Mauerblümchen mit Aroma
Duftpflanzen. Oft duften die ursprünglichen Pflanzen intensiver als ihre Zuchtformen, etwa beim hierzulande fast vergessenen Goldlack, aber auch beim Echten Geißblatt.
Wo könnte man die Gedanken leichter über die Grenzen der Wahrnehmung hinwegwehen lassen als in einem Wald oder in einem üppig wuchernden Garten? Wo könnte man sich besser vermeintlich absurde Dinge vorstellen, zum Beispiel wie das wäre, wenn man Düfte sehen und Farben riechen könnte? Oder, noch wilder, wenn man verstehen dürfte, was die Pflanzen einander sagen? Denn das tun sie, wenn auch auf ihre, für uns natürlich unverständliche Weise.
Sie kommunizieren auch mit Tieren, und möglicherweise ist eine ihrer stärksten Sprachen die des Geruchs. Sie locken mit flüchtigen Duftmolekülen nicht nur Bestäuber an, sondern warnen einander mit Gerüchen vor Fressfeinden, und sie locken, im Fall von fleischfressenden Pflanzen, ihre Beute mit Aasgestank an.
Kein Blüten- oder Signalduft gleicht dem anderen, viele von ihnen sind exakt für eine bestimmte Spezies von Bestäubern komponiert. Die in Mittelamerika heimische Seifenpalmlilie etwa sendet zur Blütezeit einen Duft aus, der nur einen ganz bestimmten Nachtfalter aus der Familie der Yuccamotten anlockt. Andere Blütenpflanzen sind weniger wählerische Generalisten, ihnen ist jedes Insekt zum Zweck der Befruchtung recht.
Dabei ist das Duftmolekülproduzieren ein Kraftakt für die Pflanze, deshalb setzt sie Geruch gezielt nur dann ein, wenn die Blüte zum einen reif für die Befruchtung ist, und zum anderen die bestäubenden Insekten, Säugetiere wie Fledermäuse oder auch Vögel unterwegs sind. Deshalb gibt es nächtliche Dufter und solche, die nur tagsüber riechen. Sobald die Bestäuber ihren Part erledigt und die Blüte im Vorüberfliegen oder -krabbeln befruchtet haben, stellt die Blüte das Duften ein. Zu Unrecht verschwunden. Doch wie immer, wenn sich der Mensch einmischt, kommen die Dinge durcheinander. Jetzt gerade blüht etwa eine der Frühlingsblumen mit dem kräftigsten und faszinierendsten Duft, doch kaum jemand kennt sie mehr: Wenn es je eine uralte Bauerngartenblume gab, die zu Unrecht fast völlig aus den Gärten verschwunden ist, so ist das der Goldlack. Früher glänzte der im Frühling vor jedem Bauernhaus in Goldgelb und Rostrot, und er duftete so gut, dass die Nase ihn schon wahrnahm, bevor man ihn überhaupt sah.
Hierzulande erfährt die bereits in den Schriften des Dioskurides und des Plinius erwähnte und um 1410 im spät- gotischen Gemälde „Paradiesgärtlein“des Oberrheinischen Meisters exakt dargestellte Blume nach jahrhundertelanger Würdigung heutzutage sträfliche Missachtung. In Englands Gärten wird sie im Gegensatz dazu jedoch noch geschätzt. Der Goldlack trägt dort den Trivialnamen Wallflower, also Mauerblümchen.
Auf der Insel setzen die Gärtner jedoch vor allem die kultivierten Sorten mit aufregenden Blütenfarben ein. Die bekannteste heißt Bowle’s Mauve und blüht auffällig lila, es gibt auch zahlreiche rote und rein gelb blühende Sorten. Doch wer an ihnen riecht und den schweren, süßen Goldlackduft sucht, wird enttäuscht sein. Denn die Kultursorten sind nur schön. Sie duften aber nur schwach oder gleich gar nicht.
Dieses Phänomen lässt sich an vielen Pflanzensorten feststellen: Die ursprüngliche wilde Art riecht betörend, doch die Kultursorten enttäuschen die Nase. Ein Beispiel ist das Echte Geißblatt, Lonicera caprifolium. Sein Duft wurde vielfach besungen und in Gedichten gepriesen. Wieder haben die Briten mit Honeysuckle den sprechenderen Namen gefunden. Sie beginnt extrem stark zu duften, sobald sich die Dämmerung über den Garten legt, und Nachtfalter umschwirren sie bis in die Morgenstunden.
Eine mit Geißblatt bepflanzte Ecke oder Laube kann ein süßer Sommernachtstraum sein – doch wehe, man verlangt zu viel, etwa eine aufregendere Farbe als die der gewöhnlichen gelbrosa Geißblattblüte. Rot zum Beispiel. Die Enttäuschung folgt mit der ersten Blüte, denn sie duftet gar nicht. Wen es nach starken, üppigen Geißblattdüften gelüstet, muss die einfache Bauerngeißblattvariante setzen oder zumindest die helleren Zuchtsorten wählen.
Auch die wilden, nicht ganz so farbintensiv lila blühenden Nachtviolen duften kräftiger als die Zuchtformen. Viele Rosen haben, wie jedes Kind weiß, gar keinen Duft mehr. Die Rosenzüchter haben sich jedoch angestrengt und nicht nur auf Farbe und Form Wert gelegt, sondern auch die Düfte in ihre Selektionskriterien aufgenommen. Dennoch gibt es kaum einen kräftigeren, faszinierenderen Rosenduft als den der uralten Damaszenerrosen. Auch hier kann man nicht alles haben: Sie blühen fast alle nur einmal pro Jahr.