»Wien neigt zur Sesshaftigkeit«
»Dynamik« ist eines seiner Lieblingsworte. An seiner Heimatstadt Wien schätzt Max Hollein, der die Fine Arts Museums in San Francisco leitet, trotzdem vor allem eines: Stabilität.
Wie oft werden Sie für einen Deutschen gehalten? Max Hollein: Das passiert hier natürlich oft, Europa ist weit entfernt, da wird nicht groß bei den Sprachakzenten unterschieden. Aber wenn man dann sagt, dass man aus Österreich kommt, finden das alle interessant. Der Pawlowsche Reflex ist dann immer: Oh, I love Vienna. Wien wird gerade in San Francisco mit Schönheit assoziiert. Aber auch mit Klischees. Die Leute verbinden mit Wien sicher keine rezentere Geschichte, sondern die Stadt um 1900. Sie sagen selbst über Wien: Das Großartige ist, dass sich hier nichts ändert. Das war sehr persönlich gemeint. Mich als Auslands-Wiener begeistert es, dass ich nach Wien kommen und ins Cafe´ Engländer gehen kann und dort dieselben Leute wie vor 35 Jahren treffe. Das wäre in New York undenkbar. Da verändern sich die Orte, die Personen, die Gesellschaft viel schneller. Wien dagegen neigt zur Sesshaftigkeit. Aber ich finde diese Stabilität sehr sympathisch. Aber auch ein bisschen fad, oder? Für mich persönlich ist es schön. In Wien gibt es ja auch dynamische Bereiche, aber anders als beispielsweise San Francisco hat Wien mehrere Geschwindigkeiten. San Francisco ist aktuell in allen Bereichen auf massive Veränderung aus. Sie haben vorab erwähnt, dass Sie eine Rodin/Klimt-Ausstellung planen. Worum wird es gehen? Die kommt im Oktober. Die Fine Arts Museums selbst besitzen zwar nur eine Klimt-Zeichnung, haben aber eine der besten Rodin-Sammlungen in den USA. Beide haben knapp hintereinander ihren 100. Sterbetag, und es gibt eine besondere Begegnung zwischen Rodin und der Wiener Secession. Ich dachte in meinem ersten Jahr wäre eine Verneigung Richtung Österreich schön – um damit auch die erste Klimt Ausstellung überhaupt in der Stadt zu realisieren. Ist San Francisco für Sie eigentlich eine Art Heimkehr? Sie haben das Geschäft der Museumsleitung ja in den USA gelernt. Ich habe sicherlich eine starke Affinität dazu, wie hier Kulturinstitutionen organisiert sind. Nach fünfzehn Jahren in Deutschland wollte ich nicht nur woanders hin, sondern ich wollte auch Teil einer kulturellen Dynamik sein. San Francisco ist derzeit eine Stadt im ökonomischen, gesellschaftlichen, sozialen und damit auch kulturellen Umbruch. In Frankfurt konnten Sie viele private Sponsoren für die Museen gewinnen. Hier ist das wohl eine leichtere Übung, weil üblich. Ich habe schon in Frankfurt angewendet, was ich zuvor in den USA gelernt habe. Die Fine Arts Museums haben 100.000 Mitglieder, ein Board von über 50 Mäzenen und viele andere Großspender. Es ist ein Unterschied, ob man als Museumsdirektor – wie öfter in Europa – als Ansprechpartner primär den Kulturminister hat, oder ob man wie hier mit 1000 Großförderern und 6000 anderen wichtigen Förderern redet. Das ist ein anderes Arbeiten. Welches Arbeiten ist Ihnen lieber? Je mehr finanzielle Quellen und unterschiedliche Geldgeber sie haben, desto größer ist die institutionelle Unabhängigkeit und Wachstumsperspektive. Es bedeutet aber auch oft bitte zu sagen. Und vermutlich viele Abendessen. Die Frau eines Kollegen beschrieb den Job ihres Mannes einmal so: He dines professionally. Da ist etwas dran – und man muss beim Eigengewicht aufpassen. . . Aber ich halte es für ein großes Privileg, mit so vielen hochinteressan- ten Menschen – Industriemagnaten, Medien-Tycoons, Personen der Gesellschaft – zu reden. Man spricht ja nicht nur über Geldsummen, die rasch ans Museum überwiesen werden sollen, sondern über vieles, was gerade die Welt bewegt. Das bedeutet für einen persönlich aber auch für die Museen ein komplexeres kulturelles