Woher die Wiener ihre Küche nahmen
Die österreichische Küche gibt es eigentlich gar nicht. Die Wiener Küche Regionalküchen entstanden – was auch einen politischen Aspekt hatte. ist aus einem Sammelsurium verschiedener
Man stelle sich vor, jemand gesellt Schnitzel zu Burger, Wokgemüse zu Spaghetti Bolognese, Asianudeln zu Backhendlsalat, nimmt noch Wurstsemmeln, Pizza, Grillkoteletts und Steaks dazu, garniert es mit flüssigem Schokokuchen, Tiramisu und Baklava und nennt das ganze Wiener Küche. Auch wenn das ein beliebiges Sammelsurium hierzulande beliebter Speisen ist, kommt einem genau das in den Sinn, wenn man sich die Entstehung der weltberühmten Wiener Küche genauer ansieht. Denn streng genommen ist die Wiener Küche – wahrscheinlich wirklich die einzige Küche, die nach einer Stadt benannt wurde – eine Mischung aus vielen regionalen Küchen der k. u. k. Zeit.
Natürlich ist sie heute eine eigenständische Küche, der niemand die Verbindung zur österreichischen Bundeshauptstadt streitig machen würde. Sie hat einfach viele Wurzeln, nicht nur aus den Kronländern. Sie ist die berühmte Melange aus böhmischer, adriatischer und ungarischer Küche, aus bürgerlicher Hofküche, Hausmannsküche und Bauernkost. Und obwohl jede Küche der Welt von verschiedenen Einflüssen geprägt ist, hat es die Wiener Küche geschafft, diese Mischkulanz zu ihrem Herzstück zu machen. Mehr als 4000 Rezepte. Etwas anders verhält es sich da mit der österreichischen Küche, die es streng genommen gar nicht gibt. Sie muss oft als Synonym für die Wiener Küche herhalten, was aber nicht ganz passen will. Denn Tiroler Gröstl, Kärntner Kasnudeln, Salzburger Nockerln oder ein steirischer Sterz, um nur ein paar Beispiele zu nennen, gelten gemeinhin nicht als fixe Bestandteile der Wiener Küche. Ganz so falsch ist dieses Synonym dann aber auch wieder nicht. Gibt es doch viele Klassiker der Wiener Küche, die in ganz Österreich zur kulinarischen Identität zählen: Man denke nur an eine Rindssuppe mit Einlage, an ein Backhendl, das nicht nur die Steirer vereinnahmt haben, an das Wiener Schnitzel oder auch den Apfelstrudel.
Aber zurück zur Wiener Küche, die erstmals 1787 in dem Kochbuch namens „Wienerisches bewährtes Kochbuch in 6 Absätzen vertheilet“von Ignatz Gartler erwähnt wurde. Im Lauf des 19. Jahrhunderts hat sich dann nicht nur die Wiener Küche langsam in die Richtung entwickelt, wie wir sie heute kennen. Auch die Kochbücher erlebten zwischen 1850 und 1900 ihre Hochblüte. Wie Julia Danielczyk und Birgit Peter in ihrem Beitrag „Wiener Küche als ,Archiv‘ von Identitätskonstruktionen“(Kulinarik und Kultur, Böhlau-Verlag) anführen, war allerdings die Vielfalt zu dieser Zeit weitaus größer: Während damals in Kochbüchern oft mehr als 4000 Rezepte angegeben worden sind, ist diese Zahl heute auf meist rund 60 Rezepte gesunken. Die Küche als Identitätsstifter. Dass sich die Wiener Küche im 19. Jahrhundert als solche entwickelt hat, hat allerdings nicht nur mit der Kulinarik zu tun. Dass Essen durchaus auch politisch sein kann, zeigt gerade die Entwicklung der Wiener Küche. Hier wurden Einflüsse vieler Länder und Regionen vermengt und zu etwas Wienerischem gemacht. Identität wurde also durchaus auch über die Küche geschaffen. „Der Prozess der Eingliederung fremder Küchen mutiert als Verwienerung des Fremden zu einer Kulinarik des Eigenen“, schreibt der Kulturanthropologe Konrad Köstlin in seinem Text „Die Wiener Küche“(in demselben Band). „Die Wienerin kocht Versöhnung der Nationalitäten, Eintracht der Völker“, meinte damals der Autor Erich Felder 1909. Auch das Wiener Hofratsehepaar Olga und Adolf Hess – deren Standardwerk „Wiener Küche“seit 1911 knapp 50 Mal aufge- legt wurde – schrieb: „Wäre die Küche jene kleine Welt gewesen, in der die große ihre Probe hält, so hätte die europäische Geschichte möglicherweise einen ganz anderen Lauf genommen. Die Rede ist von der klassischen und weit über Österreichs Grenzen hinaus gerühmten Wiener Küche, die zu der Zeit der habsburgischen Vielvölkermonarchie entstanden ist . . .“
Die Italiener waren in der Wiener Küche übrigens weit vor den Franzosen vertreten. Ab 1600 macht sich der italienische Einfluss bemerkbar, Namen wie Melanzani oder Biskotte erinnern daran. Ab dem 18. Jahrhundert war dann auch in Wien alles Französische schick: von der Küche über Namen bis zur Etikette. Vor allem am kaiserlichen Hof wurden Speisen gern französisch benannt. Gehalten hat sich heute etwa die Bouillon. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam dann so etwas wie kulinarischer Patriotismus auf. Speisen wurden am Hof nicht mehr ins Französische übersetzt.
Apropos Hof: Er – oder genau genommen Kaiser Franz Joseph – war dafür verantwortlich, dass sich in Wien eine regelrechte Rindfleischkultur entwickelte. Auch das sagenumwobene Wiener Schnitzel dürfte dem Kaiser ganz gut geschmeckt haben, was es noch in bisschen populärer machte.
Dass Wien als einzige Hauptstadt der Welt nicht nur ihren eigenen Wein, sondern eben auch eine eigene nach ihr benannte Küche hat, zeugt von einer besonderen Affinität der Wiener zur Kulinarik. Davon zeugt auch ein Reisebericht des deutschen Schriftstellers Friedrich Nicolai aus dem Jahr 1785 über Wien: „Ein wohlhabender Bürger isset beinahe den ganzen Tag. Schon in der Früh schlürft er im Sommer ein Paar Seidl Obers oder Milchrahm in sich, und genießt eine gehörige Anzahl Kipfl oder Milchbrödtchen dazu. Im Winter aber tunkt er seine Eierkipfl in Milchkaffee und ehe er in die Messe geht, stopft er eine gute Portion Gebetswürtsl in sich [. . .]. Zu Mittage isst er gewöhnlich vier Gerichte, und von jedem nicht zuwenig. Alsdenn setzt er sich ein halbes Stündchen in den Schwungstuhl und schaukelt sich, um die Verdauung zu befördern. Dafür kann er auch gegen vier Uhr ein tüchtiges Jausen oder Vesperbrodt zu sich nehmen.“