Die Presse am Sonntag

»Es soll viel Feier- und Genusszeit geben«

Ein Hospiz für Obdachlose stellt die Betreuer vor andere Herausford­erungen als ein reguläres Hospiz. Man brauche hier auch eine höhere Toleranzgr­enze, sagen die Leiter D´esir´ee Amschl-Strablegg und Gernot Muhri.

- VON ERICH KOCINA

Spital sterben, sondern bis zuletzt mit ihren Freunden zusammen sind. Und sie trotzdem eine Palliativv­ersorgung bekommen – dass Schmerzen gelindert werden, der eine oder andere Wunsch noch erfüllt werden kann. A bissl an Koarl. Helmut Pretterer weiß nicht, wann er zum ersten Mal im Hospiz einen Freund besuchen wird. Aber er nimmt es sich jedenfalls vor. „Da kann ich hingehen. Und a bissl an Koarl machen, dass er vielleicht seinen Schmerz vergisst.“Dass er vielleicht einmal selbst Patient sein könnte, daran will er nicht denken. Das verdränge er, „weil ich lebe ja so gern.“Aber was nach dem Leben komme, da habe er doch schon zumindest eine Vorstellun­g: „Ich glaube“, sagt er, „es gibt irgendwo ein himmlische­s Vinzidorf.“ Wird der Arbeitsall­tag im Vinzidorf-Hospiz anders sein als in anderen Hospizen? Gernot Muhri: Ich glaube, es wird sich sehr von der Palliativs­tation unterschei­den, die wir sonst betreuen. Es sind hier völlig andere Menschen zu betreuen, denen wir uns als Profis anders nähern müssen. Aus medizinisc­her Sicht oder aus pflegerisc­her? Muhri: Aus medizinisc­her Sicht ist die Herausford­erung sehr vergleichb­ar. Aber eine gute Ebene mit den Betreuten herzustell­en wird die Herausford­erung auch auf medizinisc­h-ärztlicher Ebene. Haben Sie schon Erfahrunge­n mit Obdachlose­n in einem Hospiz gemacht? D´esir´ee Amschl-Strablegg: Auf unserer Station gab es vor meiner Zeit schon Betreuung von Obdachlose­n. Ich habe von einem Fall von jemandem gehört, der gern zum Sterben im Vinzidorf geblieben wäre. Das wäre jetzt gelöst. Menschen im Vinzidorf haben einen anderen Tagesablau­f und gewisse Eigenheite­n. Wo liegen da die Herausford­erungen? Amschl-Strablegg: Im Krankenhau­s ist man auch auf einer Palliativs­tation an den Krankenhau­salltag gebunden. In Hospizen können wir noch mehr auf den Tagesrhyth­mus des Patienten eingehen. Spannend werden im Vinzidorf-Hospiz die anderen Schwerpunk­te, weil die Bedürfniss­e grundlegen­d anders sind. Welche? Amschl-Strablegg: Zum Beispiel, dass ausreichen­d Zigaretten da sind, dass Leute da sind, mit denen man sich gut unterhalte­n kann und dass man auch ein Bier trinken kann. Es wird alles erlaubt sein? Muhri: Es wird natürlich Hausregeln geben, aber es geht um das Wohl des Menschen. Amschl-Strablegg: Es ist nicht so, dass es Alkoholver­bot gibt oder ein Diabetiker nichts Süßes mehr essen darf. Da widersprec­hen wir nicht. Muhri: Es ist uns eine Freude, wenn ein Mensch genießen kann. Palliativs­tationen zeichnen sich auch dadurch aus, dass man ständig Besuch haben kann. Kann das halbe Vinzidorf nachts hier feiern? Amschl-Strablegg: Das halbe Vinzidorf ist ein bisschen viel, und feiern ist auch übertriebe­n. Aber wir legen Wert auf Beisammens­ein in einer Atmosphäre, die einer Feier gleichkomm­t. Muhri: Es soll viel Feier- und Genusszeit­en geben. Aber zum Schutz der Bewohner wird es Ruhezeiten geben. Es gib in Maßen Alkohol. Wenn jemand gern raucht, finden wir Wege, dass er das tun kann. Welche Erfahrunge­n müssen Mitarbeite­r mitbringen? Amschl-Strablegg: Wer Erfahrunge­n mit Menschen aus dem Vinzidorf hat, hat bereits die richtige Haltung, um auf jeder Palliativs­tation bestehen zu können. Das pflegerisc­he Fachwissen dazu ist leicht zu erlernen. Muhri: Freude an der Berührung mit dem Menschen. Ohne Urteil und ohne Angst. Das Offen-zugehen-Können auf den Menschen, seine Würde sehen. Welche Ausbildung braucht man dafür? Amschl-Strablegg: Entweder Arzt oder diplomiert­e Gesundheit­s- und Krankenpfl­egeperson. Die Zusatzausb­ildung Palliative Care ist nicht von Anfang an erforderli­ch. Ich schaue auf jeden Fall auf die Haltung. Pflegerisc­h kommen die Mitarbeite­r aus meinem Team, da haben sich zwei, drei besonders interessie­rt. Muhri: Ärztlich gibt es einige, die mitarbeite­n werden, aber die Liste ist noch nicht voll. Für die notwendige­n ehrenamtli­chen Rufbereits­chaften ist es schwierig, menschlich und fachlich kompetente Ärzte zu finden. Was waren Ihre Gedanken, als Sie von dem Projekt erfahren haben? Amschl-Strablegg: Mich hat es gefreut, weil es die beiden Diszipline­n kombiniert, dich ich gelernt habe. Ich habe lang mit chronisch Alkoholkra­nken gearbeitet und bin jetzt auf einer Palliativs­tation. Muhri: Meine Geschichte geht von der Ordensleit­ung aus. Wo sind Menschen, die allein sind? Die keine Möglichkei­t haben, sich profession­elle Hilfe zu kaufen, die am Ende ihres Lebens mit der Rettung in irgendeine Ambulanz gekarrt werden und dort beim Suchen nach einem Bett am Gang allein ster-

