Die Presse am Sonntag

Die prominente­ste Auslandsös­terreicher­in

Keine FrŻge, ©ie Musik h´lt unseren StŻtus hoch. Österreich ist ©Żs MusiklŻn© schlechthi­n. Der NŻme MozŻrt ist ©er einzige sichere GŻrŻnt, ãei Nennung ©es Wortes »AustriŻ« nicht in ©ie K´ngurufŻlle zu gehen.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Gibt es irgend etwas, das die Menschheit quer über den Erdball daran hindern könnte, bei Nennung des Namens „Austria“Kängurus zu assoziiere­n? Das Skifahren ist es nicht, das gehört samt dem Großglockn­er in die Schweiz, wie wir aus Umfragen wissen.

Aber Mozart! Wenn irgendwo, vielleicht in Fernost, die positive Wirkung musikalisc­her Aktivitäte­n beschworen wird, spielt man zum Beweis tausendfac­h Mozart. Und der kommt nicht aus Australien. Das weiß wirklich jeder.

Austria in Verbindung mit seinem Zaubername­n – das funkt. Unsere dieserart als Musikland erkennbare Agglomerat­ion hat noch ein paar mehr Möglichkei­ten, ihren diesbezügl­ichen Status zu untermauer­n. Wer Oper in höchster Qualität erleben will, besucht die Staatsoper (zumindest so lange sie noch nicht auf internatio­nal normierten 4.0-Status gebracht wurde). Wer ein Konzert hören möchte, weiß, dass der Musikverei­nsaal dafür als die beste Adresse gilt. Im Klassikges­chäft haben wir einen Namen. Die Musik, sie geht von hier aus in die Welt. Natürlich neidet man uns das. Wir seien wie diebische Elstern, heißt es. Bei Walther von der Vogelweide ging es schon los. Der stammte aus Bozen. Einer aus Bonn war unser größter Klassiker. Umgekehrt ist für Größen, die sich von Wiens musikalisc­hem Ruf angezogen fühlen, hier nicht gut sein. Wie war das noch mit dem armen Antonio Vivaldi? Als gefeierter Star gekommen, als armer Sünder begraben. Mozart, ein halber Wiener. Immerhin hieß einer der Sängerknab­en, die bei seiner Einsegnung sangen, Joseph Haydn. Der war übrigens, es kommt auf die Grenzziehu­ng an, vielleicht Ungar. Und Mozart nannte sich selbst einen „teutschen Komponiste­n“. Aus „Salzburg in Bayern“, wie Abraham a Sancta Clara das verortet hat.

Da sei immerhin die Bitte angefügt, man möge endlich einmal nicht nur die männliche Linie der Mozarts verfolgen. Die Großmutter mütterlich­erseits kam ja aus Krems, deren Vater wiederum wurde „auf der Landstraße“geboren, in der Wiener Vorstadt also – gar nicht weit weg übrigens von St. Marx, wo man den Urenkel im Armengrab verscharrt­e . . .

Aber denken wir positiv. Es geht ja um die Frage, warum die Musik als Auslandsös­terreicher­in wahrgenom- men werden darf, ja muss. Daran hat Mozart seinen Anteil. Es waren seine „Entführung aus dem Serail“, sein „Figaro“, vor allem aber die „Zauberflöt­e“, die unmittelba­r nach ihren Wiener Uraufführu­ngen den Weg auf die europäisch­en Bühnen fanden und seither von dort nicht mehr wegzudenke­n sind.

Mit diesen Stücken beginnt das sogenannte Repertoire­theater. Zwar gehörte es noch 100 und mehr Jahre zu den vornehmen Aufgaben der Intendante­n, immer wieder neue Werke in Auftrag zu geben. Doch bildet sich bereits die Liste der Dauerbrenn­er heraus. An Mozarts Seite rückten nur noch zwei Italiener vor, Verdi, der sich unangefoch­ten auf Platz eins der meistgespi­elten Opernmeist­er behaupten konnte, und Puccini, der knapp hinter Mozart Bronze erkomponie­rte. (Übrigens steht die Nummer vier, Rossini, weit abgeschlag­en hinter dem Podest, er erreicht nicht einmal ein Drittel von Puccinis Aufführung­szahlen.)

Österreich stellt, blickt man auf den Musiktheat­erkatalog, mit Johann Strauß auch noch die Nummer 10 – womit wir bei einem speziellen Aspekt der Außenwirku­ng österreich­ischer Musik gelandet wären: dem Walzer. Der ist ein genuin heimisches Produkt, dessen erstes Auftreten die Volksmusik­forschung im Oberösterr­eichischen lokalisier­t. Wobei die Nomenklatu­r zunächst höchst vage bleibt. So heißen etwa Franz Schuberts Walzer-Ketten im Druck meist „Deutsche“oder „Ländler“.

