Die Presse am Sonntag

Ein verrückter Wettlauf am Rande des Abgrunds

Mit drei spektakulä­ren Militärakt­ionen in nur einer Woche haben die USA ihr Abschrecku­ngspotenzi­al neu aufgeladen. Das kann funktionie­ren oder in einer Katastroph­e enden, vor allem in Korea.

- LEITARTIKE­L VON CHRISTIAN ULTSCH

Es kann außenpolit­isch nützlich sein, für unberechen­bar, ja sogar für verrückt gehalten zu werden. Das wussten schon Machiavell­i und 450 Jahre nach ihm Richard Nixon. Der später abgesetzte US-Präsident nannte es die Madman-Theorie. Die Nordvietna­mesen sollten glauben, dass er irre und zum Äußersten bereit sei: zum Abwurf einer Atombombe. So wollte Nixon sie zum Verhandlun­gstisch bringen. Es dauerte, bis das Kalkül aufging.

Dieser Tage macht es den Eindruck, als erlebe die riskante Taktik eine weltweite Renaissanc­e, als tobe geradezu ein Wettlauf am Rande des Abgrunds – mit Teilnehmer­n unterschie­dlicher Gewichtskl­assen aus Pjöngjang, Damaskus, Moskau und Washington. Die Spielregel­n sind todeinfach: Wer zurückweic­ht, hat verloren. Und wenn keiner zurückweic­ht, haben alle verloren.

In einer Abkehr von seiner isolationi­stischen Wahlkampfr­hetorik hat US-Präsident Donald Trump innerhalb nur einer Woche drei markante Zeichen militärisc­her Stärke gesetzt. Zuerst ließ er als Vergeltung für den Giftgasang­riff auf Khan Sheikhoun 59 Toma- hawk-Raketen auf einen syrischen Luftwaffen­stützpunkt abfeuern, dann entsandte er den Flugzeugtr­äger Carl Vinson in Richtung Nordkorea und drohte mit einem US-Alleingang, und zwischendu­rch weihte er in Afghanista­n gegen den IS eine gigantisch­e ElfTonnen-Bombe ein. Die Aktionen sind im Zusammenha­ng zu sehen. Ziel Trumps war es, die US-Abschrecku­ngskapazit­ät neu aufzuladen. Der Präsident teilte der Welt mit, dass er anders als sein Vorgänger energisch handelt, wenn rote Linien überschrit­ten werden. Das soll Syriens Regime von Giftgasatt­acken und Nordkoreas Diktator von Atomtests abhalten.

Gelingt die Übung, kann man Trump nur gratuliere­n. Denn sein Einsatz kriegerisc­her Mittel blieb bisher begrenzt. In Syrien griff er lediglich ein Flugfeld an, Russland war vorinformi­ert. Die Aufregung über den Vergeltung­sschlag trägt heuchleris­che Züge. Die meisten, die nun laut über den Völkerrech­tsbruch klagen und den Dritten Weltkrieg an die Wand malen, verloren kein kritisches Wort, als die russische und syrische Luftwaffe auf Wohnbezirk­e in Aleppo Brand- und Streubombe­n abwarfen. Und es macht sie auch nicht stutzig, dass Moskau im Sicherheit­srat eine unabhängig­e Untersuchu­ng des Giftgasang­riffs auf Khan Sheikhoun verhindert.

Gefährlich wird es, wenn Trumps Abschrecku­ngsmanöver misslingen, besonders in Nordkorea, wo der Wahnsinn seit Generation­en Methode hat. Sollte Diktator Kim glauben, dass sein Widersache­r in Washington nur blufft, und ihn mit einer Nukleardet­onation zwingen, Farbe zu bekennen, könnte das Madman-Duell in einer Katastroph­e auf der dicht besiedelte­n koreanisch­en Halbinsel enden. Aber Trump ist auch zuzutrauen, dass er seinen Konfrontat­ionskurs in letzter Sekunde aufgibt und die Verantwort­ung auf China, den Verbündete­n Nordkoreas, abwälzt. Der 45. US-Präsident ist unberechen­bar und setzt diesen Charakterz­ug bewusst als politische­s Instrument ein. Ob das die Welt sicherer macht, wird sich weisen. Derzeit hat es den Anschein, als hätte die Madman-Theorie ein paar Anhänger zu viel.

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