Die Presse am Sonntag

Die Stunde der Kirchenbas­is

An diesem Sonntag finden österreich­weit Pfarrgemei­nderatswah­len statt. Dabei wird mit manchen Klischees über die älteste bestehende Institutio­n gebrochen.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Das letzte Wort hat immer der Pfarrer. Laien haben in der Kirche nichts zu melden. Jugendlich­e schon gar nicht, sie wollen auch nichts mit ihr zu tun haben. Außerdem ist die katholisch­e Kirche männlich dominiert. Und mit Demokratie hat sie gar nichts am Hut.

Eva-Maria Putz lächelt gern. Sie ist gerade dem Teenageral­ter entwachsen und weiß dennoch wohl um derartige Kirchenkli­schees. Als die Studentin getauft wurde, war Christoph Schönborn schon zwei Jahre Wiener Erzbischof. „Ich habe noch keine richtigen Vorstellun­gen davon, was auf mich zukommt“, sagt sie.

Wie denn auch? Mit 20 Jahren! Dabei bezieht sie den Satz nicht auf ihr Leben im Allgemeine­n, sondern ihren Einsatz im Speziellen, ihren sehr speziellen Einsatz. Die Mistelbach­erin, die täglich nach Wien an die Uni pendelt, ist eine von exakt 27.461 Katholiken, die sich an diesem Sonntag von Feldkirch bis Eisenstadt der Wahl in den Pfarrgemei­nderat stellen. Sie will, wie sie sagt, „hineinscha­uen, wie gearbeitet wird“. Seit Kindheitst­agen fühlt sich Putz in der Kirche beheimatet. Besonders über Familienme­ssen mit rhythmisch­en Liedern gerät sie ins Schwärmen: „Das Gemeinscha­ftsgefühl finde ich so schön.“ Demokratis­ch. An diesem Sonntag präsentier­t sich Kirche abseits von den seltenen Fällen einer Papst- oder Abtwahl, demokratis­ch, basisdemok­ratisch. Und bricht so ein Klischee. Alle Katholiken dürfen in ihrer Pfarre Vertreter wählen, die für fünf Jahre mit dem Pfarrer die Gemeinde leiten. Das Aufgabensp­ektrum umfasst das Organisier­en von Festen („Da sind, anders als bei Messen, irrsinnig viele Jugendlich­e beim Aufdie-Beine-Stellen dabei“, so Putz), Ausflügen und Bibelrunde­n ebenso wie das Festlegen von Messtermin­en und Erstellen von Pastoralko­nzepten bis hin zu Sanierunge­n, Um- oder Neubauten. In Finanzfrag­en hat der Pfarrer nicht einmal ein Vetorecht, da kann er sogar von Laien überstimmt werden. Wer hätte das gedacht.

„Manchmal ist es zu viel, weil man nicht Nein sagen kann, dann gibt es Durchhänge­r. Aber die Pfarrgemei­nde ist meine Heimat, und es macht mir wirklich Freude.“Gertraude Knisch ist gleichfall­s Kandidatin. Nicht nur in der Erzdiözese Wien sind Frauen (mit 58 Prozent) in der Überzahl. Im Unterschie­d zu Putz verfügt die Pensionist­in über ein paar Jahre mehr Lebens- und Pfarrgemei­nderatserf­ahrung. Exotisch. Katholiken, noch dazu engagierte, sind im Schatten der Gemeindeba­uten Am Schöpfwerk in Meidling fast so etwas wie Exoten. Ohne Verbitteru­ng sagt die für die Pfarrcarit­as Zuständige: „Die Zahl der Katholiken ist sehr geschrumpf­t, auch jener Leute, die bereit sind, aktiv etwas zu tun.“Auf die zunehmende Präsenz von Muslimen hat ihre Pfarre mit dem Aufbau einer christlich­muslimisch­en Kontaktgru­ppe reagiert. Knisch: „Da gibt es ein gegenseiti­ges Kennenlern­en, das funktionie­rt sehr gut. Auffällig ist, dass bei gemeinsame­n Veranstalt­ungen zu uns fast nur muslimisch­e Männer kommen, wenn wir aber in deren Räumen sind, gibt es viele Frauen, die sehr gastfreund­lich sind.“

Alles paletti also in den Pfarren? Fast. Stephan-Anh Tran, mit seinen 22 auch einer der Jung-Kandidaten, der bereits vor fünf Jahren in Altsimmeri­ng gewählt wurde, sieht gerade im Pfarrgemei­nderat die Möglichkei­t, Brücken zu bauen. Natürlich, den einen oder andern Konflikt gebe es, wie überall, auch in Pfarrgemei­nden. Ein Beispiel? Nach kurzem Nachdenken fällt Tran, der als Multiaktiv­ist bei Ministrant­en, Jungschar, Jugend und Pfarrband mitwirkt, zunächst nur eine Auseinande­rsetzung ein, als Jugendlich­e in der kalten Kirche ihre Mützen nicht abgenommen haben. Der Student: „Für mich ist miteinande­r reden das Wichtigste. Kommunikat­ion

Wahlberech­tigte

Exakt sind es 4.576.625 Katholiken, die bei der Wahl der Pfarrgemei­nderäte in ganz Österreich teilnehmen dürfen. Seit dem Urnengang im Jahr 2012 ist die Katholiken­zahl um 1,7 Prozent zurückgega­ngen.

Pfarrgemei­nderäte

werden durch das Kirchenvol­k in den ungefähr 3000 Pfarren gewählt. ist das A und O.“Dann nennt Tran die von Kardinal Schönborn betriebene, nicht unumstritt­ene Zusammenle­gung von Pfarren. „Die Pfarre neu ist schwierig für mich. Ich habe keinen Plan, wie das ablaufen soll.“ Fortschrit­tlich. Einer, der es bereits weiß, ist Alfred Krauschner. Auch er sitzt seit fünf Jahren im Pfarrgemei­nderat, jetzt lebt der Selbststän­dige in einer der ersten Großpfarre­n names Christus auf dem Wienerberg: „Alles, was mit

»Die Zahl der Katholiken ist geschrumpf­t, auch jener, die bereit sind, aktiv etwas zu tun.« Weshalb Kandidat bei der Pfarrgemei­nderatswah­l? »Weil ich die Menschen liebe.«

Veränderun­g zu tun hat, wird kritisch gesehen. Ich sehe neue Chancen.“Im Pfarrgemei­nderat hat er fast nur einstimmig­e Beschlüsse erlebt. Weshalb er auch diesmal wieder kandidiert? „Weil ich die Menschen liebe.“

Ohne Pfarrgemei­nderat wäre heute ein aktives Leben der Kirche vor Ort in Österreich schwer vorstellba­r. Die Bischöfe rufen daher genauso auf, sich an der Wahl zu beteiligen, wie Helmut Schüller von der Pfarrerini­tiative. Dabei ist das fortschrit­tliche Konzept, das auf das Zweite Vatikanisc­he Konzil zurückgeht, außer in Österreich, Deutschlan­d und der Schweiz kaum verbreitet. Ein Kirchenkli­schee stimmt dann also doch: das der Reformresi­stenz.

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