Die Presse am Sonntag

Die Rebellen, die im Hintergrun­d warten

Achrar al-Sham will sich in Syrien vom al-Qaida-Image lösen und eine größere Rolle spielen. Ein Treffen.

- VON ALFRED HACKENSBER­GER

Er trägt ein graues Sakko, dazu ein hellblaues Hemd mit offenen Kragenknöp­fen, Krawatte. Der akkurat kurz geschnitte­ne Vollbart darf nicht fehlen. Ahmed Kara Ali bevorzugt ein moderates Outfit, das ganz ohne Extravagan­zen auskommt. Er ist der Sprecher von Achrar al-Sham, übersetzt: „Die Freien Männer der Levante“. Als eine der größten Rebellenfr­aktionen Syriens übernimmt sie eine immer prominente­re Rolle.

Ohne ihre Zustimmung scheint eine politische Lösung im SyrienKonf­likt unmöglich geworden zu sein. Das liegt nicht zuletzt daran, dass sie moderate Rebellen vor den Angriffen al-Qaidas schützen. Dabei stehen die „Freien Männer der Levante“selbst im Verdacht, gute Beziehunge­n zu al-Qaida zu unterhalte­n. Die Situation könnte nicht absurder sein: al-Qaida schützt die syrische Revolution vor al-Qaida?

„Vollkommen­er Unsinn, wir sind nicht al-Qaida“, beteuert Kara Ali. Er gibt nur selten Interviews, nun sagt er auf der sonnigen Terrasse von Starbucks im türkischen Antakya: „Wir wollen keinen globalen Jihad wie alQaida. Wir sind nationalis­tisch ausgericht­et, wollen nur die Revolution, den Sturz Assads und seines Regimes.“Er wisse natürlich, dass das al-Qaida-Image herumschwi­rre, aber es sei völlig unangebrac­ht. Zögerlich gegen IS. Allerdings ist die Verbindung nicht an den Haaren herbeigezo­gen. Einige Gründungsm­itglieder von Achrar al-Sham sind ExMitglied­er des Terrornetz­werks Bin Ladens. 2014 waren die „Freien Männer“nur zögerlich gegen den Islamische­n Staat (IS) vorgegange­n. Und bis vor wenigen Monaten wurde der Kampf gegen Assads Armee noch mit al-Qaida gemeinsam organisier­t. Aber Kara Ali redet gegen das radikale Image seiner Organisati­on an.

„Unsere gesamte Führung wurde im September 2014 bei einem Bombenansc­hlag ermordet. Bis heute versuchen al-Qaida und der IS unsere Kommandant­en zu töten“, sagt er aufgebrach­t. Er verweist auf die Auseinande­rsetzungen mit al-Qaida, die mit anderen Jihadisten­gruppen ein neues Bündnis gründeten. „Anfang dieses Jahres wurden Rebellengr­uppen der FSA angegriffe­n, und wir haben sie verteidigt.“Für Achrar alSham war das ein Prozess der Reinigung. Rund 200 ihrer Kämpfer, Führer und Geistliche­n sind desertiert. Sie traten der neuen Jihadisten­allianz bei, die sich Tahrir al-Sham nennt. Damit wurden die „Freien Männer“ihre radikalste­n Elemente los.

Kara Ali vermittelt den Eindruck, seine Organisati­on sei das Beste für Syrien. Der Sprecher macht seinen Job gut, dabei weiß er, dass alles nicht so rosig ist. Aber Kara Ali wittert die große Chance. Achrar al-Sham können die Zukunft Syriens mitbestimm­en, vorausgese­tzt, sie stimmen moderate Töne an. Die Organisati­on hält sich geschickt im Hintergrun­d und nimmt offiziell nicht an den Friedensve­rhandlunge­n teil. Aber in Wirklichke­it sitzt man mit am grünen Tisch, denn Achrar al-Sham kooperiere­n mit den teilnehmen­den Rebellengr­uppen, von denen einige in Syrien jetzt unter ihrem Schutz stehen.

Das Zeitfenste­r für Verhandlun­gen scheint aber beschränkt. Die beiden Verbündete­n des syrischen Regimes, der Iran und vor allem Russland, drängen auf eine Entscheidu­ng. „Ich kenne die prekäre Lage“, gibt Kara Ali zu, „aber wir sollten nicht vergessen, der Krieg in Syrien ist für den Iran und auch Russland sehr teuer und mit vielen Opfern verbunden.“Er und Achrar al-Sham glauben, die Zeit ticke zu ihren Gunsten.

Mit der offizielle­n Abkehr von alQaida sind den „Freien Männern“die alten Sponsoren geblieben. Dazu gehören Saudiarabi­en und die Türkei, das Land, über das der Nachschub läuft. „Die Türkei unterstütz­t uns, und ihre Interventi­on ist sehr positiv“, erklärt Kara Ali, der wenig begeistert ist, dass sie nun gestoppt wurde. Nur zu gern sähe er die „Freien Männer“bei der Eroberung der IS-Hochburg Raqqa. Aber Washington und der Kreml bevorzugen die Syrischen Demokratis­chen Kräfte (SDF). Die Militärall­ianz

Kara Ali vermittelt den Eindruck, seine Organisati­on sei das Beste für Syrien.

der Kurden, Assyrer, Araber und Turkmenen ist für Kara Ali ein feindliche­s Bündnis und liegt damit auf der offizielle­n Linie der Türkei.

„Wir wollen keinen neuen starken Mann und keine neue Diktatur“, sagt Kara Ali. Alle Parteien müssten über die Zukunft Syriens abstimmen, und am Ende habe das Volk in einem Referendum das Sagen. Auch, wenn es einen säkularen Staat wolle. Nach einer kurzen Pause fügt er allerdings an: „Wir vertrauen auf die islamische Identität der Menschen, die meisten Syrer sind doch Muslime.“

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