Ein Weltreisender in Sachen Fußball
Saudiarabien, Marokko, Österreich, Iran, Liechtenstein, Vietnam, Palästina, Laos oder Indonesien: Alfred Riedl hat dort seit 1988 überall Fußballer trainiert. Aber nicht Ergebnisse, vor allem seine Erlebnisse und Lebensgeschichte bewegen.
Fußball ist sein Leben, sagt Alfred Riedl. Und dann sprudelt es aus dem 67-jährigen Wiener, der nach knapp drei Jahrzehnten als Weltenbummler seit Dezember des Vorjahres wieder einmal in der Heimat ist. Er lacht, ist guter Dinge und beobachtet aus sicherer Distanz, was sich in der österreichischen Version dieses Spiels denn so tut. Einmischen werde sich der ehemalige ÖFB-Teamchef aber nicht. Er liebe den Fußball, das Arbeiten mit Spielern, das Match, die Suche nach der richtigen Taktik, die Reaktionen der Zuschauer, die persönliche Nähe zu manchem Fan, den Ärger über abergläubisch-ahnungslose Präsidenten oder heillos überforderte, aber dennoch intervenierende 4-Sterne-Generäle. Riedl genoss aber vor allem immer eines: Abenteuer, Reisen – und das Leben in Südostasien.
Allein die Liste, bei welchen Vereinen er als Spieler und später als Trainer; oder Verbänden, für die er als Teamchef an der Seitenlinie Erfolg hatte: Sie scheint endlos lang. Riedl war in Belgien engagiert, als von Bosman-Urteilen und freier Arbeitsplatzwahl noch keine Rede war. Drei Legionäre pro Klub lautete die eiserne Regel, der Wiener verließ Austria und kickte für St. Truiden (1972), Antwerpen (1974), Standard Liege (1976), er spielte auch in Frankreich bei Metz (1980). Der Stürmer wurde 1972, 1973 und 1975 Torschützenkönig, 1977 gewann er Europas Bronzenen Schuh. Mit Austria wurde er zweimal Meister, 1981 mit GAK triumphierte er im Cup. 42 Grad in Kuwait. Alles begann in Wahrheit als Coach beim Sportklub und reifte in Kottingbrunn (1986). Dann führte ihn der Fußball nach Saudiarabien (Ittihad Jeddah; 1988), gefolgt von der Rückkehr zum Sportklub, dem ÖFB (Teamchef 1990 für acht Spiele), FAVAC, Marokko (1993), Zamalek Kairo (1994), Irans Fußballverband (1996), Bahrain, Liechtenstein (1997), Vietnam (1998), Al Salmiya (Kuwait, 2001), Vietnam (2003), Palästina (2004), Vietnam (2005), Laos (2009) und Indonesien (2010) – eine schier irrwitzige Karriere.
Es sind Stationen und Klubs sonder Zahl, von Vietnam und Indonesien sprach Riedl jedoch ganz besonders offen. Dort sollte er auch bis Dezember des Vorjahres und dem Erreichen des Finales im prestigträchtigsten, national wichtigsten Bewerb, dem Suzuki Cup, bleiben. Dass Thailand gewann, schmälert seine Lebensgeschichte keineswegs, er sagt: „Ich war dort über Gebühr erfolgreich.“
Verschiedene Kulturen, Länder, Regierungen, Religionen – der Weltreisende in Sachen Fußball verstand es stets, seinen Sport vor den Problemen der Außenwelt zu bewahren. Kurz: Alles andere außer Fußball hat für ihn auf dem Platz nichts verloren. Und wie vermittelt er Fußball, worauf achtet er im Ausland? „Ich spreche Englisch, habe alle Lizenzen. Der Inhalt ist gleich“, sagt Riedl. Nur in arabischen Staaten seien ein paar wesentliche Aspekte tunlichst einzuhalten: „In Kuwait hat es tagsüber 42 Grad, da trainiert keiner. Und wenn Ramadan ist, musst du auch darauf Rücksicht nehmen. Oder wenn Gebetszeit ist.“Es ist ein Arrangieren; nach seinen Vorgaben, mit Disziplin. Das Training begann zumeist eine halbe Stunde vor dem Sonnenuntergang. Das war’s.
