»Werbung ist komplexer geworden«
Matthias Spaetgens, Partner der Werbeagentur Scholtz & Friends, ist seit diesem Jahr Chef der Jury des österreichischen CCA-Preises. Ein Gespräch über die Werbebranche, Kreativpreise und seine Studenten an der Angewandten.
Der Streit ist beigelegt, die Aufregung verflogen. Doch die heimische Werbebranche hat ihn nicht vergessen, den Streit zwischen der größten Kreativagentur Demner, Merlicek und Bergmann und dem Creativ Club Austria, der jährlich die besten Anzeigen prämiert. (Es ging 2015 um eine Arbeit der Agentur für die Roten Nasen, die wegen angeblichen Abkupferns aus dem Bewerb geflogen war. Der CCA entschuldigte sich später bei DMB, und die Agentur nahm die Entschuldigung an – stilecht in Form eines Werbespots.) Der 1972 gegründete Berufsverband österreichischer Art-Direktoren zählt ca. 240 Mitglieder und stellte sich – Zufall oder nicht – kurz nach dem Streit komplett neu und jünger auf. Auch die Jury für ihren Award wurde neu besetzt, ihr Vorsitzender ist mit Matthias Spaetgens einer der bekanntesten und erfolgreichsten Kreativen Deutschlands, der vom österreichischen Werbezank wenig mitbekommen hat und auch nichts dazu sagen kann oder will. Wir trafen ihn in seinem Büro an der Wiener Angewandten, an der er unterrichtet. Wenn Sie ein Sujet erstellen müssten, das den aktuellen Zustand der Werbebranche verbildlicht, wie würde es aussehen? Matthias Spaetgens: Es würde auf jeden Fall Optimismus ausstrahlen. Werbung wird unterhaltsamer, involvierender werden. Ich bin da voller Zuversicht. Wenn man sich in der österreichischen Werbebranche umhört, dann ist der Tenor eher negativ. Die großen Agenturplayer würden schrumpfen, stattdessen gebe es kleine Fische, die Kunden seien wählerisch. Mein Eindruck ist eher, dass die Werbebranche nach der Verunsicherung durch die digitale Revolution wieder Orientierung gefunden hat. Sich auf das Kerngeschäft der Kreativität zu konzentrieren, dürfte eine wichtige Erkenntnis sein. Eine exzellente Idee kann sich heute über die sozialen Netzwerke fast von allein verbreiten. Kreativität wird damit mehr denn je zum Effizienztreiber. Am viralen Erfolg einer Kampagne werden mittlerweile Agenturen und Kunden gemessen. Diese Parameter gab es vor einigen Jahren nicht. Deshalb bin ich optimistisch: die kreative Qualität der Werbung wird zunehmen. Es gibt da diesen Satz: „Mit schönen Bildern in Schönheit sterben war in den Achtzigern.“Stimmen Sie dem zu? Damals hat man für eine Kampagne weniger Resonanz bekommen. Vielleicht wusste man gar nicht, ob man noch lebt oder schon tot ist. Heute be- kommen Unternehmen in den sozialen Kanälen Feedback. Und das ist eine große Chance, denn diese Rückkopplung kann man nutzen, um in einen Dialog mit dem Kunden zu treten. Muss eine Kampagne heute automatisch auf Multiplattformen funktionieren? Diesem Stress sollte man sich nicht ausliefern. Es geht zuerst darum, eine Idee zu finden und die ist bestenfalls medienunabhängig. Erst danach stelle ich mir die Frage, auf welchen Kanälen ich sie ausspiele. Dabei werden Mobile Devices, wie das Smartphone immer wichtiger. Junge Menschen checken es heute durchschnittlich 70-mal am Tag und in weniger als zwei Sekunden entscheiden sie, ob etwas für sie von Interesse ist. Die Frage, womit wir hier ihre Aufmerksamkeit erlangen können wird immer wichtiger. Herausragende Ideen gibt es nie zum Nulltarif. Ungewöhnliche Wege zu gehen, bedeutet eben auch ein Risiko einzugehen. Wie haben sich die Verhältnisse zwischen Agenturen und Kunden verändert? Die Zusammenarbeit ist vielschichtiger und komplexer geworden. In Werbeagenturen gab es beispielsweise früher nur vier Berufstypen: den Kreativen, den Berater, den Strategen und den Producer, der die Dinge umgesetzt hat. Heute arbeiten in Agenturen Menschen mit unzähligen Spezialisierungen vom Screen Designer, dem SEO-Experten bis zum Social-Media-Strategen. Sind sind heuer erstmals Juryvorsitzender des CCA-Preises. Worauf achten Sie bei den Einreichungen? Mein Ziel ist dabei zu helfen, die besten Arbeiten auszuzeichnen. Bestenfalls kommt eine Essenz dabei heraus, die Lust macht, motiviert und damit hilft, die Branche voranzubringen. Wie wichtig sind Kreativpreise? Sie stärken den kreativen Muskel einer Agentur. Wer sich dem Wettbewerb stellt, bleibt fit. Kreativpreise geben Kunden außerdem Orientierung bei der Entscheidung für eine Agentur. Und den Agenturen helfen sie wiederum Talente anzuziehen. Nicht selten sind deshalb die kreativen Agenturen auch die wirtschaftlich erfolgreicheren. Sie unterrichten an der Wiener Angewandten das Fach Grafik und Werbung. Was sollen Studenten nach einem Semester mit Ihnen mitgenommen haben? Ich unterrichte die Konzeption von Werbekampagnen. Ich gehe anfangs zurück zu den Wurzeln und frage, was ist der USP eines Produkts, wie differenziere ich mich vom Wettbewerb und wie kann ich den Produktvorteil packend erzählen. All das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten nicht geändert. Nur die digitalen Kanäle bieten viel mehr Möglichkeiten, eine Geschichte zu erzählen. Mit welchen Erwartungen kommen die Studenten in so ein Fach und Studium? Zunächst einmal darf ich loben: Sie sind sehr fleißig und engagiert. Früher ist man nach so einem Studium meist in der Werbung gelandet, heute ist es das Absprungbrett für unterschiedliche kreative Berufe vom Game Designer bis zum User Experience-Designer. Zwei Absolventen haben gerade ein eigenes Studio für Animationsfilm gegründet, das sehr erfolgreich ist. Es stehen sehr viele Türen offen, die Studenten beginnen fast zu früh mit der Arbeit. Was heißt das? Sie haben schon sehr früh Jobangebote. Dagegen habe ich gar nichts. Aber wenn man zu schnell im Job ist, dann leidet der Mut zum Experimentieren. Man will dann vor allem dem Auftraggeber gerecht werden. An der Uni versuche ich dagegen einen angstfreien Raum zu schaffen. Hier soll man sich auf unsicheres Terrain wagen. Scheitern ist dabei durchaus erwünscht. Der Creativ Club Austria (CCA) ehrt jährlich die besten Kampagnen mit der Venus. Die Preisverleihung findet am Donnerstag, den 20. April im Wiener MAK statt. Einlass: 18.30 Uhr, Beginn: 19.30 Uhr. Tickets um 60 Euro. Bestellen unter: office@creativclub.at