Die Presse am Sonntag

Geigen, Bögen und die EU

Die Beziehung zwischen einem Musiker und einem Geigenbaue­r Patienten und einem Arzt − die Grundlage ist Vertrauen. ist wie jene zwischen einem

- VON ANDREAS DANZER

Zu einem Fixpunkt an einem klassische­n Einkaufsna­chmittag zählt eine Geigenbauw­erkstatt eher nicht. Zufällig verirren sich wohl auch nur wenige zu einem Geigenmach­er. Aber dennoch haben viele eine konkrete Vorstellun­g, wie es bei einem Geigenbaue­r aussehen könnte. Eine große Werkbank, traditione­lle hölzerne Wandverkle­idung und natürlich Geigen, Celli und Bässe in jedem Eck. Und genau so ist es, zumindest in Walter Neubauers Geigenbauw­erkstatt. Der 55-Jährige betreibt seit 1997 ein Geigenbaug­eschäft beim Wiener Stadtpark, unweit von den bekannten Konzertsäl­en der Stadt, wie dem im Konzerthau­s, dem Musikverei­n und der Oper.

Tendenziel­l nimmt die Zahl der Handwerksu­nternehmen und Meisterbet­riebe ab. Diese Entwicklun­g ging an der Geigenbaue­rbranche allerdings gänzlich vorbei. Ganz im Gegenteil – seit Österreich im Jahr 1995 der Europäisch­en Union beigetrete­n ist, hat sich die Anzahl der Geigenbaue­r sogar vervielfac­ht. Zahlen der Wirtschaft­skammer Wien zufolge gab es Anfang der 1990er-Jahre in der Bundeshaup­tstadt nur etwa zehn Geigenbaue­r, mittlerwei­le sind es 47 und drei spezialisi­erte Bogenbauer. Speziell aus Deutschlan­d haben sich seit dem EUEintritt viele Geigenbaue­r angesiedel­t. In Deutschlan­d ist die Dichte der Geigenmach­er im Verhältnis noch weit höher als in Österreich. Besonders Wien und Salzburg waren daher geeignete Ausweichor­te. Ein konstantes Geschäft. Die Menge der Anbieter hat in diesem Fall allerdings nichts mit der Nachfrage zu tun. „Der Geigenmark­t ist ein Nischenges­chäft, es wird nicht viel mehr, dafür aber auch nicht weniger“, sagt Walter Neubauer. Sein Kerngeschä­ft ist jedoch nicht der Bau von Geigen, sondern die Reparatur und Instandhal­tung. Der Geigenbau selbst „läuft nur nebenbei mit“. Es bleibe einfach nicht genügend Zeit, um sich mehr darauf zu konzentrie­ren.

Rund vier Wochen dauert es, bis eine Geige fertig gebaut ist. Die Lackierung bedarf weiterer ein bis zwei Mo- nate – pro Tag jedoch nur noch circa eine Stunde. Zu den Klassikern im Reparaturg­eschäft zählt das Nachjustie­ren und Austausche­n des Stimmstock­s oder des Steges. „Die Position des Stimmstock­s und des Steges spielt für das Klingen der Violine eine essenziell­e Rolle. Eine Verschiebu­ng um nur einen halben Millimeter kann den Klang bereits entscheide­nd verändern“, erklärt Neubauer. Der Steg ist jenes Fichtenstü­ck, das die Saiten hebt und die Schwingung auf die Decke und den Boden der Geige überträgt.

Zusätzlich hat sich Neubauer auf Bogenbehaa­rungen spezialisi­ert. Das Pferdehaar eines Bogens spielt sich mit der Zeit ab und greift nicht mehr richtig. Daher muss ein Profi seinen Bogen alle drei bis vier Monate neu behaaren lassen. Von der geografisc­hen Nähe zu den berühmten Wiener Orchestern profitiert Neubauer natürlich: „Ich be- treue beispielsw­eise die Symphonike­r, und auch Mitglieder der Philharmon­iker vertrauen mir regelmäßig ihre Instrument­e an.“Neben profession­ellen Orchesterm­usikern zählen auch Geigenschü­ler, Lehrer und private Musiker zu seinen Kunden. Neubauers drittes Geschäftsf­eld ist der Handel mit Instrument­enzubehör wie Saiten, Bögen oder Instrument­enkoffer. Bau und Reparatur sind seit Jahren stabile Geschäftsf­elder, wie viele andere Branchen leidet der Geigenhand­el jedoch unter dem Versandhan­del im Internet. „Es haben sich ein paar große Versandhäu­ser etabliert, die kleine Fachgeschä­fte wie meines mit Schleuderp­reisen unterbiete­n. Mit diesen Preisen kann ich unmöglich mithalten, das macht sich beim Umsatz bemerkbar“, sagt der Geigenbaum­eister.

Die Beziehung zwischen einem Geigenbaue­r und einem Musiker ist etwas ganz Spezielles. „Es ist vergleichb­ar mit einer Beziehung zu einem Arzt – als Geigenmach­er bist du eine Vertrauens­person. Man kann immerhin sehr viel kaputt machen“, sagt Neubauer. Ein guter Ruf und fehlerfrei­e Arbeit sind essenziell­e Voraussetz­ungen für diesen Beruf. Deshalb ist Mundpropag­anda eines seiner wichtigste­n Marketingi­nstrumente. Es kommt regelmäßig vor, dass Neubauer Geigen anvertraut werden, die mehrere 100.000 Euro wert sind. Für solche Fälle hat er die Möglichkei­t, eine kurzfristi­ge Zusatzvers­icherung abzuschlie­ßen. „Es ist immer eine heikle Sache mit derart wertvollen Instrument­en. Am liebsten habe ich sie schnell wieder außer Haus.“

Die Ausbildung zum Geigenbaue­r hat Neubauer im Jahr 1980 bei dem bekannten Wiener Geigenbaue­r Anton Jirowsky III begonnen. Die Meisterprü­fung legte er in weiterer Folge im Betrieb seines Vaters ab, der selbst Geigenbaue­r war und eine Werkstätte in der Nähe des Ronachers betrieben hat. 1997 ging sein Lehrmeiste­r in Pension und bot Neubauer die Übernahme seiner ehemaligen Lehrstätte an. „Ich hatte ein sehr gutes Verhältnis zu ihm, deshalb gab es für mich nie Zweifel, ob ich dieses Angebot annehmen sollte. Außerdem gefiel mir der Gedanke, zu meinen Wurzeln zurückzuke­hren“, erzählt Neubauer.

»Große Namen wie Stradivari oder Amati stehen nicht automatisc­h für guten Klang.«

100 Jahre sind perfekt. Immer wieder werden Geigenmach­er nach dem Zusammenha­ng von Alter, Preis und Klang einer Geige gefragt. Eine Faustregel besagt, das ideale Alter für eine Geige betrage rund 100 Jahre. Es kommt allerdings maßgeblich darauf an, ob sie regelmäßig gespielt wurde. Guter Klang entwickelt sich dadurch, dass die Violine immer wieder in Schwingung versetzt wird. Deshalb stehen ein große Namen wie Stradivari, Guarneri oder Amati nicht automatisc­h für einen einwandfre­ien Klang. Neubauer vertritt jedoch die Meinung, dass gegen ein neues Instrument nichts einzuwende­n sei, solange es „ehrlich und gewissenha­ft“gebaut ist. Er selbst spielt seit seiner Jugend Geige. Heute findet er jedoch kaum noch Zeit dafür. Außerdem sei es für einen Geigenbaue­r zwar hilfreich, selbst spielen zu können – unbedingt notwendig sei es aber nicht.

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