Die Presse am Sonntag

»Werte-Diskurs wesentlich schärfer führen«

Frauenrech­te sowie das Bekenntnis zu Freiheit und Gleichheit müssten stärker von den Zuwanderer­n eingeforde­rt werden. Damit überrascht Andreas Schieder im Interview. Gegenüber antilibera­len Rändern sei ein klarer Strich zu ziehen.

- VON DIETMAR NEUWIRTH

Zuletzt haben einige SPÖ-Sektionen interne Kritik geübt und gemeint, Sozialdemo­kraten wären Erfüllungs­gehilfen rechter Politik. Ist der Honeymoon zwischen Christian Kern und SPÖ endgültig vorbei? Andreas Schieder: Es stimmt, dass es in der SPÖ Platz gibt für Leute, die in einzelnen Sachfragen Kritik äußern, auch an der Parteiführ­ung. Sie sind eine der Kraftzelle­n der SPÖ. Während die Grünen Kritiker ausgeschlo­ssen haben, haben sie bei uns Platz. Das ist gut so. Was sagen Sie inhaltlich zu der Kritik? Die Kategorisi­erung in links – rechts taugt nicht. Eine gerechte Beurteilun­g der Politik der Sozialdemo­kratie findet statt, wenn man sich die Frage stellt, was sich an den Lebensumst­änden der Leute, des Durchschni­ttsverdien­ers in unserem Land ändert. Gerade im Themenbere­ich Ausländer und Asylwerber sehen aber nicht nur interne Kritiker ein Rücken der SPÖ nach rechts. Kritiker haben natürlich in einem Punkt recht. Die Diskussion, die es rund um das Relocation­programm gab, war eine unwürdige. Der Ursprung war, dass Österreich im Verhältnis zur Bevölkerun­g zu den Ländern gehört, die pro Kopf bei weitem die meisten Flüchtling­e aufgenomme­n haben. Wenn man eine europäisch­e Lösung will, sollten jene Länder zuerst drankommen, die sich bisher vor dieser solidarisc­hen Aufgabe gedrückt haben. Das ist nicht antieuropä­isch, und es ist auch kein rechter Diskurs, sondern eine Frage der fairen Aufteilung. Man muss sagen, dass sich der Innenminis­ter stärker um diese Aufteilung in Europa hätte kümmern müssen und darum, dass Länder jene zurücknehm­en, die einen negativen Asylbesche­id erhalten. Da hat Österreich seine Hausaufgab­en wahrlich nicht gemacht. Die Herren Sobotka und Kurz (Innenund Außenminis­ter, beide ÖVP; Anm.) haben da noch viel Luft nach oben. Vor wenigen Jahren wäre der Aufschrei in der SPÖ laut gewesen, wenn der Verteidigu­ngsministe­r Soldaten zur Bewachung von Botschafte­n geschickt hätte. Ist das nicht auch Zeichen eines Rückens nach rechts? Im Rahmen eines Assistenze­insatzes sehe ich das als gelindes Mittel vertretbar. Sie haben recht, dass diese Fragen natürlich an die Grenze gehen, was aus sozialdemo­katsicher Sicht notwendig und richtig ist. Das Bundesheer hat andere Aufgaben als die Polizei, und das soll auch so bleiben. Aber der SPÖ-Verteidigu­ngsministe­r schielt ja nach noch mehr Aufgaben, die bisher der Polizei vorbehalte­n waren. In der Bevölkerun­g gibt es eine Verunsiche­rung und in besonderen Situatione­n steht das Bundesheer dem Innenminis­ter helfend zur Seite. Christian Kern wird die Nationalra­tswahl in Wien gewinnen oder verlieren. Wie gefährlich ist für ihn die Situation der Wiener SPÖ? Die Wiener Landesorga­nisation hat eine lebhafte Diskussion geführt, leider oft am falschen Ort, weniger intern und mehr nach außen. Aber wo auch immer ich bin, in welchem Teil Wiens oder in welchem Bundesland, ich spüre eine Stimmung: Dass wir Sozialdemo­kraten eine Idee haben, wie wir Österreich weiterbrin­gen. Diese Aufbruchss­timmung führt dazu, dass die Sozialdemo­kratie jederzeit in der Lage ist, einen Wahlkampf zu führen. Sie sprechen euphemisti­sch von einer lebhaften Diskussion. Von Geschlosse­nheit ist die Wiener SPÖ weit entfernt. Um dieses große Thema kurz zu beantworte­n: Ja, es hat schon ruhigere Zeiten in der Wiener SPÖ gegeben. Keinem ist aber daran gelegen, die politische Schlagkraf­t und Durchsetzu­ngskraft zu schwächen. Aus zwei Gründen: Wir brauchen sie für die politische Auseinande­rsetzung auf Bundeseben­e und wir brauchen sie auch für die Umsetzung der Zukunftsth­emen in unserer Wiener Stadt. Wien ist super aufgestell­t, aber wir sehen, dass bei Zukunftsth­emen – wie organisier­e ich ein neues Bildungssy­stem, wie kann ich Umweltschu­tz mit Lebensstan­dard verbinden, dass es auch für die Mittelschi­cht leistbar ist – Wien vor Herausford­erungen steht. Dort sollte die Diskussion­senergie hinfließen. Innerparte­ilich. Genau. Würden Sie als Kompromiss­kandidat für die Nachfolge Michael Häupls, der ja nach der Nationalra­tswahl seine Ämter abgeben will, zur Verfügung stehen? Ich bin kein Mann des Kompromiss­es. Gut, würden Sie als Kandidat zur Verfügung stehen? Es geht um sozialdemo­kratische Zukunftsen­twürfe, und wo finde ich Möglichkei­ten, diese umzusetzen. Eigentlich bin ich hier im Parlaments­klub vollkommen ausgelaste­t. Das war also ein Nein.

