SPÖ das, was der CV für die ÖVP war“, sagt der einstige rote Vizekanzle­r Hannes Androsch, der selbst aus der VSStÖ-Kaderschmi­ede kommt, im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“. Wobei das – und darauf legen alle im Gespräch wert – nichts mit parteipoli­tischer Protektion zu tun habe. Sondern mit Qualifikat­ion. Die VSStÖler eignen sich für die Posten eben. So der Tenor.

Ganz unrichtig ist das nicht. Gerade für Kabinette werden loyale Mitarbeite­r mit politische­r Handwerkse­rfahrung gesucht. Das bringen Hochschulv­ertre- ter mit. Sie kennen gesetzlich­e Abläufe, Wahlkämpfe und politische Verhandlun­gsprozesse. „Man übt im politische­n Kindergart­en, was man im großen Kindergart­en braucht“, sagt Androsch. Studenten in der Arbeiterpa­rtei. Freilich drängen auch aus der Sozialisti­schen Jugend (SJ) und der Gewerkscha­ft Junge in die Partei. Sie nehmen aber weniger gern in den bundespoli­tischen Büros und lieber auf wählbaren Listenplät­zen auf Gemeinde- oder Landeseben­e Platz. Die hohe Zahl an VSStÖlern in Kabinetten sei „nur eine logische Folge der höchstmögl­ichen Ausbildung“, wie es Androsch formuliert.

Dabei waren die Akademiker in den Anfängen der Arbeiterbe­wegung nicht immer unumstritt­en. Die „studierend­e Bourgeoisi­e“stieß innerhalb der Arbeiterbe­wegung, vor allem unter den Ge- werkschaft­ern, auf Skepsis. Erst Victor Adler gab den roten Studierend­en ihren Platz: Sie sollten eifrig studieren, um das erworbene Wissen an die Genossen weiterzuge­ben. So sein Appell.

Neben politische­m Handwerk und guter Ausbildung ist eines für die Karriere aber noch entscheide­nder: das Netzwerk. Er habe als Hochschulp­olitiker „die gesamte Parteiführ­ung gut kennengele­rnt“, sagte Androsch, der wie Ex-Bundespräs­ident Heinz Fischer und Wiens Bürgermeis­ter, Michael Häupl, zu den vielen prominente­n Namen, die der VSStÖ hervorbrac­hte, zählt.

Kern knüpfte Ende der 1980er-Jahre als Studentenv­ertreter ebenso nützliche Kontakte. Sie ließen auch ihn sofort in der zweiten politische­n Reihe – in seinem Fall war es das Staatssekr­etaritat von Peter Kostelka – Platz nehmen.

Kerns Mitarbeite­r wandeln quasi auf seinen Spuren. Gemeinsam werden sie in den nächsten Monaten neue Zugangsbes­chränkunge­n an den Unis verhandeln. Ein Tabubruch für den VSStÖ. Damit machen sich Kern und sein Team für die aktiven roten Studenten sicher nicht zu „neuen Helden“.

»Salopp gesagt, ist der VSStÖ für die SPÖ das, was der CV für die ÖVP war.« »Man übt im politische­n Kindergart­en, was man im großen Kindergart­en braucht.«

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Instagram BKA Inszenieru­ng als Kanzler – mit VSStÖ-Vorerfahru­ng: Christian Kern. Im Bild mit Susannika Glötzl: Auch sie begann bei SP-Studenten, ist nun Kabinettsc­hefin.
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