Im Korsett der Staatsmacht
Theater an der Wien. Bei Rossinis »Elisabetta, Regina D’Inghilterra« soll Schauspielbedeutsamkeit ein Manko an Belcantovirtuosität aufwiegen. Das gelingt nur bedingt.
Das kann ja heiter werden: Der Orchestertusch, das wohlbekannte Trippeln, die melodische Verbeugung der Holzbläser – es ist die Ouvertüre zum „Barbier von Sevilla“! Doch zerstreute Opernfreunde haben kaum eine Chance, sich länger als ein paar Momente im falschen Stück zu wähnen: Die Noten mögen dieselben sein, aber JeanChristophe Spinosi am Pult des Ensembles Matheus tut von Beginn an alles, um unsere wohlige Vertrautheit mit diesen Klängen zu unterwandern. Als würde er sein Abschlussdiplom der Harnoncourt-Schule vorweisen, beschleunigt Spinosi die Zweiunddreißigstelnoten, verbreitert die Bläsergeste, dehnt die Generalpausen dazwischen auf beliebige Länge. Und im Allegro machen die Streicher bei den repetierten Begleitakkorden gar perkussiven Effekt, als vernehme man das Waffenklirren einer in der Ferne marschierenden Armee – immerhin betreten wir mit diesem Stück auch politisches Parkett.
Der gewiefte Selbstverwerter Gioachino Rossini hat für „Elisabetta, Regina D’Inghilterra“, seinen ersten Auftrag am Teatro San Carlo in Neapel 1815, den eigenen musikalischen Fundus geplündert. Beim Einstand an einem so wichtigen Haus wollte er offenbar aus strategischen Gründen mit einer Art Best-of prunken. Und dieses war trotz Rossinis erst 23 Lenzen groß genug, hatte er doch schon ein gutes Dutzend Opern komponiert. Die Ouvertüre übernahm er aus „Aureliano in Palmira“; erst im Jahr darauf sollte sie zum „Barbiere“weiterwandern. Doch dass die wohlbekannte Operneröffnung Schluss mit lustig bedeutet, weil sie sich hier aller stromlinienförmigen Geschmeidigkeit verweigert, zeigt uns im Theater an der Wien auch die Bühne: Schon in den ersten Minuten von Ame-´ lie Niermeyers Inszenierung erfahren wir im Wesentlichen alles, was diesen Abend rund um die „Virgin Queen“Elizabeth I. in teils historischen, teils vom Librettisten erfundenen Nöten szenisch beherrschen wird. Businesswoman von heute. Zwischen Wellen schlagenden, flexiblen Wänden, die bronzen und ledern wirken können, der die Charaktere bedrängt und zu verdauen droht (Bühne: Alexander Müller-Elmau), lernen wir eine attraktive Frau, eine Businesswoman von heute kennen. In weißer Bluse und Hosenanzug träumt sie von einem Privatleben jenseits des Jobs, aber vernimmt immer wieder den ambivalenten Ruf der Pflicht. Dann schlüpft sie in historische Kostüme. Reifrockgestelle mit prunkvollen Kleidern werden als ständiges Memento hin- und hergeschoben; sie rollen auch dann auf verborgenen Rädern, wenn Alexandra Deshorties als Elisabetta in ihnen steckt. Mag sie auch angesichts des siegreich heimgekehrten Leicester in Backfischkoketterie verfallen, so kommt doch selbst bei rascher Bewegung kein Fältchen in Unordnung – denn unterhalb des Nabels, so die offizielle Botschaft, regt sich bei dieser Königin nichts. Passend, dass Elisabettas loyaler Berater Guglielmo (Erik A˚rman ordnet und poliert ständig wie ein zwanghafter Butler) eine zweireihige, hochgeschlossene Weste im Dreiteiler trägt: zugeknöpfter geht es nicht (Kostüme: Kirsten Dephoff ).
Alexandra Deshorties besitzt das, was man eine interessante Stimme nennt. Die Frankokanadierin kultiviert klanglich gewissermaßen „den exaltierten Ton von der Mama“, wie das in „Arabella“heißt. Vieles tönt eher dramatisch als koloraturgewandt, auch manche Schärfen und Brüche treten zutage. Dass sie sich die Spitzentöne etwa der Schlussszene mehr abtrotzt als technisch-emotionale Glanzlichter mit ihnen zu setzen, bringt das Mitgefühl nur auf einem Umweg zustande: Den Ansprüchen an eine virtuose Belcanto- königin, die den seelischen Schmerz idealerweise aus dem Wohllaut heraus fühlbar macht, kann es nicht voll genügen – da hat das Theater an der Wien schon andere Kaliber aufgeboten.
Überhaupt schien es nach dem zähen ersten Akt, dass der Großteil des Ensembles eher robust und beherzt als raffiniert und nuancenreich singen würde. Danach konnten sich praktisch alle steigern, und Ilse Eerens als bedrängte Matilde, hier Elisabettas Rivalin um die Gunst Leicesters, da dessen geheime Ehefrau und sogar Tochter Maria Stuarts (!), wuchs mit reinen Sopranklängen zur vokalen Lichtfigur. Der vielseitige Norman Reinhardt, am Theater an der Wien zuletzt in Bellinis „Straniera“zu erleben und vergangenes Jahr als Tony in der Salzburger „West Side Story“neben Cecilia Bartoli, verlieh dem Leicester virile Konturen. Die dankbarere Rolle ist allerdings der von Elisabetta abgewiesene und deshalb rachsüchtige Norfolc, der zweite Tenor des Stücks: Barry Banks macht ihn zu einem Getriebenen, der
Alexandra Deshorties besitzt das, was man eine interessante Stimme nennt. Nach dem zähen ersten Akt konnten sich praktisch alle steigern.
zwischen dem stilistisch bunten, aber offiziellen Schwarz-Weiß des ArnoldSchoenberg-Chors und dem karierten Tuch der schottischen Belegschaft mit beigefarbenem Mantel, langer Haarsträhne und Flinserl hervorsticht: Seinem anfangs in erster Linie giftigen Timbre gewann er später beachtliche Agilität und heldenhafte Töne ab.
Im Einklang mit Niermeyers manchmal überdeutlichen Regiefingerzeigen schwelgt Spinosi in Brüchen: etwa in den durchgehenden Accompagnato-Rezitativen, aber auch in extrem ausgereizten orchestralen Farbwerten. Dass dabei die Fülle der Bläseraufgaben nicht durchwegs brillant und treffsicher gelungen ist, gehört zu den menschlichen Aspekten dieses durchwachsenen Abends: Buhs und Bravi.