Veißes Gol¤ im Geschirrschrank
Martina Lillie stieg in vierter Generation ins älteste Porzellangeschäft Wiens ein. Seitdem schlägt sie die Brücke zwischen der 315-jährigen Vergangenheit von Albin Denk und dem Heute.
Martina Lillie gibt ihrem Besuch gern ein Schätzrätsel auf: Wie viele Kunden von Albin Denk sind Touristen, wie viele sind Wiener? Was glauben Sie? Die Antwort hat Lillie in den vergangenen fünf Jahren, in denen sie an der Seite ihrer Mutter Ilsebill das älteste Porzellangeschäft Wiens am Graben führt, eingehend studieren können: Das Verhältnis liegt bei 70 zu 30. Zugunsten der Touristen. Einheimische verirren sich trotz oder wegen des ehrwürdigen Namens des ehemaligen k. u. k. Hoflieferanten eher selten in das Innere des Hauses mit der Nummer 13.
Das ist zu einem Teil bereits dem Eingangsportal geschuldet: Vom hellen Graben zweigt ein hübsch gefliester Gang mit Reihen beleuchteter Glasvitrinen voller Porzellan und Glaswaren ab. An dessen Ende kann man ganz hinten links erst den eigentlichen Geschäftseingang erahnen. „Ich will den Wienern wieder zeigen, dass es uns gibt“, sagt Lillie. Die Hürde sieht sie nicht in den baulichen Gegebenheiten des Generali-Hofs, in dem Albin Denk seit der Jahrhundertwende residiert. Für die 43-Jährige ist die Gretchenfrage eher: „Wie schaffe ich die Brücke zwischen Innovation und Tradition?“Die gelernte Kommunikationsberaterin hat seit dem Wechsel ins Familienunternehmen bereits an einigen Stellschrauben gedreht. Die Touristen und die Brautpaare mit den Hochzeitslisten – zwei Stammgruppen bei Albin Denk – will sie nicht verschrecken. Aber auch die Jüngeren sollen durch den langen Gang zu ihr finden.
So hat sich die Firma unter Martina Lillies Führung in den vergangenen Jahren an die Neudefinition der Tradition gemacht. Mit dem oberösterreichischen Keramikunternehmen Gmundner, das seit einiger Zeit ebenfalls um einen frischeren Auftritt bemüht ist, hat man einen Flagship-Store ums Eck in der Bräunerstraße eröffnet. Mit der Porzellanmanufaktur Augarten hat das Haus zum 313. Geburtstag (passend zur Hausnummer) den Inbegriff des Großmutterporzellans neu interpretiert: Die klassische Wiener Rose auf der Jubiläumsmokkatasse wirkte plötzlich deutlich jugendlicher. Bis zum 315. Geburtstag diesen Winter will die Juniorchefin eine Veranstaltungsreihe mit Lesungen und After-Work-Events inmitten von Wedgwood, Meißner und Villeroy & Boch abhalten. Heraus mit dem guten Silber. Seit einiger Zeit kommt sie auf Wunsch auch zu ihrer Kundschaft nach Hause und zeigt dieser, wie sie ihr nie verwendetes Geschirr mit wenig Aufwand, etwa neuen Servietten oder Platztellern, aufwerten kann. Auch das soll beitragen, die Tradition in den Schränken der Hauptstadt zu entstauben. „Das Silberbesteck und die Erbstücke gehören verwendet“, betont Lillie. Jeder träume von der Familientafel zu Weihnachten – aber den Rest des Jahres greife man das teure Porzellan nicht an. Das dürfe doch so nicht wahr sein.
Die Hausbesuche haben noch einen angenehmen Nebeneffekt: Werbung. „Bei Wienern ist die Mundpropaganda das A und O“, sagt Lillie. Anzeigen würde sie schon wegen des fehlenden Budgets keine schalten. Aber ein gut beratener Kunde erzähle seine Erfahrung sicher im Freundeskreis weiter. 2500 Namen umfasst die Kundenkartei von Albin Denk heute. Auch hier sei man noch weit entfernt, alle mit Mailadresse versehen zu haben. Noch ein weiteres Arbeitsfeld, sagt Lillie, und wieder eines, das im Betrieb mit zwölf Mitarbeitern Chefsache ist.
Zumindest für die administrativen Aufgaben würden sie aber bald jemanden einstellen, um mehr Zeit für den Verkauf zu haben. „Man muss als Chef im Geschäft stehen“, sagt sie mit Überzeugung. Und fügt hinzu: „Und meine Mutter und ich sind gut im Verkaufen.“Man merkt ihr an, dass sie, die vor nicht so langer Zeit erst umsattelte, weiß, wovon sie bei dem feinen, blauweißen Porzellan von Royal Copenhagen oder den aktuellen Floraltrends des Briten Wedgwood spricht. Zweimal im Jahr reisen Mutter und Tochter zu den wichtigsten Einrichtungsmessen in Frankfurt und Paris. Dort mit einem Schlachtplan für die kommenden Monate vorzufahren und strategisch einzukaufen sei die Jahresmiete. Wobei der Schlachtplan nur so lang wirklich halte, bis sich die erste Lieferzeit verschiebe, fügt Lillie lachend hinzu – ab dann könne man sowieso wieder von vorn beginnen.
Interessierte Geschäftspartner gebe es jedenfalls genug. 140 Marken führt Albin Denk je nach Saison in unterschiedlicher Zusammensetzung im Sortiment. „Die Lieferanten laufen uns als einem der letzten Traditionshäuser die Tür ein.“Das sei auch ihrer Mutter zu verdanken, die in den vergangenen 30 Jahren die Qualität hochhielt und
»Ich will den Wienern wieder zeigen, dass es uns gibt.« »Die Lieferanten laufen uns als einem der letzten Traditionshäuser die Tür ein.«
auch bei dem Zusatzgeschäft mit Geschenkartikeln, die man für den schnellen Umsatz mit der Laufkundschaft führt, stets auf Stil achtete.
Seit 1910 ist das Geschäft im Besitz der Familie Lillie. Vor Mutter Ilsebill führten es Onkel und Großtante. Je weiter man aber bis zur Gründung zurückgeht, desto mehr verlaufen sich die Daten. Gesichert ist, dass der frühere Inhaber Albin Denk im 19. Jahrhundert mit Steingut und Porzellan – und mit besonderem Stolz mit echtem Wedgwood-Geschirr – handelte und ihm 1878 der Titel eines k. u. k. Hoflieferanten verliehen wurde. Sicher ist auch, dass sich die ursprüngliche Töpferwarenfirma noch vor der Herstellung des Porzellans, auch bekannt als „weißes Gold“, 1702 beim „Eisgrübl“niederließ. Dort am Petersplatz befand sich damals die städtische Eisgrube, wo die Blöcke aus den Flüssen der Umgebung in den Verkauf gelangten.
Martina Lillie will die vergessenen Stücke dieser Vergangenheit wieder ausgraben, um die Tradition lebendig zu halten. Demnächst dürfte man sie im Sisi-Museum antreffen, auf der Suche nach dem Geschirr der Kaiserin aus dem Haus Albin Denk.