Amerikas verengter Blick auf die Welt
Seit den 1970er-Jahren hat sich die Auslandsberichterstattung in US-Medien halbiert. Amerikanische Zeitungen und Fernsehsender verzichten aus Kostengründen auf die teuerste Stelle in ihrer Redaktion: die Korrespondenten.
Rebecca MacKinnon, die frühere Leiterin des CNN-Büros in Peking, kann sich noch genau daran erinnern, wann ihr das nahende Ende ihrer Korrespondentenlaufbahn klar wurde. „Als ich 1992 dazustieß, war das, was auf dem Bildschirm erschien, vom Auslandsressort getrieben. Es legte den verschiedenen CNN-Shows vor, was gerade im Angebot war“, sagte MacKinnon in einer umfassenden Studie des früheren BBC-Journalisten und Medienwissenschaftlers Richard Sambrook für das Reuters Institute for the Study of Journalism. Doch im Jahr 1995 fusionierten CNN und der börsenotierte Medienkonzern Time Warner. Das brachte einen tiefen kulturellen Wandel: Die Reichweiten gewannen enorm an Bedeutung, ebenso wie der Aktienkurs von Time Warner. „Grelle Magazine begannen, und die Produzenten hatten mehr zu entscheiden, was an Auslandsberichten gezeigt werden soll.“
Diese Hinwendung zur Sensation und zum Seichten verschärfte sich nach der Fusion von Time Warner mit AOL und dem Platzen der Dot-ComBlase kurz darauf, erinnert sich MacKinnon, die heute am Open Technology Institute der New American Foundation arbeitet, einer politischen Ideenschmiede in Washington. „Der Aktienkurs stürzte ab, und die Entscheidungsfindung über die Nachrichtenthemen wanderte dauerhaft zu den Shows im Hauptabendprogramm. Ob ein Korrespondent irgendwo hinreisen konnte, hing vom Zuseherinteresse daheim ab. 2003 war es so weit, dass man mir sagte, meine Expertise stünde der Berichterstattung im Weg, die man sich erwünschte.“
Kurz darauf verließ MacKinnon CNN. Ihre persönliche Erfahrung ist bezeichnend für den Zustand der amerikanischen Nachrichtenmedien. Ihre Hinwendung zur Welt ist in den vergangenen vier Jahrzehnten drastisch gesunken. Laut einer Erhebung des Project for Excellence in Journalism hat sich allein in den Jahren 1987 bis 2004 der Anteil an Auslandsnachrichten auf den Titelseiten aller US-Zeitungen halbiert. Die frühere Korrespondentin Jill Carroll hat im Rahmen eines Forschungsprojekts des Shorenstein Center an der Harvard University im Jahr 2007 festgestellt, dass kleinere USZeitungen seit dem Jahr 2000 – also in bloß sieben Jahren – die Zahl ihrer Auslandsbüros um 30 Prozent verringert haben.
Diese Verengung des amerikanischen Blicks auf die Welt ist, wie MacKinnons Beispiel zeigt, nicht auf die gedruckten Medien beschränkt. Der US- Fernsehanalyst Andew Tyndall hat gemessen, dass die traditionellen drei großen Fernsehkonzerne ABC, CBS und NBC im Jahr 1989 jeweils rund 1500 Sendeminuten von ihren Auslandskorrespondenten bezogen haben. 20 Jahre später hat sich dieser Anteil an der Berichterstattung halbiert. Wenn man Auslandsthemen als Teil des täglichen amerikanischen Fernsehkonsums darstellt, wird die Tiefe dieses Trends noch klarer fassbar: In den 1970er-Jahren machten internationale Berichte im Durchschnitt rund 35 Prozent der Abendnachrichten aus. In den Nullerjahren waren es nur mehr zwölf bis 15 Prozent.
Für diese Entwicklung gibt es mehrere Ursachen. Die wichtigste ist die Welle von Fusionen und Übernahmen, die in den vergangenen Jahrzehnten die Medienvielfalt in den USA stark verringert hat. Jede derartige Transaktion schließt die Hoffnung ein, durch Synergieeffekte und sonstige Einsparungsmaßnahmen die Rentabilität des neuen Unternehmens zu steigern. Eine der teuersten Kostenstellen in jeder Zeitung und jeder Fernsehstation sind die Auslandskorrespondenten. Also schlägt der Sparstift besonders schnell zu. Denn die Eigenart der Arbeit als Korrespondent in der Ferne setzt ihn in eine besonders schwache Verhandlungsposition, wenn wieder einmal der buchhalterische Rasenmäher durch die Ressortbudgets rollt. Oft passiert monatelang nichts Aufsehenerregendes an seinem Ort der Stationierung – ehe plötzlich ein Krieg, eine politische Krise oder eine Katastrophe ausbricht. Billig sticht fundiert. Der zweite Grund für das Verschwinden der Auslandsberichterstattung aus Amerikas Zeitungsseiten und Abendnachrichten liegt in der Ökonomie der Nachrichtenprogrammierung. Mit dem Erscheinen des rund um die Uhr sendenden CNN im Jahr 1980 entstand in den USA der 24-Stunden-Nachrichtenzyklus – genauer: die Illusion dessen. Denn natürlich passiert nicht ständig etwas, was für die Zuseher wirklich wichtig ist. Doch um stets Programm bereitstellen zu können, um das herum sich Werbezeit verkaufen lässt, greifen die USSender auf das am billigsten zu produzierende Material zurück: Paneldis- kussionen von Experten, Analysten und Parteigängern, jenen Talking Heads und Pundits, die das Publikum mit Streiterei und Kaffeesudlesen zerstreuen. So ein Programm ist viel billiger und unterhaltsamer als eine fachkundige Reportage über ein kompliziertes Thema aus einem fernen Land.
Der dritte Grund für das Schrumpfen der Auslandsnachrichten in den USA liegt, wie auch in Europa, in der Digitalisierung der Medienwelt. Twitter und Facebook erwecken in einer englischsprachigen Gesellschaft noch mehr als im linguistisch diversen Europa den Anschein, dass man ohnehin irgendwo Gratisinformationen in der eigenen Sprache finden kann.
Und so mendelt sich eine Nachrichtenlandschaft heraus, die ähnlich aussieht wie in anderen Ländern: Wer sich für die Welt interessiert, wird von den Qualitätsmedien exzellent versorgt. Der öffentliche Sender PBS bringt Woche für Woche tolle Reportagen aus aller Welt. An dem Bericht der „New York Times“über den jüngsten Terroranschlag in London arbeiteten 15 Journalisten in der britischen Hauptstadt. Doch wem die Welt egal ist, der bekommt sie weder von seinem Kabelsender noch von seiner örtlichen Zeitung ins Wohnzimmer serviert.