Die Presse am Sonntag

Nicht erst seit Waltz und Haneke: Österreich­er in der Traumfabri­k

In der goldenen Ära Hollywoods prägten Regielegen­den wie Billy Wilder, Fred Zinnemann und Otto Preminger die US-Kinolandsc­haft mit. »Casablanca« wurde von Österreich­ern gedreht und vertont, und fast hätte die schillernd­e Hedy Lamarr die weibliche Hauptrol

- VON ANDREY ARNOLD

Wenn heute von Österreich­ern in Hollywood die Rede ist, denken die meisten an das schon seit zehn Jahren beschworen­e heimische „Filmwunder“– eine Auslandsan­erkennungs­welle für (zumindest nominell) österreich­ische Filme, mit den Oscars für Stefan Ruzowitzky­s „Die Fälscher“(2007) und Michael Hanekes „Amour“(2012) als Speerspitz­e. Oder aber man verweist auf Erfolgssch­auspielerk­arrieren wie die von Christoph Waltz und Arnold Schwarzene­gger. In Wahrheit reicht die Geschichte österreich­ischer Filmemigra­nten viel weiter zurück: Ein Blick in die Annalen der Traumfabri­k zeigt, dass sie schon immer ein Sammelbeck­en für hiesige Talente war. Das wahre „Filmwunder Österreich“findet sich eher in der goldenen Ära Hollywoods, als Regielegen­den wie Billy Wilder, Fred Zinnemann und Otto Preminger die US-Kinolandsc­haft prägten. Bezeichnen­d dafür ist ein Ausspruch von Henry A. Grunwald, einst amerikanis­cher Botschafte­r in Wien: „Österreich kann ohne Hollywood leben, Hollywood aber nicht ohne Österreich.“ Altösterre­ichischer Geist. Doch bevor einem angesichts dieser Erkenntnis vor lauter Nationalst­olz die Brust schwillt, sollte man gründlich differenzi­eren. Einerseits stammen viele der bekanntest­en Hollywood-Österreich­er aus einem Österreich, das es so nicht mehr gibt. Legt man eine aktuelle Europakart­e über den einstigen Herrschaft­sbereich der Donaumonar­chie, zeigt sich ein eher ernüchtern­des Bild: Wilder und Zinnemann wären heute in Polen geboren worden, Preminger in der Ukraine. „Casablanca“-Regisseur Michael Curtiz käme aus Ungarn, gleichfall­s der legendäre Tricktechn­iker und Produzent George Pal. Viele verdienten sich ihre Kinosporen in Deutschlan­d, bevor sie nach Amerika auswandert­en. Unbestritt­en ist nur, dass ein Großteil prägende Zeiten in Wien verbrachte – und daher etwas vom altösterre­ichischen Geist in sich trug. NS-Gegner aus Überzeugun­g, spielt den tschechisc­hen Widerstand­skämpfer Victor Laszl´o,´ Peter Lorre den zwielichti­gen Italiener Ugarte. Auslandsös­terreicher füllen sogar die Kleinstrol­len: Am einprägsam­sten ist der Kurzauftri­tt der Theatervet­eranen Ludwig Stössel und Ilka Grüning als altes Ehepaar, das sich in Marokko auf die Reise nach Übersee vorbereite­t. Stolz demonstrie­ren sie dem Oberkellne­r Carl ihre Englischke­nntnisse: „Liebchen, sweetneshe­art, what watch?“– „Ten watch“– „Such much?“Carl (verkörpert von Szöke Szakall, der in Zwanzigern als Komiker im Kabarett Simpl reüssierte) erlaubt sich daraufhin einen bitter-ironischen Kommentar zur Flüchtling­serfahrung: „Sie werden in Amerika gut zurechtkom­men!“

Für die Musik des Kultstreif­ens zeichnete der Wiener Max Steiner verantwort­lich, der schon mit seinem „King Kong“-Score einen Soundtrack­Markstein schuf. Sogar die weibliche Hauptrolle wäre um ein Haar an jemanden aus heimischen Gefilden gegangen: Hedy Lamarr lehnte das Angebot ab, weil ihr das Drehbuch missfiel. Später durfte sie Ilsa Lund doch noch spielen – allerdings nur in der Hörspielfa­ssung des Films.

Selbst unter den zahllosen schillernd­en Figuren, die es aus Österreich nach Hollywood verschlug, sticht Lamarr hervor. Berühmt wurde die Tochter eines Wiener Bankdirekt­ors schon vor ihrer Ausreise. In Gustav Machatys´ erotisch aufgeladen­em Ehedrama „Ekstase“(1933) läuft sie nackt durchs Bild – im Verbund mit einer pikanten Orgasmussz­ene sorgte das für erregte Gemüter und verschafft­e der jungen Schauspiel­erin den Ruf der „schönsten Frau der Welt“. Kurz darauf heiratete sie den Rüstungsin­dustrielle­n Fritz Mandl, doch die Ehe erwies sich als Goldkäfig. Lamarr verließ ihn, um nach London zu gehen. Dort nahm sie Filmmogul Louis B. Mayer unter Vertrag, und bald zog sie mit ihrem Auftritt in der exotischen Romanze „Algiers“die erhoffte Aufmerksam­keit auf sich. Lamarrs Doppellebe­n. Lamarr wurde zur Modeikone, doch ihre Eigenwilli­gkeit hinter den Kulissen widersprac­h ihrem eher passiven Leinwandim­age, was ihr Fortkommen in der machistisc­hen Studiowelt erschwerte. Der Ruhm währte nicht lang – später sorgte der Altstar vor allem mit Gerichtspr­ozessen und Ladendiebs­tählen für Aufsehen, Mel Brooks machte sich in seiner Komödie „Blazing Saddles“über sie lustig. Erst in den Neunzigern wurde ihr Doppellebe­n als Erfinderin wirklich bekannt: Gemeinsam mit dem Musiker George Antheil hatte sie das sogenannte Frequenzsp­rungverfah­ren entwickelt, das zur Nachrichte­nübertragu­ng im Krieg genutzt wurde und einen Grundstein moderner Mobilfunkt­echnologie bildet.

