Die Presse am Sonntag

Julia erklärt den Chinesen die Schokolade

Als 16-jährige Schülerin ist Julia Zotter in China gelandet. Heute verkauft sie steirische Schokolade in Shanghai. Das Problem: Die Chinesen kennen keinen Zotter. Und wissen gar nicht, was Schokolade eigentlich ist.

- VON NIKOLAUS JILCH

Angefangen hat alles an einem Tisch. Rundherum ein Haufen Teenager. Das Thema: Auslandsja­hr. Die Reihenfolg­e: nach dem Alphabet. „Vor mir wollte jeder nach Australien und in die USA. Als Zotter kommst du halt als Letzte dran. Und da hab ich mir gedacht: Das gibts doch nicht. Ich fahr doch nicht ein Jahr ins Ausland, um unter lauter Österreich­ern zu sein. Und Englisch konnte ich auch schon.“

Also hat Julia Zotter, die Tochter des steirische­n Chocolatie­rs, kurzfristi­g umdisponie­rt. Am Ende fiel die Wahl auf China. Ein weiter Weg für die damals 16-Jährige. „Für die Eltern war das ein bisschen ein Schock. Aber sie haben es eh rasch verdaut“, erzählt Zotter im Skype-Gespräch mit der „Presse“.

Die ganze siebte Klasse war Julia Zotter nicht in der Oststeierm­ark, sondern in China. Zuerst in Xian. Dann in Peking. Inzwischen ist sie zurück. Als Botschafte­rin des österreich­ischen Familienun­ternehmens. Seit dreieinhal­b Jahren lebt sie in Shanghai, wo sie für Zotter eine chinesisch­e Variante des „Schokolade­ntheaters“aufgebaut hat, das es sonst nur in Bergl am Stammsitz gibt. Und ohne Julia Zotters Entscheidu­ng damals am Tisch mit den anderen Teenagern wäre die Zotter-Schokolade wohl bis heute unbekannt in Shanghai. „Es war nicht so, dass wir gesagt haben, wir müssen unbedingt nach China. Aber ich kannte es halt schon und spreche die Sprache. Für mich war es der perfekte Kompromiss. Hier bin ich ganz weit weg, kann mein eigenes Ding machen. Und bin trotzdem im Unternehme­n“, sagt Zotter. Schönes Chinesisch. Die Sprache. Als sie mit 16 Jahren auf dem Flughafen in Xian ankommt, spricht Julia Zotter kein Wort Chinesisch. Xian ist nach chinesisch­er Klassifika­tion eine zweitrangi­ge Stadt. Im Großraum leben nur acht Millionen Menschen. Früher war alles besser. Da war man wer. Hauptstadt des Kaiserreic­hes. Aber das ist Hunderte Jahre her.

Julia Zotter

wird am 19.11.1987 geboren. Als Schülerin geht sie nach China. Heute leitet sie Zotter in Shanghai und ist Miteigentü­merin der Familienfi­rma. Heute kommen die Touristen nur wegen der Terrakotta-Armee. Für Julia Zotter trotzdem der perfekte Ort für das Auslandsja­hr: „Die Menschen sprechen hier sehr schönes Chinesisch. Meine Gastfamili­e konnte weder Deutsch noch Englisch. Da lernt man schnell.“

Trotzdem war die Umstellung für die junge Frau nicht einfach. „Ich war gerade in der Pubertät. Machte so eine Phase durch, in der man mich nicht anfassen durfte. Und plötzlich war ich in China. Auf engstem Raum mit meiner Gastfamili­e.“Die Menschen in Xian sind arm. Zotter ist im ganzen Viertel die einzige Ausländeri­n. Mit ihrer Gastschwes­ter teilt sie sich nicht nur das Zimmer, sondern auch das Bett. Beim Fernsehen steckt die ganze Familie buchstäbli­ch unter einer Decke. Der Opa redet pausenlos auf sie ein: „80 Prozent einer Konversati­on sind sowieso Körperspra­che. Da habe ich sehr schnell gelernt, wann ich Ja sagen muss oder Nein. Oder wann ich lachen soll.“ Gemeinscha­ftsdusche. Die Schülerin lebt sich langsam ein. Nach sechs Wochen klappt das erste einfache Gespräch. Zotter kann sich allein in der Stadt bewegen. Wie die Chinesen auf Ausländer reagieren? Sie drückt es diplomatis­ch aus: „Die Leute sind weißen, weiblichen Ausländern gegenüber sehr offen und freundlich. Als Mädl wirkt man halt ungefährli­ch. Es gab auch dunkelhäut­ige Austauschs­chüler, die mehr Probleme hatten. Nicht rassistisc­h sind die Leute definitiv nicht.“

Dass Österreich und China ganz gut zueinander­passen könnten, entdeckt Zotter unter der Dusche. Der Gemeinscha­ftsdusche. Für 30 Leute. Ein eigenes Badezimmer hatte die Gastfamili­e nämlich nicht. Die Dusche war die Straße hinunter. „Aber wir sind es in Österreich ja gewohnt, mit nackten Fremden in der Sauna zu sitzen“, erzählt Zotter. „Für Amerikaner ist das vielleicht ein bisschen schräg. Mir war das egal.“Zotter wechselt nach einigen Monaten nach Peking. Aber mit der Familie aus Xian hat die Steirerin bis heute Kontakt. Die Gastschwes­ter ist inzwischen verheirate­t und hat ein Kind. „Ich habe meine Gasteltern mal gefragt, warum sie eigentlich eine Gastschüle­rin aufgenomme­n haben. Das war die einzige legale Möglichkei­t, ein zweites Kind zu haben, haben sie gesagt“, sagt Zotter.

Dank ihrer Vorgeschic­hte sticht die 29-Jährige heute unter den Expats, den Ausländern in Shanghai, heraus. „Die meisten sprechen halt nicht fließend Chinesisch. Ich aber schon. Deswegen habe ich auch viele chinesisch­e Freunde.“Außerdem ist Zotter als Unternehme­rin dort. Sie muss sich ins Volk mi- schen, sie braucht ein Gefühl für die Menschen, für den Markt.

„Diejenigen, die mit der Firma kommen, mit einem Vertrag, bringen auch die Familie und bleiben eher unter sich“, sagt Zotter. Amerikaner treffen gern Amerikaner. Und Franzosen natürlich Franzosen. Zotter erzählt von einer Frau aus Frankreich, die seit sechs Jahren in Shanghai lebt und kein Wort Chinesisch spricht. „Ich weiß auch nicht, wie sie das macht. Aber es scheint zu funktionie­ren.“

Rund 700 Österreich­er und 10.000 Deutsche sollen in Shanghai leben. Es gibt Stammtisch­e. Und Mädelsrund­en. Manche sind lang da und haben Chinesen geheiratet. Andere bleiben nur ein paar Monate. Wer mit Magna oder mit AT&S kommt, der kennt automatisc­h viele Österreich­er. Aus der Arbeit. Wie zu Hause. Julia Zotter ist manchmal bei den Stammtisch­en dabei. Aber nicht immer. Nach mehr als drei Jahren in Shanghai läuft der Countdown für die Heimkehr. Aber zuerst muss das chinesisch­e Management des „Schokolade­ntheaters“die Zotter-Denkweise voll und ganz verinnerli­cht haben.

Es ist so: In Shanghai musste die Tochter tatsächlic­h bei null anfangen. Dass den in der Heimat sehr umtriebige­n Vater niemand kennt, ist klar. Aber auch Schokolade ist bisher ziemlich unbekannt in China. Bevor Julia Zotter in Shanghai aus dem Flieger ausstieg, gab es weder Kontakte noch Studien über den Markt. „Bei uns weiß ja jeder, was Schokolade ist. Aber hier haben wir uns wirklich die Frage stellen müssen: Wie erkläre ich jemandem Schokolade, der noch nie Schokolade gegessen hat?“ Factory-Tour. Es hat zwei Jahre gedauert, bis Julia Zotter eine Antwort auf diese Frage gefunden hat. Das „Schokolade­ntheater“ist keine Bühne, sondern eine Tour. Die Gäste werden erst einmal an den verschiede­nen Rohmateria­lien vorbeigefü­hrt, den Bausteinen der Schokolade. „Alles ist eine geführte Tour in Shanghai. Alles ist sehr persönlich. Es braucht wesentlich mehr Interaktio­n als in Bergl. Dort kommen Leute hin, um einen ganzen Tag Schokolade zu essen. Die Chinesen kommen aber eher für das Erlebnis.“Die Österreich­Karte spielt Zotter im Marketing eher subtil, sagt sie. „Wir rücken nicht in den Vordergrun­d, dass wir aus Österreich kommen. Aber die Chinesen freuen sich über Kürbiskern- und Marzipansc­hokolade. Am Anfang dachte ich, wir könnten mit Reis und Soja punkten – aber das haben die Menschen hier eh überall. Im Einführung­sfilm in Shanghai ist schon ein bisschen Österreich-Kitsch drinnen. Donauwalze­r und Kühe.“

Laut Zotter ist ihr „Theater“die einzige Factory-Tour in ganz Shanghai. Das Konzept funktionie­rt. Denn an Vergnügung­en und Attraktion­en ist die Stadt bis heute eher arm. „Als Familie

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