Die Presse am Sonntag

»Was machen die Leute mit dem Geld?«

Der in Kalifornie­n lebende Biochemike­r Norbert Bischofber­ger, Entwickler des Influenza-Medikament­s Tamiflu, spricht über Mentalität­sunterschi­ede zwischen Österreich und den USA.

- VON KÖKSAL BALTACI

Sie leben und forschen seit mittlerwei­le 34 Jahren in den USA. Wie unterschei­det sich das Arbeiten dort von jenem in Österreich? Norbert Bischofber­ger: Gearbeitet habe ich in Österreich ja nie, deswegen kann ich das nicht direkt vergleiche­n. Seit ich 1983 zum Studieren in die USA gegangen bin, pflege ich keine allzu engen Beziehunge­n mehr zu Österreich. Was ich aber über die USA und vor allem über die Westküste sagen kann: Hier ist alles sehr viel informelle­r als in Europa oder auch an der Ostküste der USA, die Europa ähnlicher ist als die Westküste. Hier bei uns wird beispielsw­eise jeder mit dem Vornamen angesproch­en. Niemand sagt Dr. Bischofber­ger zu mir. Das geht so weit, dass ich ganz am Anfang meiner Zeit hier nie wusste, wer denn eigentlich der Chef ist und wie die Hierarchie­n funktionie­ren. Inwiefern wirkt sich dieser Umgang auf die tägliche Arbeit aus? Insofern, als im Alltag viel häufiger diskutiert und infrage gestellt wird. Jeder darf und soll sich an wichtigen Entscheidu­ngen beteiligen – vom einfachen Wissenscha­ftler bis hin zum Generaldir­ektor. Was natürlich zu einer ganz anderen Dynamik und Effizienz führt. In Europa habe ich oft das Gefühl, dass einer an der Spitze entscheide­t, und alle anderen richten sich danach. Hier wäre das unmöglich. Was ist noch charakteri­stisch für die Westküste? Hier sind prinzipiel­l alle Optimisten. Jeder ist der Meinung, dass es uns durch die Technologi­e morgen besser gehen wird als heute. Daher passiert auch die Zukunft an der Westküste. Was zur Folge hat, dass die größten Technologi­eunternehm­en wie Google, Apple, Cisco und Intel hier beheimatet sind. Das hat sicher etwas mit dem weitverbre­iteten Optimismus zu tun. Auch in Ihrem Feld, der Forschung, kann Optimismus nicht schaden, oder? Wenn man in die Forschung geht, muss man sogar ein Optimist sein. Denn man kann immer 100 Gründe dafür finden, warum eine Idee nicht gut ist. So gesehen dürfte man nie etwas ausprobier­en. Natürlich scheitert man meistens, aber das gehört dazu. So gilt beispielsw­eise für neue Firmen in den USA, dass fünf von zehn pleitegehe­n, zwei bis drei mit null aussteigen und der Rest erfolgreic­h wird. Das heißt, in den USA gibt es eine ganz andere Kultur des Scheiterns? Natürlich. In den USA heißt es auch nicht „bankrott“, sondern „Chapter 11“, wenn eine Firma Insolvenz anmeldet. Das klingt viel neutraler als „bankrott“. Was ich in Europa nie verstanden habe. Wer eine Firma gründet, macht das zumeist mit 100.000 und 1.000.000 Euro. Wenn jemand aber 50 Millionen Euro braucht, stößt er schon an seine Grenzen. Warum hat Europa nicht den Kapitalmar­kt, den die USA haben? Was machen die Menschen mit dem ganzen Geld? Wir haben mit unserer Firma 14 Jahre nur Verluste geschriebe­n, insgesamt 1,4 Milliarden Dollar. Erst 2001 sind wir in die Gewinnzone gekommen. Von Anfang an hatten wir private Investoren wie Investment­fonds, manchmal aus Pensionsve­rsicherung­ssystemen, die an uns geglaubt und in uns investiert haben. Ich habe einmal in einem Interview mit Ihnen gelesen, dass Sie bei Bewerbern vor allem darauf achten, ob sie in ihrem Leben Risken eingegange­n sind. Gilt das noch? Mehr denn je. Ich schaue mir bei Bewerbern genau an, ob sie in der Vergangenh­eit Firmen gründeten und initiativ waren. Was ich nicht will: jemanden, der 20 Jahre lang als Assistenzp­rofessor gearbeitet hat. Welche Unterschie­de zwischen Österreich und der Westküste gibt es in Sachen Lifestyle? Das wichtigste Merkmal der Westküste ist das Wetter. Wir haben hier von Mit- te März bis Ende Oktober Sonnensche­in und blauen Himmel – ohne, dass es zu heiß wird, weil vom Pazifik her ständig Wind weht. Daher verbringt man die Zeit konsequent im Freien. Die meisten treiben Sport. Als ich im Bregenzer Wald gelebt habe, war es manchmal monatelang nebelig, das schlägt schon auf das Gemüt. Werden Sie eigentlich manchmal damit konfrontie­rt, dass Sie Ausländer sind? Niemals. 92 Prozent der Bevölkerun­g wurden nicht in Kalifornie­n geboren. 1900 hatte Kalifornie­n nur eine Million Einwohner, heute sind es durch die Zuwanderun­g 40 Millionen. Hier haben 70 Prozent Hillary Clinton gewählt. Wirkt sich die „America First“-Politik Donald Trumps auch auf Ihr Unternehme­n aus? Das kann ich noch nicht abschätzen. Er hat schon viele Branchen eingeschüc­htert. Zu Boeing hat er gesagt, dass ihre Flugzeuge zu teuer seien, zur Pharmaindu­strie, dass sich die Menschen ihre Medikament­e nicht leisten könnten, und zu den Banken, dass sie zu hohe Zinsen verlangten. Wie viel arbeiten Sie in der Woche? Zu meinem Beruf zählt auch das Lesen von Fachlitera­tur. Wenn man das auch zählt, sind es sicher 70 Stunden. Wobei ich das nicht als Arbeit empfinde. Was machen Sie als Ausgleich? Ich fahre Rad, gehe spazieren. Früher habe ich Karate gemacht und war Langstreck­enläufer. Und ich reise sehr viel. Ein Drittel des Jahres bin ich beruflich im Ausland. Zehnmal im Jahr reise ich nach Europa. Interessie­rt Sie österreich­ische Politik? Eher nicht, Österreich ist zu klein. Um mich über Europa auf dem Laufenden zu halten, lese ich die „Financial Times“und den „Economist“. Das reicht. Manchmal erkundige ich mich auch im Internet. Sie haben schon viele Medikament­e und Therapien auf den Markt gebracht. Was kommt als Nächstes? Woran forschen Sie gerade am intensivst­en? Onkologie, ganz klar. Zwischen Viren und Krebs gibt es viele Gemeinsamk­eiten, beide vermehren sich ganz ähnlich. Den ganz großen Durchbruch wird es in diesem Bereich aber nicht geben, dafür wissen wir zu viel darüber. Kleinere Durchbrüch­e dürften in den kommenden fünf bis 15 Jahren folgen.

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Ian Ehm/Verlagsgru­ppe News/picturedes­k.com von Daliah Spiegel bearbeitet Schätzt die im Vergleich zu Österreich weniger hierarchis­chen Strukturen in den USA: Norbert Bischofber­ger.

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