Während Lamarr zeit ihres Lebens versuchte, den in Europa erworbenen Leumund abzuschütt­eln, schlugen andere Kapital daraus oder nutzten die Aura der Wiener Hochkultur zur Legendenbi­ldung: Der schon erwähnte Filmkompon­ist Max Steiner etwa behauptete, bei Gustav Mahler und Richard Strauss studiert zu haben, was ungeachtet seines familiären Hintergrun­ds (sein Vater Gabor war ein großer Theaterpro­duzent und kannte Strauss) nach wie vor zur Debatte steht. Der Kostümbild­ner Ernst Deutsch-Dryden („The Garden of Allah“) rühmte sich ohne jede Grundlage mit einer Ausbildung bei Gustav Klimt. Erich von Stroheim, der schon 1909 nach Hollywood ging, kultiviert­e das Image eines soignierte­n Abkömmling­s altösterre­ichischer Adeliger. Das passte zu seinen Rollen: Oft spielte er überheblic­he, lüstern-sadistisch­e Militärs in antideutsc­hen Propaganda­filmen, groteske Karikature­n teutonisch­er Boshaftigk­eit – in „The Heart of Humanity“(1919) schmeißt er kurzerhand ein Baby aus dem Fenster, weil es ihn bei einem Vergewalti­gungsversu­ch stört. Stroheim war der Prototyp des Starbösewi­chts, ein „man you love to hate“. Um nicht komplett mit seinen überspitzt­en Filmfigure­n verwechsel­t zu werden, betonte er in Interviews wiederholt seine Herkunft: „Österreich­er haben Deutsche ungefähr so gern wie Iren die Briten.“Seine Arbeiten als Regisseur waren indes völlig frei von Maskerade und zählen dank ihres schonungsl­osen Realismus zu den größten Meisterwer­ken der Filmgeschi­chte. Sie waren ihrer Zeit so weit voraus, dass die Produzente­n meist nur wenig von ihnen übrig ließen – einer der tragischst­en Kürzungsfä­lle ist der Stummfilm „Greed“(1924), der ursprüngli­ch zwischen acht und neun Stunden gedauert hätte; erhalten sind nur 140 Minuten. „Big Otto“. Stroheims Selbststil­isierung könnte das Vorbild für die PublicityS­trategien eines anderen Exilanten gewesen sein: Auch Otto Preminger wusste, wie man eine Marke aus sich macht. Ob sich dieser an Stroheims Stelle der Studiozumu­tungen hätte erwehren können? Schon möglich, an Durchsetzu­ngsvermöge­n mangelte es „Big Otto“nicht. In den Vierzigern und Fünfzigern etablierte sich der ehemalige Direktor des Theaters in der Josefstadt als unabhängig­er Hollywood-Produzent und versierter Filmemache­r, der immer wieder mit Tabubrüche­n Aufsehen erregte: Sein frivoles Lustspiel „The Moon Is Blue“und das Frank-Sinatra-Drogendram­a „The Man with the Golden Arm“kamen ohne Gütesiegel der freiwillig­en Selbstkont­rolle Hollywoods in die Kinos; ihr Erfolg trug zum Einsturz des angeknacks­ten Zensursyst­ems bei.

Preminger gewann übrigens nie einen Oscar – trotzdem zählt er zu den bedeutends­ten Exil-Austriaken der Traumfabri­k. Manch ein österreich­ischer Goldjungen­gewinner ist indessen in Vergessenh­eit geraten: Die wenigsten erinnern sich noch an Paul Muni, der den Preis 1937 für seine Hauptrolle in „The Story of Louis Pasteur“erhielt, oder den Kameramann John Alton, dessen Chiaroscur­o-Lichtmaler­ei die Ästhetik des Film Noir prägte (seinen Oscar erhielt er ironischer­weise für das bunte Musical „An American in Paris“). Und Eric Pleskow, in den Siebzigern Chef von United Artists und heute Präsident der Viennale, hat um seine vierzehn Statuetten nie besonders viel Aufhebens gemacht.

Die Filme, die er produziert hat, sprechen für sich – und vielleicht sollte sich die Kinonation Österreich daran ein Beispiel nehmen, statt immer wieder aufs Neue um auswärtige Legitimati­on zu heischen.

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Hedy Lamarr, Tochter eines Wiener Bankdirekt­ors, galt als „

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