»Werte-Diskurs wesentlich schärfer führen«
Frauenrechte sowie das Bekenntnis zu Freiheit und Gleichheit müssten stärker von den Zuwanderern eingefordert werden. Damit überrascht Andreas Schieder im Interview. Gegenüber antiliberalen Rändern sei ein klarer Strich zu ziehen.
Zuletzt haben einige SPÖ-Sektionen interne Kritik geübt und gemeint, Sozialdemokraten wären Erfüllungsgehilfen rechter Politik. Ist der Honeymoon zwischen Christian Kern und SPÖ endgültig vorbei? Andreas Schieder: Es stimmt, dass es in der SPÖ Platz gibt für Leute, die in einzelnen Sachfragen Kritik äußern, auch an der Parteiführung. Sie sind eine der Kraftzellen der SPÖ. Während die Grünen Kritiker ausgeschlossen haben, haben sie bei uns Platz. Das ist gut so. Was sagen Sie inhaltlich zu der Kritik? Die Kategorisierung in links – rechts taugt nicht. Eine gerechte Beurteilung der Politik der Sozialdemokratie findet statt, wenn man sich die Frage stellt, was sich an den Lebensumständen der Leute, des Durchschnittsverdieners in unserem Land ändert. Gerade im Themenbereich Ausländer und Asylwerber sehen aber nicht nur interne Kritiker ein Rücken der SPÖ nach rechts. Kritiker haben natürlich in einem Punkt recht. Die Diskussion, die es rund um das Relocationprogramm gab, war eine unwürdige. Der Ursprung war, dass Österreich im Verhältnis zur Bevölkerung zu den Ländern gehört, die pro Kopf bei weitem die meisten Flüchtlinge aufgenommen haben. Wenn man eine europäische Lösung will, sollten jene Länder zuerst drankommen, die sich bisher vor dieser solidarischen Aufgabe gedrückt haben. Das ist nicht antieuropäisch, und es ist auch kein rechter Diskurs, sondern eine Frage der fairen Aufteilung. Man muss sagen, dass sich der Innenminister stärker um diese Aufteilung in Europa hätte kümmern müssen und darum, dass Länder jene zurücknehmen, die einen negativen Asylbescheid erhalten. Da hat Österreich seine Hausaufgaben wahrlich nicht gemacht. Die Herren Sobotka und Kurz (Innenund Außenminister, beide ÖVP; Anm.) haben da noch viel Luft nach oben. Vor wenigen Jahren wäre der Aufschrei in der SPÖ laut gewesen, wenn der Verteidigungsminister Soldaten zur Bewachung von Botschaften geschickt hätte. Ist das nicht auch Zeichen eines Rückens nach rechts? Im Rahmen eines Assistenzeinsatzes sehe ich das als gelindes Mittel vertretbar. Sie haben recht, dass diese Fragen natürlich an die Grenze gehen, was aus sozialdemokatsicher Sicht notwendig und richtig ist. Das Bundesheer hat andere Aufgaben als die Polizei, und das soll auch so bleiben. Aber der SPÖ-Verteidigungsminister schielt ja nach noch mehr Aufgaben, die bisher der Polizei vorbehalten waren. In der Bevölkerung gibt es eine Verunsicherung und in besonderen Situationen steht das Bundesheer dem Innenminister helfend zur Seite. Christian Kern wird die Nationalratswahl in Wien gewinnen oder verlieren. Wie gefährlich ist für ihn die Situation der Wiener SPÖ? Die Wiener Landesorganisation hat eine lebhafte Diskussion geführt, leider oft am falschen Ort, weniger intern und mehr nach außen. Aber wo auch immer ich bin, in welchem Teil Wiens oder in welchem Bundesland, ich spüre eine Stimmung: Dass wir Sozialdemokraten eine Idee haben, wie wir Österreich weiterbringen. Diese Aufbruchsstimmung führt dazu, dass die Sozialdemokratie jederzeit in der Lage ist, einen Wahlkampf zu führen. Sie sprechen euphemistisch von einer lebhaften Diskussion. Von Geschlossenheit ist die Wiener SPÖ weit entfernt. Um dieses große Thema kurz zu beantworten: Ja, es hat schon ruhigere Zeiten in der Wiener SPÖ gegeben. Keinem ist aber daran gelegen, die politische Schlagkraft und Durchsetzungskraft zu schwächen. Aus zwei Gründen: Wir brauchen sie für die politische Auseinandersetzung auf Bundesebene und wir brauchen sie auch für die Umsetzung der Zukunftsthemen in unserer Wiener Stadt. Wien ist super aufgestellt, aber wir sehen, dass bei Zukunftsthemen – wie organisiere ich ein neues Bildungssystem, wie kann ich Umweltschutz mit Lebensstandard verbinden, dass es auch für die Mittelschicht leistbar ist – Wien vor Herausforderungen steht. Dort sollte die Diskussionsenergie hinfließen. Innerparteilich. Genau. Würden Sie als Kompromisskandidat für die Nachfolge Michael Häupls, der ja nach der Nationalratswahl seine Ämter abgeben will, zur Verfügung stehen? Ich bin kein Mann des Kompromisses. Gut, würden Sie als Kandidat zur Verfügung stehen? Es geht um sozialdemokratische Zukunftsentwürfe, und wo finde ich Möglichkeiten, diese umzusetzen. Eigentlich bin ich hier im Parlamentsklub vollkommen ausgelastet. Das war also ein Nein.
