Die Ein-Millionen-Diaspora
500.000 Menschen im Ausland sind österreichische Staatsbürger, noch einmal so viele gebürtige Österreicher leben dort ohne Austro-Pass. Nicht wenige sind bewunderte Role Models. Auch die heimische Politik hat diese längst entdeckt.
Gustav Mahler war nicht nur Dirigent, Komponist und Direktor der Wiener Staatsoper, er war auch ein talentierter Aphoristiker. Von ihm stammen bekannte Sentenzen wie „Tradition ist die Bewahrung des Feuers und nicht die Anbetung der Asche“, aber auch solche mit Bezug zu jenem Land, das seine Heimat war: „In Österreich wird jeder das, was er nicht ist“oder „Österreich ist ein seltsames Land. Man muss hier unbedingt schon gestorben sein, damit einen die Leute leben lassen.“
Möglicherweise ein Grund, weshalb viele Österreicher ihr Land verlassen und ihr Glück in einem anderen gesucht haben. Wie Mahler selbst. Er lebte und arbeitete in verschiedensten Städten von Hamburg bis New York.
Willst du was gelten, mach dich selten, gilt in der multimedialen Gegenwart allerdings nur bedingt. Das Heimatland nimmt selbstverständlich regen Anteil daran, wenn es jemand im Ausland zu etwas gebracht hat. Aber es bleibt doch genügend Distanz für entsprechende Bewunderung. Der „Auslandsösterreicher“hat in der Regel ein hervorragendes Image, er ist nicht Teil einer namenlosen Diaspora, sondern ein Vorzeigeobjekt.
Wobei die meisten Auslandsösterreicher selbstredend unerkannt und unbehelligt ihr Leben leben. Über 500.000 sind es weltweit, die die österreichische Staatsbürgerschaft haben. Die Hälfte davon, 260.000 Menschen, leben in Deutschland, gefolgt von der Schweiz, Frankreich und Großbritannien. Im Jahr 2015 waren es laut Statistik Austria 21.202 Staatsbürger, die Österreich verließen. Hinzu kommt laut dem Auslandsösterreicher-Weltbund noch eine halbe Million Menschen, die den österreichischen Pass abgegeben haben und in erster Generation im Ausland leben. Thomas-Bernhard-Klischee. Die Österreicher sind heute kosmopolitischer als sich das der griesgrämige Thomas Bernhard („Der österreichische Stumpfsinn ist ein durch und durch abstoßender“) vorstellen konnte. Nicht nur im Ausland. Auch im Inland. Mehr als die Hälfte der Wiener hat heute Migrationshintergrund, bei den Nullbis Zehnjährigen sind es sogar 70 Prozent. Die Grenzen sind also im wahr- sten Sinne des Wortes fließend. Der Schritt ins Ausland ist heute kein allzu großer mehr. Für das Heimatland bedeutet es jedoch zumeist einen Braindrain.
Und die Auslandsbürger werden mittlerweile – das ist kein türkisches Unikum – auch von der Politik des Herkunftslandes umworben. Deutlich machte das der jüngste Bundespräsidentschaftswahlkampf, als der freiheitliche Kandidat Norbert Hofer mit einem Massenmail an alle Auslandsösterreicher für Aufregung sorgte. Die Daten stammten aus der Wählerevidenz. Die Fernmeldebehörde ermittelte. Das Telekommunikationsgesetz verbietet ungefragte elektronische Direktwerbung sowie E-Mails und SMS an mehr als 50 Empfänger.
Zum anderen wurde vom Auslandsösterreicher-Weltbund selbst eine Kampagne initiiert, die dessen Klientel zum Wählen bewegen sollte: Umgesetzt von der Agentur Demner, Merlicek und Bergmann, getragen von Prominenten wie den Köchen Johann Lafer und Sarah Wiener oder dem Schauspieler Friedrich von Thun, mit dem Slogan „Nutzen Sie die Macht Ihrer Stimme“, verbreitet auf Social-Media-Kanälen. Präsident Chlestil. „Wir haben die Wahlbeteiligung der Auslandsösterreicher im Vergleich zur Nationalratswahl 2013 um 94 Prozent steigern können“, sagt Gustav Chlestil. Er ist der Präsident des Auslandsösterreicher-Weltbunds. Dieser war 1952 auf Wunsch der österreichischen Bundesregierung gegründet worden. Und zwar in Dornbirn – aus Angst vor einem möglichen kommunistischen Putsch im Osten des Landes. Österreich sollte erst drei Jahre später seinen Staatsvertrag bekommen. Der Sitz wurde dann sogar nach Zürich verlegt ehe er letztlich nach Wien kam. Der Auslandsösterreicher-Weltverband war es auch, der 1989 mit Hilfe eines vom ihm erwirkten Urteils des Verfas- sungsgerichtshof das Wahlrecht für im Ausland lebende Staatsbürger durchsetzte.
Gustav Chlestil steht dem Verband seit 1997 vor. Er selbst war 1977 aus beruflichen Gründen nach Belgien gegangen. „Geplant waren drei Jahre.“Daraus wurden 33. Heute lebt der früher in der Mineralölindustrie in Antwerpen Tätige in Süddeutschland. Sagmeister Sieger 2016. Seit 1994 wählt der Verband den „Auslandsösterreicher des Jahres. Der erste Preisträger war Ferdinand Piech, damals noch, Vorstandsvorsitzender der VW AG. Es folgten unter anderem der Reeder Helmut Sohmen, der Schauspieler Maximilian Schell, der seinerzeitige Lufthansa-Chef Wolfgang Mayrhuber, der vormalige Siemens-Boss Peter Löscher oder die Journalistin Antonia Rados. Preisträger im Vorjahr war der in New York lebende Vorarlberger Designer Stefan Sagmeister.
Und hätte es den Preis seinerzeit schon gegeben, auch Gustav Mahler wäre wohl ein aussichtsreicher Kandidat dafür gewesen.