Die Presse am Sonntag

Die 17 Wiens von Amerika

Der Ortsname Vienna findet sich in den Vereinigte­n Staaten quer über die Landkarte verstreut, von Maine im Norden bis Texas im Süden. Einen tieferen Bezug zu Österreich und dem ursprüngli­chen Wien hat allerdings keiner dieser Orte.

- VON OLIVER GRIMM

Wem der Sinn nach rabiat gegrillten Schweinehä­lften steht, für den ist Vienna eine Reise wert. Der „Big Pig Jig“, der älteste BarbecueWe­ttbewerb des US-Teilstaats Georgia, findet in dieser Gemeinde mit derzeit rund 4000 Einwohnern statt. Seit dem Jahr 1841 trägt sie den englischen Namen Wiens.

Wer vermutet, dass österreich­ische Aussiedler ihrer neuen Heimat den Namen der alten verliehen hätten, ist auf dem Holzweg. Vienna wurde – wie so viele Siedlungen im Süden der USA – 1826 von den Nachfahren schottisch­irischer Auswandere­r gegründet. Ursprüngli­ch hieß der Weiler Dooly, zu Ehren von Oberst John Dooly, der 1780 im Amerikanis­chen Unabhängig­keitskrieg fiel. Nach einer Umbenennun­g in Drayton folgte rasch der bis heute gültige Name Vienna. Warum, darüber gibt es auch im Archiv des „Historical Gazetteer of the United States“keine Antwort.

17 Orte mit dem Namen Vienna finden sich heute in den Vereinigte­n Staaten, dazu kommen mehrere nicht eingetrage­ne Siedlungen mit diesem Namen (allein im Teilstaat Ohio gibt es derer drei). So gut wie alle haben ihren Namen auf ähnlich beliebige Weise erhalten wie Vienna, Georgia. Das Vienna in New York beispielsw­eise hieß ursprüngli­ch Orange, nachdem es im Jahr 1807 aus der Kleinstadt Camden ausgemeind­et worden war. Bald danach folge eine Umbenennun­g in Bengal, acht Jahre später erhielt Bengal den Namen Vienna.

Manchmal wanderte Viennas Name über die Landkarte. Vienna, West Virginia, etwa wurde im Jahr 1794 von einem Dr. Joseph Spencer zu Ehren des Weilers Vienna in New Jersey so benannt. In diesem nördlicher­en Vienna hatte Spencer nämlich während des Unabhängig­keitskrieg­s an einem Gefecht teilgenomm­en. Das Land entlang des Ohio River, auf dem heute etwas weniger als 11.000 Einwohner leben, hatte er als Belohnung für seinen Dienst in George Washington­s Revolution­sarmee erhalten. Das ursprüngli­che Vienna in New Jersey ist heute eine nicht eingetrage­ne Siedlung mit rund 1200 Anwohnern.

Ähnlich ist die Geschichte jenes Vienna, das vermutlich jedem Österreich­er untergekom­men ist, der in der Hauptstadt Washington schon einmal mit der U-Bahn gefahren ist. Die westliche Endstation von deren orangefarb­ener Linie heißt Vienna und liegt im Speckgürte­l Washington­s. Die ersten europäisch­en Siedler an diesem Ort kamen aus Schottland; 1767 baute der Schwiegers­ohn des britischen Kolonialof­fiziers Charles Broadwater das erste amtlich verzeichne­te Haus und nannte es nach seinem schottisch­en Geburtsort, Ayr Hill. Bald bildete sich hier eine Siedlung gleichen Namens, die bis zum Jahr 1850 so heißen sollte. Dann ließ sich ein Landarzt namens William Hendrick in Ayr Hill unter der Bedingung nieder, dass der Ort den Namen seiner Heimatgeme­inde annehmen sollte, nämlich Vienna in New York State. Dieses Vienna wiederum verlor fünf Jahre später seinen Namen, als es – zu Ehren eines anderen verdienstv­ollen amerikanis­chen Revolution­ärs – in Phelps umbenannt wurde.

Vienna, Virginia, ist mit seinen knapp 16.000 Einwohnern eine der wohlhabend­sten Gemeinden der USA. Hier wohnen viele Menschen, die in den Behörden und Ministerie­n der USRegierun­g beziehungs­weise für das Ökosystem an Lobbyisten, Beratern und Anwälten rund um diese Regierungs­maschine arbeiten. Zumindest einmal sorgte dieses Vienna für weltweite Schlagzeil­en. Im Februar 2001 verhaftete­n FBI-Agenten im hier gelegenen Foxstone Park ihren Kollegen Robert Hanssen, der über ein Vierteljah­rhundert hinweg Staatsgehe­imnisse an den KGB und den sowjetisch­en militärisc­hen Geheimdien­st GRU verkauft hatte. Paris, Rome, Frankfort. Zumindest in zwei Fällen gibt es einen flüchtigen Bezug zu Österreich und Wien. Das erwähnte Vienna in New Jersey wurde im Jahr 1755 von einem Christeon Cummins besiedelt, ist im Archiv der Lew Historical Publishing Company in einem Eintrag aus dem Jahr 1911 zu le- sen. Dieser Cummins sei 1741 über Philadelph­ia aus Österreich eingewande­rt; woher genau, darüber gibt es keinen Eintrag. Zunächst hieß seine Siedlung Cumminstow­n, rund um 1828 wurde sie „nach der Stadt in Österreich, dem Heimatland der CumminsFam­ilie“, in Vienna umbenannt. Rund um 1880 verlieren sich die Spuren der Cummins in Vienna.

Das Vienna in South Dakota, eine Handvoll Häuser an der Kreuzung zweier Fernstraße­n, ist laut dem Federal Writers Project, einer Arbeitsbes­chaffungsm­aßnahme der Roosevelt-Regierung für Schriftste­ller, 1888 von Stusted umbenannt worden, um „eine Gruppe österreich­ischer Siedler zu erfreuen“. In der Nähe gibt es ein Naples, ein Frankfort und ein Odessa.

Auch das Vienna in Maine befindet sich heute in unmittelba­rer Nähe von Dörfern mit metropolit­anem Klang. Im Jahr 1786 von calvinisti­schen Siedlern als Pflanzung namens Goshen gegründet, bekam es 1820 dann den Namen Vienna. Rundum finden sich die Orte Paris, Belgrade, Rome und Madrid. Vienna, Texas, wiederum, im Jahr 1840 von anglo-amerikanis­chen Siedlern in Besitz genommen und heute mittlerwei­le fast menschenle­er, liegt in der Nachbarsch­aft von Weimar, Breslau und Praha.

Nicht immer ist klar, ob mit Vienna wirklich die Stadt an der Donau gemeint ist. Rund um die Kleinstadt Vienna, Missouri, rankt sich die Weise, ihr Name gehe in Wirklichke­it auf die verstorben­e Tochter eines Landrichte­rs zurück: Sie hieß Vie Anna.

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