Andreas Schieder
ist seit 2013 Klubobmann der SPÖ. Davor war er Gemeinderat in Wien (1997 bis 2006), außenpolitischer Sprecher der SPÖ im Nationalrat (2006 bis 2008), Staatssekretär für den Öffentlichen Dienst (Juli bis Dezember 2008) und Finanzstaatssekretär (Dezember 2008 bis Oktober 2013). Seit dem Vorjahr ist er auch stellvertretender Bundesparteivorsitzender der SPÖ.
Der 48-Jährige
stammt aus Wien. Sein Vater war der SPÖ-Politiker Peter Schieder. Andreas Schieder hat Volkswirtschaft studiert. Mit der ehemaligen Wiener Stadträtin Sonja Wehsely hat er einen Sohn. Das war der Versuch, eine Frage, die oft nur um Personen kreist, mit Inhalten zu füllen. Wenn ich auf dem Fußballplatz Leute treffe, dann interessiert die weder der Regierungsstreit mit der ÖVP, noch interne Streitigkeiten, oder wer wechselt wohin. Die Leute interessiert: Welche Antworten gebt ihr mir auf die Zukunftsfragen und die Alltagsfragen. War da die FPÖ erfolgreicher, wenn man deren Performance in Meinungsumfragen Glauben schenken darf? Nein. Die FPÖ ist gar nicht erfolgreich, echte Antworten auf die wahren Herausforderungen des Lebens zu geben. Die FPÖ ist darin gut, Stunk zu machen, Verunsicherung und Ängste der Leute zu schüren und zu vergrößern. Aufgabe der Sozialdemokratie ist es, pragmatisch Schritt für Schritt für alle diese Sorgen Antworten zu finden. Auch die eingefleischtesten FPÖ-Wähler wissen, dass die FPÖ nicht einmal eine Sekunde irgendetwas Positives für das Leben der einfachen Leute verändert. Weiß das auch der burgenländische Landeshauptmann Niessl, der eine Koalition mit der FPÖ geschlossen hat? Das weiß auch Landeshauptmann Niessl, dass sich die Leute am Schluss sozialdemokratische Politik erwarten. Die macht er ja. Wenn Sie auf dem Fußballplatz Leute treffen, dann werden Sie doch öfter hören, dass es zu viele Ausländer im Land gibt. Was antworten Sie denen dann? Es kommen auch die Aussagen, dass es zu viele Ausländer gibt und die Fragen, wie es mit dem Islam weitergeht. Wenn man zwei Minuten den Leuten zuhört, merkt man, dass dahinter ganz andere Fragen stehen. Die Frage, wie kann mein Kind oder Enkelkind dieselben Chancen haben, die man selber gehabt hat, die Sorge, dass man ab 50 auf dem Arbeitsmarkt zum alten Eisen geworfen wird, die Sorge, dass Europa auseinanderbricht. Diese Sorgen überwiegen viel mehr als die Frage, ob ein Ausländer in meiner Nachbarschaft wohnt