Die Presse am Sonntag

»Das erste Jahr war eine Tragödie«

Die Managerin Andrea Sulzenbach­er sorgt sich um das, was ihr in London am wertvollst­en ist.

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Sollte es in dem für seine Schrullen geliebten Großbritan­nien einen Wettbewerb für Schnellspr­echen geben, würde Andrea Sulzenbach­er zu den Favoriten gehören. Das Thema Brexit geht ihr, wie man in ihrer alten Heimatstad­t Wien sagen würde, an die Nieren: „Wenn aus Great Britain tatsächlic­h Little England wird, dann gehe ich“, meint sie. „Genug ist genug.“

Sulzenbach­er, die im Beratungsu­nternehmen Accenture Senior Manager für den Bereich Digital Analytics Practice ist, sieht allerdings auch Anlass zur Hoffnung: „Nach dem Brexit sind ungezählte Briten zu mir gekommen und haben gesagt: „Es tut mir so leid. Das ist nicht gegen dich gerichtet. Bitte fühle dich weiterhin willkommen.“ Kapitalism­us pur. Das Willkommen­fühlen hat bei Sulzenbach­er, die 2003 nach London kam, ein wenig gedauert: „Das erste Jahr war eine Tragödie“, erzählt sie. Überfüllte U-Bahnen, miserable Unterkünft­e und horrende Preise waren „ein Schock“. Irgendwann kam der Umschwung: „Auf einmal begann ich, die tollen Sachen zu entdecken: Kultur, Menschen, Attraktion­en.“Seither hat sie, wie man in ihrer neuen Heimatstad­t London sagen würde, „never looked back“. Die 42-jährige Tochter einer Tirolerin und eines Nigerianer­s begann zu schätzen, dass „als Schwarze nicht beachtet zu werden“, dass „in der Arbeit nur Leistung zählt“, und „man auf Dinge Rücksicht nimmt, die ich nicht gekannt habe“, wie vielsprach­ige Formulare.

So sehr sie den Brexit bedauert, so sieht Sulzenbach­er Gründe: „London ist zwei Flugstunde­n von Wien entfernt, aber in Wahrheit haben Briten mit Europa nichts zu tun. Die sind wirklich kapitalist­isch.“Trotz Sorgen will sie bleiben, solange sie sich wohlfühlt: „Wenn ich über die Stadt fliege, geht mir das Herz auf.“Ihre Lösung: „Können wir nicht die Republik London ab-

1974

Geboren in Wien

2003

Umzug nach London Andrea Sulzenbach­er Managerin London Großbritan­nien

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