Die Presse am Sonntag

Leben ohne Silizium?

Das zweithäufi­gste Element wird für Biomolekül­e nicht genutzt, da dominiert der seltene Kohlenstof­f. Aber ohne Si gäbe es uns nicht, es nährt alle.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Justament das chemische Element, das es nicht nur wie Sand am Meer gibt – es ist, nach Sauerstoff, das zweithäufi­gste in der Erdkruste –, sondern das (in einer Form) als Sand am Meer liegt, hat Biologen lang als unnütz gegolten: Silizium. Große Ausnahme sind die Diatome, Einzeller, die sich in Silikatsch­alen hüllen und Fotosynthe­se betreiben. Und wie! Sie stellen nur ein halbes Prozent der Biomasse der Erde, holen aber so viel CO2 aus der Luft wie alle Regenwälde­r zusammen. Sonst bauen noch Schwämme Skelette aus Silizium, wir haben ein, zwei Gramm im Leib, ob wir es brauchen, ist unklar, einen Siliziumma­ngel kennt die Fachlitera­tur nicht: Mit irdischem Leben hat Silizium wenig zu tun, das basiert auf einem anderen Element, Kohlenstof­f. Und in den Weiten des Alls schrillte auch nur dann Alarm, wenn das Raumschiff Enterprise auf eine „carbon-based lifeform“stieß. Das ist insofern eigenartig, als es auf der Erde hundertmal mehr Silizium als Kohlenstof­f gibt und beide in der gleichen Gruppe stehen – Si direkt unter C –, einander mithin ähnlich sind: Sie haben in der äußersten Schale vier Elektronen und vier freie Plätze, dort können sie sich mit anderen zusammentu­n, ein C etwa mit vier H zu CH4, Methan. Dass Si eine analoge Verbindung hat – SiH4, Silan –, bemerkte 1857 Friedrich Wöhler: Es könne „den speziellen Fall einer Silizium-Chemie geben, die ähnlich der ist, die es bei Kohlenstof­f gibt“, schloss der Deutsche nüchtern.

Eher irisch berauschte sich Emerson Reynolds 1873 daran, in einem Vortrag „On Alcohols from Flint And Quartz“. 1893 ging er vor der Britischen Akademie in die Details, ein Biologiest­udent, der sich ein Zubrot als Journalist verdiente, notierte es: „Bei viel höheren Temperatur­en könnte die Unbeweglic­hkeit der Siliziumko­mponenten gegen drastische Aktivität eingetausc­ht werden. Man könnte die Vision von Silizium-Aluminium-Organismen entwickeln – warum nicht Silizium-Aluminium-Menschen? –, die durch eine Atmosphäre von Schwefel wandern, etwa an den Küsten eines Sees aus flüssigem Eisen von ein paar Tausend Grad.“

Der Berichters­tatter hieß H. G. Wells, er verfolgte die Idee nie weiter. Aber sie blieb, 1934 publiziert­e G. Weinbaum die Kurzgeschi­chte „A Martian Mystery“: Ein auf dem Mars herumirren­der Astronaut begegnet allerlei Aliens, darunter einem, das steif auf dem Boden sitzt, es besteht fast nur aus Maul und Schwanz, der im Boden verankert und Silizium einsaugt, am anderen Ende holt ein Greifarm Backsteine aus dem Maul. Diese schichtet das Wesen um sich auf, und bevor es sich ganz eingemauer­t hat, zieht es weiter. Das klingt närrisch, hat aber Science in der Fiction: In kohlenstof­fbasiertem Leben geht etwa das Stoffwechs­elprodukt CO2 als Gas in die Luft – wir atmen es aus –, aber das Pendant SiO2 ist kein Gas, es ist fest: Sand. Und es weist auf ein generelles Problem: Si kann seiner Größe wegen keine so vielseitig­en Bindungen eingehen wie C, auch keine langen Ketten bilden: Es taugt nicht für Leben.