In Marokko oder Saudiarabien trainierte er abends, in Indonesien wurden die Übungen gesplittet. Sechs Christen trafen sich in Jakarta vormit- Alfred Riedl, Fußballtrainer
Als Spieler
Riedl (* 2. November 1949 in Wien) war als Fußballer für Austria, Antwerpen, Lüttich, Metz und GAK aktiv. Er wurde mit Austria 1969 u. 1970 Meister, wurde 1972 und in Belgien 1973 u. 1975 Torschützenkönig. 1975 gewann er den Bronzenen Schuh.
Als Trainer
feierte er seine größten Erfolge im Ausland. Stationen: 1988 Ittihad (SAE) 1991 Khouribga (MAR) 1994 Kairo 1996 Iran 1997 Liechtenstein 1998 Vietnam 2001 Al-Salmiya (Kuwait) 2002 Vietnam 2003 Palästina 2004 Vietnam 2008 Hai Phong 2009 Indonesien 2014 Makassar bis zuletzt wieder Indonesiens Verband.
In Österreich
war Riedl Teamchef: 1990 nach dem 0:1 gegen die Färöer Inseln gekommen, nach acht Spielen (ein Sieg) wieder gegangen. tags für eine Stunde, der Rest der Mannschaft stieß abends („dann beginnt dort das Leben erst“) zur gemeinsamen Session dazu. Dass der Islam Sportlern erlaubt, den Ramadan auszusetzen oder nachzuholen, sei richtig. „Ohne trinken und essen, das geht doch nicht. Sonst kippt dir ja der Spieler auf dem Platz um.“ Wie wird man Palästina-Teamchef? Es sind jedoch nicht nur Spiele, Tore oder die „Einbildungen mancher Präsidenten, die mir in die Aufstellung dreinreden wollten – aber nie durften“, erzählt Riedl, was ihn selbst motiviert und in dieser Branche vorangetrieben hätte. Es war stets der Enthusiasmus, die Freude am Spiel. Egal, ob er jetzt in Liechtenstein („Nur wegen meiner Frau habe ich den Job angenommen, sie ist mein Lotto-Sechser“), im Iran oder in Palästina („Das Basiscamp war in Nordägypten, sie träumten von der WM 2006, und Arafat wollte mich unbedingt kennenlernen – aber für Politik bin ich nicht zu haben!“), Österreich („Der geniale Präsident Mauhart hat mich geholt, sich gegen Palme und Ludwig durchgesetzt“), Vietnam oder Indonesien, einem Land mit 246 Millionen Einwohnern, tätig war. Spaß, Training, Einstellung, Disziplin – das vermittelt Riedl in diesen Kulturen offenbar derart speziell, dass ihm Spieler und Menschen sofort folgen. Dabei hielt er sich stets an seine Regel: „Ich bin Teamchef, schaue mir nur Erstligaspiele an – den Rest müssen sie vor Ort schaffen.“
Wie man aber als Österreicher in all diese Länder kommt? Wo bewirbt sich ein Wiener für das Amt in Vietnam? Riedl lacht, erzählt von Anrufen, E-Mails, Kontakten mit Managern, Versprechen finanziell wohl gebetteter Mäzene; zumeist sei es aber Mundpropaganda, ausgelöst durch Siege oder anschaulichem Spiel. Und dann ruft etwa ein wohlhabender Reisebürochef an, freilich auf Vermittlung, und bietet diesen Posten an. Denn gelte es alles – Umfeld, Cotrainer, Arbeitsplatz, Gage („Immer einen großen Teil voraus“) und Laufzeit („Meist ein Jahr, macht es für alle leichter“) – zu überlegen, die Ziele abzustecken. Riedl: „Dann trifft man sich, macht alles aus. Bei Palästina genügte nur der Handschlag.“