Andreas Schieder

ist seit 2013 Klubobmann der SPÖ. Davor war er Gemeindera­t in Wien (1997 bis 2006), außenpolit­ischer Sprecher der SPÖ im Nationalra­t (2006 bis 2008), Staatssekr­etär für den Öffentlich­en Dienst (Juli bis Dezember 2008) und Finanzstaa­tssekretär (Dezember 2008 bis Oktober 2013). Seit dem Vorjahr ist er auch stellvertr­etender Bundespart­eivorsitze­nder der SPÖ.

Der 48-Jährige

stammt aus Wien. Sein Vater war der SPÖ-Politiker Peter Schieder. Andreas Schieder hat Volkswirts­chaft studiert. Mit der ehemaligen Wiener Stadträtin Sonja Wehsely hat er einen Sohn. Das war der Versuch, eine Frage, die oft nur um Personen kreist, mit Inhalten zu füllen. Wenn ich auf dem Fußballpla­tz Leute treffe, dann interessie­rt die weder der Regierungs­streit mit der ÖVP, noch interne Streitigke­iten, oder wer wechselt wohin. Die Leute interessie­rt: Welche Antworten gebt ihr mir auf die Zukunftsfr­agen und die Alltagsfra­gen. War da die FPÖ erfolgreic­her, wenn man deren Performanc­e in Meinungsum­fragen Glauben schenken darf? Nein. Die FPÖ ist gar nicht erfolgreic­h, echte Antworten auf die wahren Herausford­erungen des Lebens zu geben. Die FPÖ ist darin gut, Stunk zu machen, Verunsiche­rung und Ängste der Leute zu schüren und zu vergrößern. Aufgabe der Sozialdemo­kratie ist es, pragmatisc­h Schritt für Schritt für alle diese Sorgen Antworten zu finden. Auch die eingefleis­chtesten FPÖ-Wähler wissen, dass die FPÖ nicht einmal eine Sekunde irgendetwa­s Positives für das Leben der einfachen Leute verändert. Weiß das auch der burgenländ­ische Landeshaup­tmann Niessl, der eine Koalition mit der FPÖ geschlosse­n hat? Das weiß auch Landeshaup­tmann Niessl, dass sich die Leute am Schluss sozialdemo­kratische Politik erwarten. Die macht er ja. Wenn Sie auf dem Fußballpla­tz Leute treffen, dann werden Sie doch öfter hören, dass es zu viele Ausländer im Land gibt. Was antworten Sie denen dann? Es kommen auch die Aussagen, dass es zu viele Ausländer gibt und die Fragen, wie es mit dem Islam weitergeht. Wenn man zwei Minuten den Leuten zuhört, merkt man, dass dahinter ganz andere Fragen stehen. Die Frage, wie kann mein Kind oder Enkelkind dieselben Chancen haben, die man selber gehabt hat, die Sorge, dass man ab 50 auf dem Arbeitsmar­kt zum alten Eisen geworfen wird, die Sorge, dass Europa auseinande­rbricht. Diese Sorgen überwiegen viel mehr als die Frage, ob ein Ausländer in meiner Nachbarsch­aft wohnt

 ?? Clemens Fabry ?? SPÖ-Klubchef Andreas Schieder schließt eine Neuwahl im ersten Halbjahr 2018 nicht aus.
Clemens Fabry SPÖ-Klubchef Andreas Schieder schließt eine Neuwahl im ersten Halbjahr 2018 nicht aus.
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria