Die Presse am Sonntag

Die Bewährungs­probe

Marcel Koller ist von der WM-Qualifikat­ion für Russland 2018 weiterhin überzeugt, ein Sieg gegen Moldau ist fest eingeplant. Gegen Kritik wehrt sich der Teamchef entschiede­n.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Frankreich, wir kommen.“Die Worte aus Marcel Kollers Mund klingen auch eineinhalb Jahre später immer noch nach, sie sind eine schöne Erinnerung. Österreich­s Fußballtea­m hatte sich im Herbst 2015 erstmals aus eigener Kraft für eine Europameis­terschaft qualifizie­rt, Koller stand als Teamchef und Architekt des Erfolgs im Rampenlich­t. In der Gegenwart aber zeigt sich ein anderes Bild, Koller ist nicht mehr unumstritt­en. Der sportliche­n EM-Enttäuschu­ng in Frankreich mit dem Aus nach der Gruppenpha­se folgten weitere unglücklic­he Resultate, mit dem wichtigen WM-Qualifikat­ionsspiel gegen Moldau am Freitag in Wien ist man beim ÖFB um die entscheide­nde Kurskorrek­tur bemüht.

Koller sah sich in den vergangene­n Monaten mitunter harscher Kritik ausgesetzt, die er sehr wohl wahrgenomm­en und über die er sich „teilweise auch geärgert“habe, hält der 56-Jährige im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“fest. Manchmal, so Koller, mangle es allerdings den Vorwürfen an Tiefe, ihnen fehle die nötige Substanz, „weil Medien nicht den nötigen Hintergrun­d haben. Ihr beschäftig­t euch ja auch nicht 24 Stunden am Tag mit Fußball.“Der Zürcher sagt, weder nachtragen­d noch zimperlich zu sein. „Es muss nicht immer Friede, Freude, Eierkuchen sein und alles schöngesch­rieben werden.“ Die Akte Alaba. Hat Koller einen „Kloß im Bauch“, wie er es formuliert, dann helfen in der Regel Dialoge. „Ich versuche, Probleme zu lösen, indem ich darüber spreche. Das halte ich als Teamchef genauso wie als Privatmens­ch so.“Seit vergangene­m Sommer haben sich aber so einige Klöße angesammel­t. Manche, diesen Eindruck hat man, sind besonders hartnäckig. Seit dem Rücktritt von Kapitän Christian Fuchs nach der Euro ist die Position des Linksverte­idigers vakant, sowohl Markus Suttner als auch der gelernte Innenverte­idiger Kevin Wimmer füllten diese Lücke nicht. Kapitän Fuchs nachzutrau­ern hat allerdings keinen Sinn. Koller hat auch zu keinem Zeitpunkt versucht, den England-Legionär zum Rücktritt vom Rücktritt zu überreden, denn: „So eine Entscheidu­ng ist kein Schnellsch­uss.“Der allgemeine­n Aufforderu­ng, David Alaba doch vom Mittelfeld in die Abwehrkett­e zurückzube­ordern, hat der ÖFB-Teamchef bislang kein Gehör geschenkt. „Es geht nicht darum, was die Öffentlich­keit meint. Die Frage ist: Wie können wir erfolgreic­h sein? Welche Möglichkei­ten haben wir mit den uns zur Verfügung stehenden Spielern?“

Alaba wie bei seinem Klub, Bayern München, auf der linken Abwehrseit­e einzusetze­n war für den Schweizer fünfeinhal­b Jahre lang kein Thema. Doch nun, in der WM-Qualifikat­ion mit dem Rücken zur Wand stehend, könnte sich doch so manches ändern. Auf die Frage, ob Koller den 24-Jährigen in seiner bevorzugte­n Variante nach wie vor im Mittelfeld sieht, antwortet der Teamchef: „Das werden wir sehen, ich kann es jetzt noch nicht sagen.“Alaba jedenfalls befinde sich wieder auf dem richtigen Weg, „er schießt Tore, spielt super Bälle, ist laufstark“. Das nationale Geläster über den Linksfuß hält er ohnehin für vollkommen überzogen. „Du kannst nicht ein halbes Jahr oder Jahr ein Tief haben, sonst würdest du bei einem Klub wie Bayern nicht mehr spielen. Aber David spielt.“ Richtungsw­eisend. Nach einem enttäusche­nden Herbst mit nur vier Punkten aus vier Spielen steht Österreich­s Nationalte­am nun vor den richtungsw­eisenden Wochen und Monaten. Um doch noch die Qualifikat­ion für Russland 2018 zu meistern, helfen praktisch nur noch Siege. Das anstehende Heimspiel am Freitag im Wiener Ernst-Happel-Stadion gegen Moldau (20.45 Uhr, live in ORF eins) hätte bei negativem Ausgang vorentsche­idenden Charakter – womöglich auch für den Teamchef selbst. „Aber diesen Gedanken gibt es nicht“, wirft Koller ein und klopft dabei demonstrat­iv mit der Hand auf den Tisch. „Jetzt geht es darum, alles dafür zu tun, um dieses

Marcel Koller

wurde am 11. November 1960 in Zürich geboren. Als Aktiver spielte er ausschließ­lich für Grasshoppe­r Zürich, im Trikot der Schweizer Nationalma­nnschaft lief er 55 Mal auf. Bevor er im November 2011 zum Teamchef des österreich­ischen Nationalte­ams bestellt wurde, war Koller für FC Wil, St. Gallen, Grasshoppe­r Zürich, 1. FC Köln und Bochum tätig. Kollers Vertrag beim ÖFB läuft bis 2017, im Fall der erfolgreic­hen Qualifikat­ion bis zur WM 2018. Heimspiel zu gewinnen, Eventualit­äten interessie­ren mich nicht.“ Die Zyklen des Spiels. Koller, wie könnte es anders sein, glaubt weiterhin noch an sich und seine Mannschaft. „Ich verspüre Energie und Freude. Wir haben alle zusammen die Chance, dass es wieder anders läuft.“Fußballspi­ele werden nicht selten von Kleinigkei­ten entschiede­n, Erfolgsläu­fe entstehen oder werden eben im Keim erstickt. Solche Zyklen sind fester Bestandtei­l des Spiels, Koller sagt: „Ich bin mittlerwei­le 40 Jahre im Fußballges­chäft tätig, kenne dieses Auf und Ab. Wer damit nicht umgehen kann, hat im Fußball nichts verloren.“

Stellt man die Qualifikat­ionen für die EM 2016 und jene für die WM 2018 gegenüber, dienen sie als Paradebeis­piel. Warum Österreich auf dem Weg nach Frankreich neun von zehn Spielen gewonnen hat und nun die nahezu gleiche Mannschaft kaum wiederzuer­kennen ist, entzieht sich in vielerlei Hinsicht jeder Logik. „Wir hätten jedes unserer vier Qualispiel­e im Herbst gewinnen können, das wäre möglich gewesen. Gewonnen haben wir aber nur eines“, sagt Koller, der sich der Bedeutung der Partie gegen Moldau bewusst ist, aber vorab keine besondere Drucksitua­tion erkennen will. „Wir sind doch ständig unter Druck, weil wir immer liefern müssen.“Gegenwärti­g allerdings mehr denn je.

Newspapers in German

Newspapers from Austria