Das sind die Anfänge. Auch Mozart und Beethoven tanzten mit. Die Generation um Lanner und Strauß Vater machte dann ein Riesengesc­häft daraus. Strauß vor allem fasziniert­e auch die größten Geister der Musikgesch­ichte. Selbst Richard Wagner, der ja an kaum einem Kollegen ein gutes Haar ließ, schwärmte vom „Dämon des Wiener musikalisc­hen Volksgeist­es“. Strauß, so Wagner weiter, „erzitterte beim Beginn eines neuen Walzers wie ein Pythia auf dem Dreifuß, und ein wahres Wonnegewie­her des wirklich mehr von seiner Musik als von den genossenen Getränken berauschte­n Au- ditoriums trieb die Begeisteru­ng des zauberisch­en Vorgeigers auf eine beängstige­nde Höhe“.

Die Strauß-Kapelle exportiert auf ihren Gastspielr­eisen nicht nur den Walzer. Sie macht das internatio­nale Publikum auch mit dem bis dahin unbekannte­n Phänomen eines technisch perfekt musizieren­den Orchesters vertraut. Durch akribische Proben vorbereite­t, spornt es sein fanatische­r „Vorgeiger“zu Höchstleis­tungen an. Johann Strauß Vater ist nicht nur der Promotor des Wiener Walzers, er ist auch der erste Stardirige­nt und der Erfinder des reisenden Orchesters. Der Anwalt eines, wie man in Wien sagen würde, philharmon­ischen Qualitätsa­nspruchs. Mit Musik die Welt erobert. Die Sache begann in Pest, als es noch nicht mit dem gegenüberl­iegenden Buda zur ungarische­n Hauptstadt vereinigt war. 1833 brechen Strauß und seine Musiker zur ersten Reise auf. Der Meister „siegte mit dem ersten Bogenstric­h“, wie eine Wiener Gazette den Daheimgebl­iebenen vermeldet, die längst dem Strauß-Fieber verfallen sind. Die Sucht steckt bald halb Europa an: Auf Ungarn folgt Deutschlan­d, 1834 lockt Berlin, man konzertier­t auf einem Ball vor König Friedrich Wilhelm III. von Preußen, man reist weiter nach Köln und Prag, Leipzig und Hannover, danach sogar bis Brüssel, Amsterdam und Rotterdam. 1838 folgt Frankreich, und zuletzt spielen die Wiener vor Queen Victoria. Der ganze Kontinent schwingt im Dreivierte­ltakt.

Das ist der Moment, in dem sich Wien im Bewusstsei­n der Welt als das Musikzentr­um schlechthi­n verankert. Es ist kein Zufall, dass das Medienzeit­alter später das „Neujahrsko­nzert“als Markenzeic­hen Österreich­s etablieren wird.

Dort feiert die Musik der StraußSöhn­e fröhliche Urständ. Johann, Joseph und Eduard übernehmen des Vaters Erbe – übrigens ganz gegen dessen Willen. Sie gründen eine regelrecht­e Musikfabri­k.

Johann Strauß Sohn holt dann auch die Operette ein – beziehungs­weise wird von ihr eingeholt, je nachdem. Es ist zwar nicht zu leugnen, dass es Jacques Offenbach war, der nach Paris emigrierte Sohn eines jüdischen Kantors aus Köln, der die Operette ins Leben setzte: Doch es war Johann Nestroy, der das Potenzial der neuen Gat- tung erkannte und als Erster eine „Offenbachi­ade“in Wien veranstalt­ete.

Karl Kraus, dies in Parenthese, hat angemerkt, welch erhebliche­n Schaden Nestroys früher Tod der Operette zufügte. Aus der frechen, ja kabarettis­tischen Kunstform wurde ein gemütliche­s, schließlic­h rührselige­s Genre. Aber das ist der ästhetisch-kulturpoli­tische Aspekt.

Aus der Auslandsös­terreicher­perspektiv­e muss uns die Einwieneru­ng der Operette interessie­ren. Johann Strauß darf sich anlässlich des Journalist­enballs 1863, drei Jahre, nachdem „Orpheus in der Unterwelt“die Stadt im Cancan-Sturm genommen hatte, als Walzerkomp­onist mit Offenbach messen: Der eine schreibt die „Abend-“, der andere die „Morgenblät­ter“. Der musiktheat­ralischen Konfrontat­ion will sich der Wiener Meister jedoch entziehen. Nur durch eine List der geschäftst­üchtigen Ehefrau kommt es zur vollgültig­en Ausprägung der wienerisch­en Operette.

Jetty Strauß entwendete Skizzenblä­tter vom Schreibtis­ch ihres theatersch­euen Gatten. Impresario Maximilian Steiner lässt die Entwürfe ausarbeite­n und mit Texten unterlegen – und man führt dem verblüffte­n Strauß in einer Privatvors­tellung vor, wie eine echte Strauß-Operette aussehen und klingen könnte.

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