Gunnar Myrdal, der vergessene Sozialist, und sein »halber« Nobelpreis
Seinen Wirtschaftsnobelpreis konnte sich Friedrich Hayek 1974 nicht allein abholen. Auch sein ideologischer Gegenpol, der Schwede Gunnar Myrdal, wurde geehrt. Wo Hayek die Freiheit des Einzelnen verteidigte, rief Myrdal, der Architekt des schwedischen Wohlfahrtsstaates, nach der starken Hand der Politik. So richtig wohl war der Königlich Schwedischen Akademie der Wissenschaften 1974 offenbar nicht. Mit Friedrich Hayek hatte sie erstmals einen explizit liberalen und durchaus kontroversiellen Ökonomen zum Träger des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften gewählt. Sich im Ideologiestreit offen auf die Seite des Österreichers zu stellen, kam nicht infrage. Also musste der damals 75-Jährige seinen Platz an der Sonne teilen.
Und zwar mit einem Mann, dessen Ansichten nicht konträrer zu den seinen hätten sein können: Gunnar Myrdal, Architekt des schwedischen Wohlfahrtsstaates und Vorkämpfer für staatliche Interventionen in die Wirtschaft. Die wirtschaftspolitischen Überzeugungen des Schweden standen in direktem Gegensatz zu Hayeks Credo, wonach Märkte dann am besten funktionieren,
Gunnar Myrdal
kam 1898 in Schweden zur Welt. 1974 erhielt der Ökonom – mit Friedrich Hayek – den Wirtschaftsnobelpreis.
Der Vordenker
des Wohlfahrtstaates lehnte Hayeks Ideen stets ab. Er starb 1987. wenn sie frei von staatlichem Einfluss sind. Größer kann die gedankliche Kluft zwischen zwei Ökonomen kaum sein. Also ging das Nobelpreiskomitee auf Nummer sicher – und ehrte eben beide Denker gleichermaßen für deren „Pionierarbeit“und die Fähigkeit, „neue, auch kontroversielle Ideen voranzutreiben“– ohne selbst Stellung zu beziehen. Der erste Keynesianer. Die Wahl Gunnar Myrdals als politischer Gegenpol zu Friedrich Hayek war hervorragend. Der 1898 als Sohn einer wohlhabenden Handwerkerfamilie geborene Ökonom und Soziologe war bereits Keynesianer, bevor John Maynard Keynes – Hayeks wohl bekanntester Widerpart – selbst seine Theorien entwickelt hatte. Bekannt wurde der Schwede für seinen Nachweis, dass das Laissez-faire-Prinzip tendenziell zu größerer Ungleichheit und Instabilität führe. Friedrich Hayek, einer der wichtigsten Denker des Liberalismus, postulierte das genaue Gegenteil: Wo Myrdal nach dem starken Staat ruft, versucht Hayek, diesen zurückzuhalten. Aber auch Myrdal erkannte die Grenzen seines Modells. 1960 beschrieb er im Buch „Jenseits des Wohlfahrtsstaates“, wie künftige Regierungen sich zurücknehmen müssten, um von „souveränen Menschen“nicht als bürokratische und zentralistische Maschinerie angesehen und abgelehnt zu werden.
Mit der Tatsache, den Nobelpreis mit dem „Reaktionär“Hayek teilen zu müssen, wollte und konnte sich Myrdal aber nicht anfreunden. Der frischgebackene Preisträger empfahl zwar prompt Lohn- und Preiskontrollen für die USA, wo die Inflation in diesem Jahr über zehn Prozent lag, schrieb die „New York Times“damals. Gleich danach stellte er jedoch den erst fünf Jahre alten Preis infrage. Mit der Ehrung Hayeks, dem „Apologeten des Kapitalismus“, sei er bedeutungslos geworden.
Auch Hayek war nicht rundum zufrieden mit seiner Ehrung. Zwar zollte er dem Komitee in seiner Dankesrede Respekt dafür, dass sie nicht nur der ökonomischen Mode folge. Den Preis an sich sollte es aber in seinen Augen gar nicht erst geben. Eine derart prestigeträchtige Ehrung verleihe jedem Preisträger eine Autorität gegenüber der Öffentlichkeit, die kein Ökonom besitzen sollte, argumentierte er. Seine Meinung zur Hyperinflation der 1970er-Jahre gab der Volkswirt dann aber doch ab. Die Idee, Preise und Löhne zu kontrollieren, sei pures Gift, sagte er. Jeder Versuch der Regierung, die Inflation zu bekämpfen, verstricke sie nur tiefer in die unvermeidbare Krise.