Der zarte Farbverlauf der Dinge
Früher musste jeder Künstler, der etwas auf sich hielt, nach Paris. Heute findet man dort nur noch wenige österreichische Künstler. Susanna Fritscher ist eine davon, voll integriert in die Szene und heuer sogar bei der Lyon Biennale vertreten.
Eine Österreicherin, die seit 34 Jahren praktisch in Paris lebt – genauer gesagt in Montreuil, einem Vorort von Paris –, bei einem ihrer Besuche in Wien gerade im Cafe Francais¸ zu treffen, ist natürlich ein wenig billig. Aber die Künstlerin Susanna Fritscher (* 1960) hat da weder große Sentimentalitäten in die eine noch in die andere Richtung: Ist sie hier in Wien, was sie prinzipiell eher selten ist, denkt sie nicht an Paris. Und umgekehrt, in ihrer Wahlheimat, befällt sie auch kein Heimweh.
Keine Sehnsucht also. Zumindest keine nach einem Ort. Und sicherlich nicht nach dem Ort, den die zurückhaltend wirkende Künstlerin mit den lebhaften Augen einst, in den 80er-Jahren, fast schon fluchtartig verlassen hat. Da kam ihr, dem äußerst erwartungsvollen „Provinzkind“aus Niederösterreich, Wien einfach völlig in sich verschlossen vor, hermetisch verschlossen. „Vielleicht bin ich auch schlicht zu spät gekommen“, meint sie heute. „Von der Stimmung der 1970erJahre, von den Aktionen und Performances, war zu meiner Wiener Zeit jedenfalls nichts mehr zu spüren.“ Weg von der Meisterklasse. Fritscher hatte damals Kunstgeschichte und auf der Angewandten Keramik zu studieren begonnen. Nach einem Jahr schon beschloss sie aber, sie müsse hier weg. Weg aus dem sie einengenden Meisterklassen-Prinzip. Und weg aus dieser engen Stadt überhaupt. Wie viele andere auch, kann sie sich erinnern. Die Offenheit, die sie suchte, fand Fritscher an der Kunst-Universität in Bourges: „Hier konnte man sich frei orientieren, war nicht an einen Professor gebunden.“Französisch sprach sie zwar nur ein bisschen, aber gerade dieser Wechsel in der Sprache habe sie interessiert, wie Sprache sie überhaupt fasziniert, ja geprägt habe, schon in Wien: Elfriede Jelinek, die konkrete Dichtung der Wiener Schule, das, sagt Fritscher, führte zu einer Gedankenfreiheit, die sie zuvor nicht kannte.
Das sei auch der Einfluss, der in ihrer Arbeit heute spürbar wäre, meint sie – in der würden übrigens weder Keramik noch Sprache direkt vorkommen. Fritscher ist bekannt für ihre sehr minimalistischen, diskreten, dafür aber raumgreifenden Installationen und bisweilen auch architektonischen Interventionen. Bei denen sie mit Licht, Farbe und leichten Materialien arbeitet. Wandern durch weiße Räume. So inszenierte sie etwa 2014/15 eine „Weiße Reise“für die Besucher, für die sie einen französischen Kunstraum von einer raumhohen, mäandernden, schwebenden, semitransparenten Folie in unsichere Wege teilen ließ. So spannt sie weiße Fäden wie Lichtstrahlen durch den Raum, die Blicke und Wege versperren. In Wien kennt man sie nur indirekt (sie stellte in Österreich überhaupt nur zwei Mal regulär aus, vor Jahren im Wiener Institut Francais¸ und in der Galerie Thoman in Innsbruck): Aber jeder, der am neuen Flughafen-Terminal in Schwechat ankommt, wird – ohne mit ihrem Namen groß belästigt zu werden – durch eine von Fritschers Licht-Farb-Interventionen begrüßt. Fritscher gestaltete nämlich die Glaswände der Passagierbrücken, deren Beschichtung elegant von Weiß zu Schwarz überläuft, um so schließlich in der anstoßenden Mauer aufzugehen.
Auch die Lichthöfe des neuen Terminals hat sie, farblich ähnlich subtil, gestaltet, „die Farbe sollte die Reisenden ganz zart begleiten“, erklärt sie. Leider verhinderten die Sparpläne schließlich die Ausführung, wie Fritscher sie sich gewünscht hätte und wie sie abgesprochen war – „als die Einsparungen kamen, waren wir schon in Produktion, man konnte nichts mehr adaptieren“.