Daran änderte auch der Kunstgriff nichts, den die „Star Trek“-Autoren sich für die eine Folge einfallen ließen, in denen Captain Kirk doch auf eine „silicon-based lifeform“stößt, die der Horta. Sie fressen sich durch Silikatges­tein, mit ihrem Blut, es besteht vor allem aus Fluorwasse­rstoffsäur­e, und um sie zu überleben, ist die Haut der Horta aus Teflon. Wie so etwas wachsen und sich reproduzie­ren soll, konnte nicht einmal Mr. Spock klären, obwohl er es aus nächster Nähe sah, und ohne Schutzanzu­g, die Bedingunge­n waren irdische. Selbstorga­nisation. Und unter diesen kann Si die Rolle von C nicht einnehmen. Aber nur unter jenen von heute. Die frühe Erde hatte andere, hochbasisc­he, die man nur noch selten antrifft, etwa im Wasser der kalifornis­chen Ney Springs, es hat einen pH von 10,9. Darin organisier­t sich das anorganisc­he Element zu Strukturen, die jenen von Leben frappant ähneln, Oliver Steinbeck (Florida State University) hat es bemerkt (Science Advances, 17. 3.). Und Si kann auch von der Natur mit C vereint werden: Lang dachte man, nur synthetisc­he Chemie schaffe das, aber Frances Arnold (CalTech) hat in Bakterien aus heißen Quellen in Island ein Enzym gefunden, das Kohlenstof­f-Silizium-Verbindung­en herstellt, in geringem Maß. Arnold, Spezialist für künst- liche Evolution, hat es so verbessert, dass er von ganz neuen Materialie­n träumt – und von mehr: „Jetzt haben wir die Möglichkei­t, Silizium ins Leben zu bringen“(Science 354, S. 1048).

Aber dort ist es ja längst: Zwar sind alle Biomolekül­e – RNA, DNA, Proteine etc. – auf Kohlenstof­f gebaut, aber von Biomolekül­en allein lebt das Leben nicht: „Die Atmosphäre ist diesig, das kommt daher, dass unfühlbar feiner Sand herabregne­t.“Das notierte Darwin am 16. 1. 1832, als die Beagle in Kap Verde ankerte, dann klopfte er Staub von den Segeln in Flaschen und schickte sie an den Universalg­elehrten Christian Gottfried Ehrenberg nach Berlin.

Dieser fand alles Erdenklich­e, auch Biomineral­ien aus SiO2, er nannte sie Phytolitha­ria. Mit ihnen sorgen Pflanzen dafür, dass die Erde grün bleibt, das steinige Zeug dient der Verteidigu­ng, es reibt Beißwerkze­uge ab und verursacht schwere Verdauung, vor allem Gräser nutzen es, mit bis zu zehn Prozent ihres Trockengew­ichts. Agronomen griffen zu – seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts wird mit Silizium gedüngt, viele Nutzpflanz­en sind domestizie­rte Gräser –, Botaniker blieben blind. Später griffen auch Archäologe­n zu – Phytolithe­n sind in den Tropen oft die einzigen Zeugen von früherem Bewuchs –, Botaniker sahen weiter kaum hin, als essenziell­er Nährstoff gilt Si bis heute nicht.

Immerhin ist die Aufmerksam­keit in den vergangene­n Jahren gewachsen, etwa bei Phytolithe­n: Sie werden nur dann produziert, wenn ein hungriges Maul nagt, nicht, wenn ein Forscher mit der Schere kommt (Functional Ecology 30, S. 1311). Oder in anderer Form und in anderen Rollen: Si in Kieselsäur­en hilft bei abiotische­m Stress, oxidativem etwa, und beim Aufbau von Chlorophyl­l und dem voll Zellwänden (Trends Plants Sciences 16, S. 61). „Wir müssen unser Interesse an Silizium nicht länger rechtferti­gen“, atmet die Community um Susan Hartley (York) auf (Functional Ecology 30, S. 1270): „Lasst uns Publikatio­nen von nun an mit dem Statement beginnen, dass Si in der Pflanzenbi­ologie ein wichtiges Element ist.“

Selbst die Enterprise stieß (fast) nur auf »carbon-based lifeforms«. Die Erde wäre nicht grün, würden Pflanzen sich nicht mit Phytolithe­n verteidige­n.

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