Wo Netrebko im Wohnzimmer singt
40 Jahre lang hat Sissy Strauss an der Met Künstler betreut – und eingeladen. Nun ist sie zurück in Wien. Und vermisst ihr New Yorker Leben.
Beim ersten Treffen – ihr Mann hat geöffnet, aus dem Stiegenhaus ins Vorzimmer geführt, den Mantel abgenommen und den Weg in den Salon gewiesen – sitzt Sissy Strauss nebenan im Schlafzimmer auf der Bettkante und telefoniert. Eine Freundin hat ein Problem, sie versuche zu helfen, entschuldigt sie sich wenig später und lädt ein, Platz zu nehmen. Die beiden Sofas sind riesig, der Couchtisch, den sie flankieren, ist noch größer. Ihr Mann, Max, serviert den Kaffee, als hätte er in einem Wiener Kaffeehaus sein Geschäft gelernt.
„Sind Sie sich sicher?“, fragt Sissy Strauss also, nachdem sie selbst, aufgrund der Tischgröße in einiger Distanz, Platz genommen und einladend auf die zwei Petits Fours gedeutet hat, die schon auf dem Tisch stehen. Aus dem Schwarzen Kameel, wo man am Vorabend essen war, ohne davon allerdings allzu begeistert gewesen zu sein. Und Süßes, sagt Strauss, esse sie ohnehin nicht. Man wolle also wirklich mit ihr ein Interview machen? Welche Auslandsösterreicher denn sonst noch zu Wort kämen?
Man zählt geplante Namen auf, von Johann Lafer bis Wolfgang Puck, doch der sei leider nicht zu erreichen. „Warten Sie“, sagt Strauss, verschwindet und kommt mit einem handgeschriebenen Adressbuch wieder. „Schade“, konstatiert sie nach einigem Blättern. „Ich dachte, ich hätte seine Nummer.“Am Ende vereinbart man einen Termin. „Schauen Sie sich vorher den Film an!“, rät Strauss. In „Der letzte Salon“hat Joachim Dennhardt ihren Abschied aus New York dokumentiert. „Schauen Sie ihn an. Dann können Sie immer noch absagen!“ Pasta mit Pavarotti. Eine Woche später, wieder in dem Appartement am Brahmsplatz. Max Strauss übernimmt diesmal die Aufgabe, den Fotografen durch die geräumige Wohnung zu führen. Alte Meinl-Plakate aus den Zwanzigerjahren im Vorzimmer, Bilder voller Erinnerungen im Flur. In einem Rahmen auf einem Stoffuntersetzer mit Spitzenrand ein skizzierter Elefant. Gezeichnet: Lupa 92. „Luciano Pavarotti“, erklärt Sissy Strauss. Das Tier habe er ihr im San Domenico, dem einstigen New Yorker Nobelitaliener, einfach auf den Untersetzer seines Tellers gezeichnet. „Er hat ja auch gemalt, ganz gut sogar.“
Sissy Strauss, sie hat sie alle gekannt – und für alle gekocht. Anfangs, als die Partys noch klein waren, „so 70, 80 Leute“, noch Gulasch. 20 Kilo Zwiebeln, 20 Kilo Fleisch. Später, als es über hundert Leute waren, dann Pasta, „die man leicht noch nachkochen kann“. Einmal hat auch Pavarotti in ihrer Küche agiert, eine legendäre Geschichte, die sie später noch erzählen wird. Die Nudeln seien jedenfalls geflogen, und dass der Tenor vielleicht nur per Wandwurf testen wollte, ob sie al dente sind, sei nicht der Grund.
Mehr als 40 Jahre lang hat Sissy Strauss an der Metropolitan Opera gearbeitet. Den größten Teil ihrer Zeit hat sie damit verbracht, sich um die Künstler zu kümmern – eine Aufgabe, die es in dieser Form seit ihrer Pensionierung Ende 2014 nicht mehr gibt. Ihr Mann, Max, muss geahnt haben, wie sehr sie ihre Aufgabe vermissen würde. Wohl deshalb war er die treibende Kraft hin- ter der Idee, gemeinsam nach Wien zurückzukehren. Jener Stadt, in der Sissy Strauss geboren ist.
Inzwischen hat sie Käse und Cracker angeboten, Max das Weißweinglas großzügig gefüllt. „Nebbich“, meint sie nonchalant in schönstem jiddischen Wienerisch, als man sich bedanken will. Ihre Mutter, erzählt sie, sei „ein Mischling gewesen“, durfte deshalb nicht offiziell heiraten. Ein befreundeter Priester traute ihre Eltern trotzdem, am 3. Jänner 1943, im folgenden Oktober kam sie zur Welt. Mit vier wurde sie von ihrer Mutter zum ersten Mal in die Oper geführt. „Ins Theater an der Wien, in den ,Freischütz‘, mit einem nicht besonders hübschen, aber großen, älteren Tenor“, sie habe sich sofort in die Oper und in den Sänger verliebt. „Weißt du, wer der war?“, fragt Ehemann Max Strauss. „Ja“, sagt Sissy. „Per Grunden,´ ein Däne.“
Überhaupt kann sie sich erstaunlich gut an ihre frühen Opernerfahrungen erinnern. „Der Vogelhändler“, „Lohengrin“. „Es war für mich ein Fest.“Zu Hause, erzählt Strauss, habe sie den Übertragungen im Radio gelauscht, den Salzburger und Bayreuther Festspielen. „Wir haben mit der Omi in der Berggasse gelebt, die Omi hat das Libretto gehabt und meine Mutter den Klavierauszug, und ich hab mitgelesen. Das war
1943
wurde Sissy Strauss in Wien geboren, wo ihr Vater Kellertheater betrieb.
Mitte der Sechziger
ging sie zunächst nach Montreal, dann nach New York. Bis Ende 2014 betreute sie die Künstler an der Met.
Ab 28. April
um 22.30 Uhr zeigt Servus TV „Der letzte Salon“. Der Film wurde mit dem Hollywood International Independent Documentary Award 2016 ausgezeichnet. wahnsinnig aufregend.“Alltag in einem Frauenhaushalt, Einladungen hier sind selten, altmodisch und formell. Anders der Vater, er führt zwischenzeitlich drei verschiedene Kellertheater, in denen Schenk und Qualtinger spielten, immer ein wenig nah am Größenwahn. Frühe Liebe. Als 1955 die Wiener Staatsoper wiedereröffnet wurde, wollte die damals Zwölfjährige unbedingt dabei sein. Doch drei Tage die Schule zu schwänzen, um sich um Karten anzustellen, das erlaubten ihre Eltern nicht. „Also bin ich zur zweiten Vorstellung von ,Fidelio‘ gegangen. Das war mit Dermota und Mödl, Schöffler, Seefried, Kmentt, und der Böhm hat dirigiert. Na, ich war im siebenten Himmel.“Ab da sei sie „x-mal in der Woche in die Oper gegangen, aber auch ins Burgtheater und in Konzerte. Das wurde meine große Passion.“Wann immer ein neuer Sänger kam oder ersetzt wurde, sei sie „wie eine Verrückte hingerannt. Ich wollte hören, wie sie alle klingen.“
Gezahlt hat sie dafür selten, „ich hab mich immer reingeschwindelt.“Robert, ein „wunderbarer Billeteur“, der Auschwitz überlebt hatte, stand meistens im Parterre bei den Stehplätzen, „der hat mir geholfen, ich hab ihn zu Weihnachten geschmiert.“Einmal,