Die Rebellen, die im Hintergrund warten
Achrar al-Sham will sich in Syrien vom al-Qaida-Image lösen und eine größere Rolle spielen. Ein Treffen.
Er trägt ein graues Sakko, dazu ein hellblaues Hemd mit offenen Kragenknöpfen, Krawatte. Der akkurat kurz geschnittene Vollbart darf nicht fehlen. Ahmed Kara Ali bevorzugt ein moderates Outfit, das ganz ohne Extravaganzen auskommt. Er ist der Sprecher von Achrar al-Sham, übersetzt: „Die Freien Männer der Levante“. Als eine der größten Rebellenfraktionen Syriens übernimmt sie eine immer prominentere Rolle.
Ohne ihre Zustimmung scheint eine politische Lösung im SyrienKonflikt unmöglich geworden zu sein. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie moderate Rebellen vor den Angriffen al-Qaidas schützen. Dabei stehen die „Freien Männer der Levante“selbst im Verdacht, gute Beziehungen zu al-Qaida zu unterhalten. Die Situation könnte nicht absurder sein: al-Qaida schützt die syrische Revolution vor al-Qaida?
„Vollkommener Unsinn, wir sind nicht al-Qaida“, beteuert Kara Ali. Er gibt nur selten Interviews, nun sagt er auf der sonnigen Terrasse von Starbucks im türkischen Antakya: „Wir wollen keinen globalen Jihad wie alQaida. Wir sind nationalistisch ausgerichtet, wollen nur die Revolution, den Sturz Assads und seines Regimes.“Er wisse natürlich, dass das al-Qaida-Image herumschwirre, aber es sei völlig unangebracht. Zögerlich gegen IS. Allerdings ist die Verbindung nicht an den Haaren herbeigezogen. Einige Gründungsmitglieder von Achrar al-Sham sind ExMitglieder des Terrornetzwerks Bin Ladens. 2014 waren die „Freien Männer“nur zögerlich gegen den Islamischen Staat (IS) vorgegangen. Und bis vor wenigen Monaten wurde der Kampf gegen Assads Armee noch mit al-Qaida gemeinsam organisiert. Aber Kara Ali redet gegen das radikale Image seiner Organisation an.
„Unsere gesamte Führung wurde im September 2014 bei einem Bombenanschlag ermordet. Bis heute versuchen al-Qaida und der IS unsere Kommandanten zu töten“, sagt er aufgebracht. Er verweist auf die Auseinandersetzungen mit al-Qaida, die mit anderen Jihadistengruppen ein neues Bündnis gründeten. „Anfang dieses Jahres wurden Rebellengruppen der FSA angegriffen, und wir haben sie verteidigt.“Für Achrar alSham war das ein Prozess der Reinigung. Rund 200 ihrer Kämpfer, Führer und Geistlichen sind desertiert. Sie traten der neuen Jihadistenallianz bei, die sich Tahrir al-Sham nennt. Damit wurden die „Freien Männer“ihre radikalsten Elemente los.
Kara Ali vermittelt den Eindruck, seine Organisation sei das Beste für Syrien. Der Sprecher macht seinen Job gut, dabei weiß er, dass alles nicht so rosig ist. Aber Kara Ali wittert die große Chance. Achrar al-Sham können die Zukunft Syriens mitbestimmen, vorausgesetzt, sie stimmen moderate Töne an. Die Organisation hält sich geschickt im Hintergrund und nimmt offiziell nicht an den Friedensverhandlungen teil. Aber in Wirklichkeit sitzt man mit am grünen Tisch, denn Achrar al-Sham kooperieren mit den teilnehmenden Rebellengruppen, von denen einige in Syrien jetzt unter ihrem Schutz stehen.
Das Zeitfenster für Verhandlungen scheint aber beschränkt. Die beiden Verbündeten des syrischen Regimes, der Iran und vor allem Russland, drängen auf eine Entscheidung. „Ich kenne die prekäre Lage“, gibt Kara Ali zu, „aber wir sollten nicht vergessen, der Krieg in Syrien ist für den Iran und auch Russland sehr teuer und mit vielen Opfern verbunden.“Er und Achrar al-Sham glauben, die Zeit ticke zu ihren Gunsten.
Mit der offiziellen Abkehr von alQaida sind den „Freien Männern“die alten Sponsoren geblieben. Dazu gehören Saudiarabien und die Türkei, das Land, über das der Nachschub läuft. „Die Türkei unterstützt uns, und ihre Intervention ist sehr positiv“, erklärt Kara Ali, der wenig begeistert ist, dass sie nun gestoppt wurde. Nur zu gern sähe er die „Freien Männer“bei der Eroberung der IS-Hochburg Raqqa. Aber Washington und der Kreml bevorzugen die Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF). Die Militärallianz
Kara Ali vermittelt den Eindruck, seine Organisation sei das Beste für Syrien.
der Kurden, Assyrer, Araber und Turkmenen ist für Kara Ali ein feindliches Bündnis und liegt damit auf der offiziellen Linie der Türkei.
„Wir wollen keinen neuen starken Mann und keine neue Diktatur“, sagt Kara Ali. Alle Parteien müssten über die Zukunft Syriens abstimmen, und am Ende habe das Volk in einem Referendum das Sagen. Auch, wenn es einen säkularen Staat wolle. Nach einer kurzen Pause fügt er allerdings an: „Wir vertrauen auf die islamische Identität der Menschen, die meisten Syrer sind doch Muslime.“