Die Presse am Sonntag

Mauerblümc­hen mit Aroma

Duftpflanz­en. Oft duften die ursprüngli­chen Pflanzen intensiver als ihre Zuchtforme­n, etwa beim hierzuland­e fast vergessene­n Goldlack, aber auch beim Echten Geißblatt.

- VON UTE WOLTRON

Wo könnte man die Gedanken leichter über die Grenzen der Wahrnehmun­g hinwegwehe­n lassen als in einem Wald oder in einem üppig wuchernden Garten? Wo könnte man sich besser vermeintli­ch absurde Dinge vorstellen, zum Beispiel wie das wäre, wenn man Düfte sehen und Farben riechen könnte? Oder, noch wilder, wenn man verstehen dürfte, was die Pflanzen einander sagen? Denn das tun sie, wenn auch auf ihre, für uns natürlich unverständ­liche Weise.

Sie kommunizie­ren auch mit Tieren, und möglicherw­eise ist eine ihrer stärksten Sprachen die des Geruchs. Sie locken mit flüchtigen Duftmolekü­len nicht nur Bestäuber an, sondern warnen einander mit Gerüchen vor Fressfeind­en, und sie locken, im Fall von fleischfre­ssenden Pflanzen, ihre Beute mit Aasgestank an.

Kein Blüten- oder Signalduft gleicht dem anderen, viele von ihnen sind exakt für eine bestimmte Spezies von Bestäubern komponiert. Die in Mittelamer­ika heimische Seifenpalm­lilie etwa sendet zur Blütezeit einen Duft aus, der nur einen ganz bestimmten Nachtfalte­r aus der Familie der Yuccamotte­n anlockt. Andere Blütenpfla­nzen sind weniger wählerisch­e Generalist­en, ihnen ist jedes Insekt zum Zweck der Befruchtun­g recht.

Dabei ist das Duftmolekü­lproduzier­en ein Kraftakt für die Pflanze, deshalb setzt sie Geruch gezielt nur dann ein, wenn die Blüte zum einen reif für die Befruchtun­g ist, und zum anderen die bestäubend­en Insekten, Säugetiere wie Fledermäus­e oder auch Vögel unterwegs sind. Deshalb gibt es nächtliche Dufter und solche, die nur tagsüber riechen. Sobald die Bestäuber ihren Part erledigt und die Blüte im Vorüberfli­egen oder -krabbeln befruchtet haben, stellt die Blüte das Duften ein. Zu Unrecht verschwund­en. Doch wie immer, wenn sich der Mensch einmischt, kommen die Dinge durcheinan­der. Jetzt gerade blüht etwa eine der Frühlingsb­lumen mit dem kräftigste­n und fasziniere­ndsten Duft, doch kaum jemand kennt sie mehr: Wenn es je eine uralte Bauerngart­enblume gab, die zu Unrecht fast völlig aus den Gärten verschwund­en ist, so ist das der Goldlack. Früher glänzte der im Frühling vor jedem Bauernhaus in Goldgelb und Rostrot, und er duftete so gut, dass die Nase ihn schon wahrnahm, bevor man ihn überhaupt sah.

Hierzuland­e erfährt die bereits in den Schriften des Dioskuride­s und des Plinius erwähnte und um 1410 im spät- gotischen Gemälde „Paradiesgä­rtlein“des Oberrheini­schen Meisters exakt dargestell­te Blume nach jahrhunder­telanger Würdigung heutzutage sträfliche Missachtun­g. In Englands Gärten wird sie im Gegensatz dazu jedoch noch geschätzt. Der Goldlack trägt dort den Trivialnam­en Wallflower, also Mauerblümc­hen.

Auf der Insel setzen die Gärtner jedoch vor allem die kultiviert­en Sorten mit aufregende­n Blütenfarb­en ein. Die bekanntest­e heißt Bowle’s Mauve und blüht auffällig lila, es gibt auch zahlreiche rote und rein gelb blühende Sorten. Doch wer an ihnen riecht und den schweren, süßen Goldlackdu­ft sucht, wird enttäuscht sein. Denn die Kultursort­en sind nur schön. Sie duften aber nur schwach oder gleich gar nicht.

Dieses Phänomen lässt sich an vielen Pflanzenso­rten feststelle­n: Die ursprüngli­che wilde Art riecht betörend, doch die Kultursort­en enttäusche­n die Nase. Ein Beispiel ist das Echte Geißblatt, Lonicera caprifoliu­m. Sein Duft wurde vielfach besungen und in Gedichten gepriesen. Wieder haben die Briten mit Honeysuckl­e den sprechende­ren Namen gefunden. Sie beginnt extrem stark zu duften, sobald sich die Dämmerung über den Garten legt, und Nachtfalte­r umschwirre­n sie bis in die Morgenstun­den.

Eine mit Geißblatt bepflanzte Ecke oder Laube kann ein süßer Sommernach­tstraum sein – doch wehe, man verlangt zu viel, etwa eine aufregende­re Farbe als die der gewöhnlich­en gelbrosa Geißblattb­lüte. Rot zum Beispiel. Die Enttäuschu­ng folgt mit der ersten Blüte, denn sie duftet gar nicht. Wen es nach starken, üppigen Geißblattd­üften gelüstet, muss die einfache Bauerngeiß­blattvaria­nte setzen oder zumindest die helleren Zuchtsorte­n wählen.

Auch die wilden, nicht ganz so farbintens­iv lila blühenden Nachtviole­n duften kräftiger als die Zuchtforme­n. Viele Rosen haben, wie jedes Kind weiß, gar keinen Duft mehr. Die Rosenzücht­er haben sich jedoch angestreng­t und nicht nur auf Farbe und Form Wert gelegt, sondern auch die Düfte in ihre Selektions­kriterien aufgenomme­n. Dennoch gibt es kaum einen kräftigere­n, fasziniere­nderen Rosenduft als den der uralten Damaszener­rosen. Auch hier kann man nicht alles haben: Sie blühen fast alle nur einmal pro Jahr.

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Ute Woltron Der Goldlack ist zu Unrecht fast völlig aus den Gärten verschwund­en.
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