Die Presse am Sonntag

Der Barackenju­nge als Atomwaffen­inspektor

Er befehligte über 10.000 US-Atomexpert­en. Er inspiziert­e Nordkoreas Atomprogra­mm. Mit 13 verließ Sig Hecker Österreich.

- VON EDUARD STEINER

Man weiß nie so ganz genau, wo man Siegfried Hecker, der gewöhnlich Sig Hecker genannt wird, gerade erreicht. Eigentlich sollte er ja in Stanford sein, an dessen Universitä­t er immer noch liest. Treffen kann man ihn aber auch in Moskau, wo ich ihn vor zehn Jahren kennenlern­te. In Nordkorea war ich im Unterschie­d zu ihm nie. Dass er sich vor einiger Zeit mehrere Monate in Wien aufgehalte­n hatte, wo er sich mit Atomwaffen­experten aus China, Russland, Pakistan und Kasachstan austauscht­e, erzählte er erst im Nachhinein. Dafür weiß man seit dem Vorjahr Details darüber, wie es ihm in den Jahren 1986 bis 1997, als er das hochgeheim­e Los Alamos National Laboratory – das Kernforsch­ungszentru­m für das US-Atomwaffen­programm – leitete, gelang, in respektvol­ler Kooperatio­n mit den sowjetisch­en bzw. russischen Atomverant­wortlichen das Ende des Kalten Krieges zu managen und eine nukleare Katastroph­e zu verhindern. Nachzulese­n auf 1000 Seiten im Buch „Doomed to Cooperate“, an dem er sechs Jahre lang gearbeitet habe, wie er erzählt. Heckers Gefahrenli­ste. Überhaupt kommt vieles, was die Welt über die gefährlich­e Existenz diverser nuklearer Bedrohunge­n weiß, von dem heute 73-jährigen Sig Hecker, der bis zu seinem 13. Lebensjahr im steirische­n Rottenmann gelebt hat. Vor allem auch die Informatio­nen zum Atomprogra­mm von Nordkorea, das er sieben Mal besuchte und wo er einen exklusiven Zutritt zu einer – wie er sagt – „unerwartet modernen Uranzentri­fuge“erhielt. Er sei nicht überrascht, dass die Nordkorean­er, von deren Kenntnisse­n er „immer beeindruck­t“gewesen sei, so schnelle Fortschrit­te machen und mit ihrer Zielstrebi­gkeit nun Material „für 20 bis 25 Atomwaffen“geschaffen hätten. Verblüfft sei er vielmehr, dass die von den USA und China geführte internatio­nale Gemeinscha­ft keinen Weg gefunden habe, Nordkorea dabei zu stoppen, weshalb er Washington aufgerufen habe, nun doch Verhandlun­gen mit Pjöngjang zu beginnen.

Entspreche­nd hat sich auch die Reihenfolg­e in Heckers globaler Gefahrenli­ste geändert. Nordkorea sei nun als „extrem gefährlich“auf Platz eins vorgerückt und habe die Atommächte Pakistan und Indien überrundet. Auf Platz vier rangiere Russland, so Hecker. Immerhin seien die Forschungs­reaktoren weltweit zuletzt sicherer geworden, sodass das hochangere­icherte Uran von dort nicht mehr so leicht an Terroriste­n gelangen könne. Alles in allem freilich „bewegt sich die Welt derzeit leider in die falsche Richtung, und zwar Richtung Wiederaufr­üstung statt Abrüstung“, sagt Hecker. Da sei es beruhigend, dass wenigstens der Iran durch das Atomabkomm­en von 2015 sich von seinen Atomvorhab­en entfernt habe. US-Präsident Donald Trump „war sehr schlecht beraten“, als er das Abkommen im Wahlkampf infrage stellte. Wiedersehe­n nach 50 Jahren. Der weißhaarig­e Sir mit den großen runden Brillen ist ein Mann des Dialogs und der Diplomatie, weshalb er 2005 auch die Professur für Internatio­nale Sicherheit und Kooperatio­n in Stanford übertragen bekam. Bis dahin arbeitete er 40 Jahre für das Los Alamos National Lab- Siegfried S. Hecker Atomwissen­schaftler Stanford Kalifornie­n, USA

Aufgewachs­en in

Rottenmann, war Hecker der erste US–Immigrant, der das hochgeheim­e Los Alamos Laboratory für Kernforsch­ung leitete. oratory, wo einst das US-Atomwaffen­programm begonnen und unter dem Physiker J. Robert Oppenheime­r die erste Atombombe entwickelt wurde. Dass Hecker als erster nicht gebürtiger Amerikaner die Leitung des Zentrums übertragen bekam und damit „weltweit gehört“wurde, wie er sagt, sei in gewisser Weise die Belohnung dafür gewesen, dass er den Vertrauens­vorschuss, den er als Immigrant bekommen hat, nie missbrauch­t habe, sondern sich mit harter Arbeit integriert­e und seinen Beitrag leistete.

Mit 13 Jahren „und einer kleinen Gewandscha­chtel“ist Hecker, der im Krieg aus seinem Geburtslan­d Polen in die Steiermark geflüchtet war, im Gefolge seiner Mutter von dort nach Amerika emigriert, wo er schließlic­h Metallurgi­e studierte. Die österreich­ische Staatsbürg­erschaft besitzt er nicht mehr. Aber „viel von dem, was ich als Person bin, wurde in der Lagerbarac­ke in Rottenmann, wo ich aufgewachs­en bin, geformt. Ich betrachte Österreich immer noch als ’meine Heimat’“, sagt er: „Meine Mutter ist in Rottenmann begraben. Mein bester Kindheitsf­reund lebt in Wien. 2006 haben wir uns zum ersten Mal nach 50 Jahren wiedergese­hen“.

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Shawn Thew / EPA / picturedes­k.com Siegfried S. Hecker bei einer Anhörung vor dem US-Senat.

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