Dennoch, nicht immer laufe es reibungslos. Oft, sicherlich viel zu oft, habe es Probleme gegeben. Weil Ergebnisse nicht übereinstimmten mit Erwartungen und der Wirklichkeit, die sich manch Klubchef eben gern rosa ausmalt. In Vietnam wurde er einmal sogar nach nur drei Spielen „gefeuert“. Vor „Wickel“hat Riedl keine Angst, warum auch. Man trennt sich eben wieder, „jedoch erst, wenn auch der allerletzte Cent überwiesen ist“. Auch dafür wird er in der Szene, besonders von Kollegen, geschätzt und respektiert. Nierenspender aus Vietnam. Dieses Ansehen wird nicht nur in der Businesswelt transportiert, Fußball reicht doch schließlich tief in die Wurzeln jeder Gesellschaft. Dass ihm 2007 ein Vietnamese, der einem landesweiten Rettungsaufruf gefolgt war, eine Niere spendete, war ein Ereignis, das über jeden Fußballplatz hinausreichte. Der populäre Teamchef, der Hanoi besser kennt als das Salzkammergut und die Kultur Vietnams ungeheuer auslobt, ist auch zehn Jahre später noch darüber „mehr als nur dankbar“. Der Kontakt zum Spender ist zudem nie abgerissen. Er ist einer von seinen „vielen Freunden, weltweit“. So definiert sich für Riedl auch prompt der Begriff Heimat: immer dort, wo Familie, seine Freunde sind. Allerdings, die Gesundheit habe dabei stets Vorrang. Dann sind Bälle, Tempo, Pässe, Abseits und alles andere vollkommen egal. Alle paar Monate erfolgt der Check.
Alfred Riedl steckt voller Geschichten, lehnt aber eine Biografie entschieden ab, weil er alles, „nur nicht eitel“sei. Der Begriff Heimweh blieb ihm über all die Jahre fremd, wenngleich er einwirft, die „Sehnsucht auf das Heimfahren“doch ganz gut zu kennen. „Heimfahren war immer leiwand, die Ankunft in Schwechat ist doch super. Österreich ist für mich wirklich Weltklasse!“Er sagt, österreichische Kost schon oft vermisst zu haben, Schnitzel und Zander seien fürwahr Delikatessen. Kaffee, Heurigen, man merkt, dass er das Dasein auch in Pottendorf, „unserer Oase“, genießt. »Oase« in Pottendorf. Vermissen würde er dann trotzdem etwas. Sind Typen seines Formats denn für die Pension überhaupt tauglich? Nichts tun, wäre ein Weltenbummler dann nicht auch „gestrandet“? Und was machen dann all die patscherten Klubchefs, Politiker und Generäle in den jeweiligen Ländern, wenn sie der Wiener nicht mehr kritisiert? Es sind Fragen, die Alfred Riedl sich selbst beantworten muss – vielleicht doch noch einmal in Vientiane. Die Episode mit dem laotischen Minister, den er einst hochkant aus der Kabine schmiss, wird er gewiss noch einmal erzählen. „Das war eher unabsichtlich. Wir hatten ein wichtiges Spiel, und dann steht da in der Halbzeit plötzlich ein Fremder in der Kabine. ,Who are you?‘ schrie ich, obwohl es mir eh wurscht war, und draußen war er.“Später soll der Minister für Riedl trotzdem sogar gesungen haben.
Es sind immer Distanzen, die sein Leben prägten, die Wichtigkeit der Aufgabe, die Zielsetzung als Mensch, Fußballer oder Trainer. Wohin die nächste Reise geht; bleibt er, kehrt er nach Südostasien zurück? Was ist denn dran am Gerücht, Laos wolle ihn wieder engagieren? Riedl, 67, lacht. Er wartet ab, prüft E-Mail und Handysprachbox. Momentan sei nichts Neues eingetrudelt, „alles ruhig“. Bleibe der Anruf aus, sei es auch in Ordnung. „Ich bin ja jetzt daheim.“