Aber die Künstler, seufzt sie, seien bei derlei Problemen nun einmal am Ende der Kette, hilflos, ausgeliefert. Jedesmal schmerze es sie jetzt also, wenn sie in Schwechat landet, wenn sie heimkehrt. Wenn sie sieht, wie ihre langwierig entwickelten Farbschattierungen mittlerweile mit Bändern des Leitsystems und schnöder Werbung überklebt wurden. „Am liebsten würde ich das alles herunterreißen“, sagt sie nur halb im Scherz. Muss auch nicht schön sein, so willkommen geheißen zu werden. Voll integriert. In Frankreich scheint sie damit keine Probleme gehabt zu haben, sie ist völlig integriert, lebt mit einem Franzosen, wird nur noch selten an einem leichten Akzent in der Sprache erkannt. Dann müsse sie sich allerdings weniger wegen Marie-Antoinette rechtfertigen als wegen der jüngsten politischen Vergangenheit Österreichs, sagt sie, obwohl das Problem des Populismus mittlerweile in ganz Europa geteilt werde. Schwieriger sei es während der Waldheim-Affäre gewesen, erinnert sie sich. Aber die Konfrontation mit ihrem Österreichertum sei selten, auch habe sie keine großen Kontakte zu anderen österreichischen Künstlern, die in und um Paris leben – wenn es eine solche Szene überhaupt gebe, was sie nicht glaube.
Eher noch seien es Architekten, mit denen sie sowieso gern zusammenarbeite. So hat sie in der Schweiz bei einer Schule mitgearbeitet und den 2013 eröffneten Neubau der französischen Nationalarchive in Saint Denis nahe Paris mit einer zartroten, spiegelnden Decke ausgestattet. „Mich interessiert, dass die Architektur meine
1960
in Niederösterreich geboren.
In den 1980er-Jahren
studierte sie in Wien an der Angewandten und ging nach einem Jahr nach Frankreich, an die Kunstuniversität Bourges. Sie lebt bis heute in Frankreich.
2017
stellt Fritscher als einzige gebürtige Österreicherin bei der Lyon-Biennale aus, eine der wichtigsten Biennalen für zeitgenössische Kunst. Arbeit begrenzt und ich das nicht selbst tun muss“, erzählt sie.
Überhaupt fasziniere sie die Zusammenarbeit mit verschiedenen Disziplinen, neben Architektur und Industrie auch die mit Tanz, Musik, Sprache, Literatur. Dieses Genre-Übergreifende werde, meint Fritscher, in Frankreich auch bewusster gefördert als zumindest in Österreich. Allein etwa im Museum Centre Pompidou, wo auch das von Pierre Boulez gegründete Ircam, das Zentrum für neue Musik, untergebracht ist. Oder die Fondation Herm`es, die bewusst die Schnittstelle zwischen Tanz und bildender Kunst fördere, so Fritscher. Einladung zur Lyon Biennale. Sie selbst beschäftigt sich seit fünf Jahren damit, Klang in ihre Installationen zu integrieren oder sie daraus zu entwickeln. Wofür sie mit einer Sängerin zusammenarbeitet. In diese Richtung wird auch die Arbeit gehen, die sie im Herbst dieses Jahres bei ihrer bisher prestigeträchtigsten Einladung präsentieren wird: bei der Biennale für zeitgenössische Kunst in Lyon, einer der wichtigsten Kunst-Biennalen überhaupt, die am 20. September unter dem Motto „Floating Worlds“eröffnen wird. Genaueres verraten will Fritscher allerdings noch nicht über ihr Projekt, das u. a. von der Wiener Phileas-Stiftung finanziell unterstützt wird.
Wie überlebt man überhaupt mit derart fragiler, raumbezogener, ephemerer Kunst? Fritscher hatte einen tollen Galeristen, Serge le Borne, der allerdings nach New York ging, um Marina Abramovics´ Institut zu leiten. Jetzt managt sie sich selbst. Und hat einige Sammler, die sich tatsächlich den Gegebenheiten ihrer Installationen im Privaten beugen. Ein Pariser Sammler etwa, erzählt sie, bückt sich bereits seit fünf Jahren jedes Mal unter einem ihrer weißen Bänder im Raum, wenn er von seinem Schreibtisch zu seinem Esstisch geht. Ein anderer hat sein Schlafzimmer völlig umgeräumt, damit zwischen Fenster und Bett eine Art filigraner schwebender Teppich Fritschers aus weißen, das Tageslicht reflektierenden Fäden Platz hat, der nur aus einem gewissen Winkel sichtbar wird. Sie sei natürlich „sehr erfreut, dass jemand den Mut dazu hat“. Sie selbst hat dafür keine Muße – und vor allem keinen Raum. Sie brauche den Platz schließlich immer für die jeweils jüngste, neueste Arbeit.