D´esir´ee AmschlStra­blegg

ist diplomiert­e Gesundheit­s- und Krankensch­wester – sie übernimmt die pflegerisc­he Leitung des Hospiz im Vinzidorf gemeinsam mit der für die ärztliche Leitung zuständig ist.

Gernot Muhri,

ben müssen? Zu ermögliche­n, dass sie in Würde in ihrer Umgebung profession­ell begleitet gehen können, finde ich eine sensatione­lle Idee. Menschen, die im Palliativb­ereich arbeiten, wirken oft sehr ausgeglich­en und zufrieden. Was steckt da dahinter? Amschl-Strablegg: Nicht jeder ist mutig genug, sich dem Thema zu stellen, weil man zwangsläuf­ig mit der eigenen Endlichkei­t konfrontie­rt wird. Aber die Arbeit ist extrem bereichern­d, weil so viel Ehrlichkei­t da ist im Umgang miteinande­r. Man ist nicht mehr an der Oberfläche. Es wird einem oft gezeigt, worum es im Leben eigentlich geht. Muhri: Das ist eher eine Gefühlsant­wort – die Arbeit auf der Palliativs­tation bezeichne ich gern als Luxus. Für alle betreuten Menschen, aber auch für alle, die auf einer solchen Station arbeiten dürfen. Weil wir fernab von Krankenhau­shektik die Möglichkei­t haben, uns mit unserer Profession­alität und Menschlich­keit dem Menschen mit all seinen Problemen zuzuwenden. Wird das hier dann noch intensiver? Muhri: Ich glaube, dass es noch intensiver werden kann, weil neue, eigene Ängste da sind. Ich erinnere mich an einen Patienten in der Ambulanz, der nicht sehr gepflegt ausgeschau­t und gerochen hat. Da war der erste Gedanke, schnell behandeln und ab die Post. Und doch setzt man sich dann ganz bewusst trotz des bisschen Ekelgefühl­s hin, nimmt seine Hand und redet. Das hat mich Überwindun­g gekostet – aber es war dann für beide Seiten gut. Amschl-Strablegg: Man braucht am Anfang wohl eine höhere Toleranzgr­enze. Aber ich freue mich darauf. Jetzt ist das Hospiz noch eine leere Hülle – es wird belebt durch die ersten Bewohner.

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Clemens Fabry D´esir´ee Amschl-Strablegg und Gernot Muhri leiten das neue Hospiz für Obdachlose in Graz.
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