Spektrum des Dialogs und der Inspiration. Sie sprechen vermutlich auch über Politik. Wie geht es Ihnen mit Trump? Nachdem Kultur hier keinerlei staatliche Aufgabe ist, ist der Einfluss der Politik auf die Kulturinstitutionen marginal. Es wäre eine ganz andere Situation, wäre eine Figur wie Trump Regierungschef in Frankreich, Deutschland oder Österreich. San Francisco ist wohl die liberalste und demokratischste Stadt überhaupt in den USA. Insofern können Sie davon ausgehen, dass hier viele Trump skeptisch bis aktivistisch gegenüberstehen. Wobei der Populismus, den wir gerade erleben, wahrlich kein rein amerikanisches Problem ist. Amerika ist nur so groß und so extrem. Apropos extrem: Sie haben einmal gesagt, dass Sie am besten aus einer leichten Überforderung heraus agieren. Journalisten nennen das Deadline-Junkie. Wenn man in einem Umfeld agiert, in dem es immer mehr Variablen gibt, und man merkt, dass die Gleichungen komplexer werden, dann sorgt dieser Druck bei mir oft für einen Moment der besonderen Klarheit. Ich schätze diesen Zustand sehr. Manchmal ist es vielleicht auch ein Dauerzustand. Können Sie abschalten? Ich denke nicht dauernd an ein bestimmtes Ziel, wenn Sie das meinen. Aber man beobachtet die Welt und reflektiert sie. Und in anderem Kontext fließt all das in meine Arbeit ein, weil ich die Museen als kulturelle Plattformen sehe. Insofern: Ganz abschalten tue ich nie. Sie werden in Interviews noch immer oft
Seit Sommer 2016
leitet Hollein die Fine Arts Museums in San Francisco, die aus dem Legion of Honor und dem de Young bestehen. Davor führte Hollein in Frankfurt erfolgreich den Museumskomplex Städel-Museum, Schirn-Kunsthalle und Liebieghaus.
In dieser Ausgabe
kuratierte Hollein die Seiten des Stadtbuchs. Mehrere Geschichten (das zweite Leben der Wiener Straßenbahnen; das Wien der USA) sind nach seiner Idee entstanden. Und er inspirierte auch Karikaturist Peter Kufner zu einem Wien-BotschafterPuzzle. nach Ihrem berühmten Vater, dem Architekten Hans Hollein, gefragt. Standen Sie als Jugendlicher unter Druck, sich beweisen zu müssen? Natürlich erlebt man als Kind den Erfolg mit. Aber auch den Misserfolg. Wenn ich mit meinem Vater auf der Kärntner Straße unterwegs war, wurde ihm zu seiner Arbeit gratuliert, aber er wurde auch öfter beschimpft, wie grauenhaft er Wien verschandelt. Eines meiner prägenden Ereignisse war, als er das Bühnenbild für das Schnitzler-Stück „Komödie der Verführung“gemacht hat. Ich war zehn Jahre alt und bin bei der Premiere im Burgtheater in der Loge gesessen. Ich habe mir erwartet, dass alle jubeln. Stattdessen gab es einen Buh-Orkan und das Ganze wurde vom Fernsehen auch noch live übertragen. Ich war geschockt. Mein Vater war nicht per se ehrgeizig. Aber er wollte, dass wir die Möglichkeit zum Erfolg haben. Für mich war früh klar, dass ich weder Architekt noch Künstler werden will. Ich wollte auch bewusst nach meinem Studium die Stadt verlassen. Ich hätte mir nie vorstellen können, als 22-Jähriger in Wien im Museumsbereich zu arbeiten, weil die Wiener Kulturszene doch relativ klein war und mein Vater darin eine prägende Rolle spielte. Insofern hat die Entscheidung, gleich nach dem Studium nach New York zu gehen, auch mit dem Erfolg des Vaters zu tun. Es war keine Flucht, aber es war richtig und notwendig. Sie stehen selbst in der Öffentlichkeit. Wurden Sie auch schon beschimpft? Kritik gehört dazu, die gab es auch in Deutschland. Aber das hat sich immer auf einem guten Niveau abgespielt. Beschimpft wurde ich nur einmal. Als ich in Salzburg ein Kunstfestival mit zeitgenössischen Künstlern – Hans Schabus, Jonathan Meese, Paola Pivi, Christoph Büchel und andere – kuratiert habe. Die Salzburger haben damals extrem reagiert. Liegt es also an Österreich? Ich weiß nicht, so etwa gibt es nur dort.