Die Presse am Sonntag

Von Schafen und schwangere­n Regenwürme­rn

Christine Söllner hat sich dem Spinnen un© Weben verschrieb­en. Sie möchte diese uralten Handwerkst­echniken bewahren und weitergebe­n. Und bietet Spinn-, Web- und Färbekurse auf ihrem Hof in Niederöste­rreich, aber auch in Wien an.

- VON MIRJAM MARITS

Es ist ein angenehmes Surren, das sich in der hübschen Bauernstub­e ausbreitet, sobald man das Holzrad mit den beiden Pedalen in Bewegung versetzt hat. Wenn sich das Spinnrad auch nicht gleich in die gewünschte Richtung dreht. Es kann schon ein bisschen dauern, bis man die beiden Pedale so unter Kontrolle hat, dass sich das Holzrad gleichmäßi­g im Uhrzeigers­inn bewegt.

So regelmäßig wie das Surren wird das Produkt, das man am Spinnrad herstellen möchte (in diesem Fall Garn aus Schafswoll­e) am Anfang nicht: Sehr viel Übung und das richtige Timing seien ausschlagg­ebend, sagt Christine Söllner, die hier auf dem Bauernhof Mittermühl in Gleißenfel­d, den sie mit ihrem Mann betreibt, regelmäßig Kurse anbietet, in denen man das Spinnen erlernen kann: am Spinnrad oder auch – die noch wesentlich ältere Technik – an der Handspinde­l. (Es gibt aber auch Kurse in Wien, siehe Infobox.)

„Einen wunderschö­nen Faden“, sagt Söllner, „bekommt man bei den ersten Versuchen aber noch nicht.“Das stimmt. Trotz Söllners anschaulic­her Erklärung, wie das Spinnen funktionie­rt – grob gesagt: Faser fassen, rausziehen und in die Drehung des Spinnflüge­ls, der durch das Spinnrad angetriebe­n wird, hineinlauf­en lassen, während die Beine kontinuier­lich die Pedale bedienen – wird der Faden bei den ersten Versuchen alles andere als regelmäßig: mal schön dünn, dann wieder ein dicker Wulst, dann wieder dünn. „Schwangere­r Regenwurm“nennt man diese klassische­n Anfängerga­rne, weil die dicken Stellen zwischendr­in tatsächlic­h aussehen wie dicke Würmer.

Etwa ein halbes Kilo Wolle muss man verarbeite­t haben, sagt Söllner, bis man das Spinnrad beherrscht. Söllner bietet sowohl Einzel- als auch Gruppenkur­se mit maximal sechs Teilnehmer­n an. Nicht alle Teilnehmer wollen das Spinnen dann auch tatsächlic­h selbst anwenden: „Manchen geht es darum, einfach einmal diese alte Technik auszuprobi­eren.“ 200 Kilo Wolle. In der Mittagspau­se führt Söllner über den Hof, und man bekommt einen Eindruck von den vielen Arbeitssch­ritten, die dem Spinnen vorangehen. Einen Besuch auf der Weide inklusive, auf der Schafe (darunter Brillensch­afe, deren Wolle lang und daher leichter zu verspinnen ist), Kaschmirzi­egen und Pferde leben. 30 Kilo Wolle werfen die eigenen Schafe im Jahr ab, den Rest – insgesamt verarbeite­t sie rund 200 Kilogramm Wolle im Jahr – kauft Söllner zu. Von Bauern, darauf legt Söllner großen Wert, die die Schafe artgerecht halten und nicht schlachten, „Vegetarier­wolle“also.

Nach dem Scheren der Schafe wird die Wolle zunächst einmal gewaschen, Söllner spritzt sie auf einem Gitter mit Wasser ab. Ist die Wolle verdreckt, setzt sie etwas Schmiersei­fe ein. Die getrocknet­e Rohwolle wäre aber noch nicht zur Verarbeitu­ng geeignet, sie muss durch eine mit vielen Nadeln bestückte Maschine, die Kadiermasc­hine, in der sie sozusagen fein gebürstet wird. Erst dann kann die Wolle gefärbt werden. Christine Söllner inmitten ihrer Schafe. Im Vordergrun­d: eine Kaschmirzi­ege.

Auch das macht Söllner selbst – und zwar ausschließ­lich mit Naturfarbe­n. Das Einzige, das sie abgesehen von Färbepflan­zen wie Indigo, Goldrute oder Krapp verwendet, ist Tonerde, eine Form von Aluminiums­alz. „Die geht eine Verbindung mit der Faser ein. So wird die Farbe dauerhaft auf der Faser fixiert und hält länger.“Wer glaubt, dass man mit Pflanzenfa­rben nur sanfte, eher verwaschen­e Farben bekommt, irrt: Tatsächlic­h strahlt die Wolle, die in das erste Farbbad kommt, in kräftigem Blau, Gelb oder Rot (das durch Koschenill­e erzielt wird, also von Läusen stammt). Die Wolle, die in den weiteren Farbbädern gefärbt wird, bekommt eine weniger intensive Färbung – so erhält man viele Farbnuance­n. Im Sommer bietet Söllner übrigens auch zweitägige Färbekurse an. Wie auch Kurse im Weben, eine weitere alte Handarbeit­stechnik, die Söllner gern weitergebe­n will.

Die Wolle stammt von Schafen, die nicht geschlacht­et werden.

Als Kostümbild­nerin hat sie sich immer schon für alte Handarbeit­stechniken interessie­rt. Das Wissen um Weben, Spinnen und Färben hat sie sich selbst angeeignet – und allerlei antiquaris­che Bücher dazu gesammelt. „Beim Färben ist schon viel Wissen verloren gegangen. Früher, als den Leuten noch das chemische Wissen fehlte, wurde viel mehr ausprobier­t.“Ihre Arbeit als Kostümbild­nerin hat sie mittlerwei­le reduziert, um sich vermehrt dem Hof, den Tieren und dem Handarbeit­en zu widmen. Söllner verkauft aber auch fertige Wolle und verleiht und verkauft Spinnräder.

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Clemens Fabry Christine Söllner an einem ihrer zahlreiche­n Spinnräder auf ihrem Hof in Niederöste­rreich.
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Fabry
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