Jeder glaubt für sich allein
Der Glaube ist schon lang keine Pflicht mehr, sondern zu einer Wahl geworden. Migration und Säkularisierung verändern unseren Zugang zu Religion.
Selten im Jahr ist das Thema Religion so präsent wie zu Ostern. Wenn der Papst am Ostersonntag den Segen „Urbi et orbi“spricht und Bilder von den Kreuzwegumzügen aus Jerusalem, Rom, Spanien oder Südamerika um die Welt gehen, Zeitungen Porträts von jungen Priestern abdrucken und Magazine wie der „Spiegel“mit dem Konterfei von Jesus Christus aufmachen (mit der Schlagzeile: „Ewiges Leben. Demnächst für alle“), rücken Glaubensthemen für ein paar Tage in den Mittelpunkt. Sonst ist es nicht besonders angesagt, über Gott und Glauben zu reden. Dabei sagen nach wie vor noch zwei Drittel der europäischen Bevölkerung, dass sie an einen Gott glauben. Glaube ist heute keine Pflicht mehr – wie früher, als man nur Teil der Dorfgemeinschaft war, wenn man in die Kirche ging –, sondern zu einer Wahl geworden.
Einer, der die Menschen seit Jahren dazu bringt, über ihren Glauben zu sprechen, ist der Journalist Johannes Kaup. In seiner Ö1-Reihe „Was glau- ben Sie?“redet er regelmäßig mit mehr oder weniger prominenten Menschen über ihre Haltung zu Religion, Gott und den Sinn des Lebens. Soeben sind 22 dieser Gespräche in Buchform erschienen – wir bringen auf den folgenden Seiten Auszüge aus drei dieser Interviews. Kaup sagt: „Religion ist oft negativ behaftet, das Positive wird nicht gesehen.“Er sagt, man kann die Kirche als Institution für vieles kritisieren, „das habe ich immer gemacht“, das bedeute aber nicht, dass man sich von der Religion abwenden muss.
Im Gegenteil, er glaubt, die Beschäftigung mit dem eigenen Glauben nehme zu. „Wir leben in einer postpostmodernen Welt, in der wieder nach den großen Erzählungen gesucht wird.“Jeder tut das auf seine Weise, das zeigen auch die Gespräche, die er geführt hat. Der Kabarettist Roland Düringer etwa ist für Kaup einer jener Zeitgenossen, „die sich schwertun mit den traditionell überlieferten Bildern eines Schöpfergottes, der in den Barockkirchen als alter Herr mit weißem Bart abgebildet ist, der streng die Welt ordnet und richtet“. Für ihn ist Gott eher „die Quelle des Lebenskreislaufs, das Leben, das erst die Welt, die Natur und den Menschen hervorbringt“. Den einen Glauben gibt es nicht. Die Religionspädagogin und Theologin Regina Polak, die an der Universität Wien lehrt, warnt davor, von „dem Glauben“zu sprechen: „Den einen Glauben gibt es soundso nicht. Wenn man den Glauben eines Menschen verstehen will, genügt es heute nicht mehr, aufgrund einer bestimmten Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe zu sagen, was der oder die glaubt.“Dennoch stimmt sie zu, dass wir uns seit einigen Jahren „in einem umfassenden Transformationsprozess“befinden. Zwei zentrale Treiber für die Veränderung unseres Umgangs mit dem Glauben sieht sie in der Migration und in der Säkularisierung der Gesellschaft. Die Religionslandschaft werde in den nächsten Jahren durch die demografische Entwicklung und Zuwanderung verändert. Einen flächendeckenden Katholizismus wie in den 1970er- oder 1980erJahren werde es nicht mehr geben. „Es ist historisch neuartig für Österreich, in einer multireligiösen Gesellschaft zu leben.“Nur der interreligiöse Dialog könne helfen, Vorurteile abzubauen und einander besser zu verstehen, sagt Polak. In anderen Regionen der Welt, etwa in Asien oder auch in den USA, gebe es eine viel größere Selbstverständlichkeit für religiöse Diversität.
Die Expertin sieht zudem eine Zunahme der Religionsskepsis. Etwa, weil Religion mit Fundamentalismus gleichgesetzt wird oder Menschen mit institutionalisierter Religion immer weniger anzufangen wissen. „Gleichzeitig gibt es aber einen Trend der Spiritualisierung, auch in atheistischen
Glaubensrichtungen in Österreich.
Vergangene Woche haben der Integrationsfonds und das Innenministerium aktuelle Zahlen zu den Religionsgemeinschaften in Österreich veröffentlicht. Derzeit leben 5,16 Millionen Katholiken in Österreich (Stichtag: 31. Dezember 2016). 2015 waren es laut Statistik der Österreichischen Bischofskonferenz gut 5,21 Mio. Katholiken. Das entspricht einem Rückgang von 0,99 Prozent.
Weiters leben geschätzte
700.000 Muslime, 500.000 Orthodoxe, 302.964 Protestanten, 15.000 Juden in Österreich. Rund 2,1 Millionen Menschen gehören verschiedenen anderen Religionen an oder sind konfessionslos. Milieus. Einen Wunsch, einen gelebten Glauben zu erfahren, ohne sich einer Religionsgemeinschaft zugehörig zu fühlen.“Johannes Kaup überrascht dieser Trend nicht. „Religion gibt Antworten auf die Frage vom Anfang und Ende des Lebens, wie wir miteinander umgehen etc.“Für Kaup wie Polak ist es problematisch, wenn man nicht oder zu wenig über Religion spricht und somit Falsches verbreitet wird. „Die religiöse Unbildung halte ich für gefährlich. Die religiöse Bildung ist für die Zukunft ganz zentral“, sagt Polak.
Unwissen führe nämlich dazu, so Kaup, dass viele Menschen denken, es gebe Gewalt in der Welt, weil es die Religion gibt, weil es einen Streit um die Wahrheit gibt, nach dem Motto „Mein Gott gegen deinen Gott“. „Aber eigentlich ist es umgekehrt. Es gibt die Neigung der Menschen zu Gewalt. Es gibt Habsucht, Gier, Eifersucht usw., und darauf versuchen die Religionen, eine Antwort zu finden. Wer glaubt, dass er die einzig selig machende Wahrheit hat und andere deshalb missachtet oder
Zwei Treiber der Veränderung des Glaubens sind Migration und Säkularisierung. »Wir müssen lernen, dass Gott nicht einer Religion gehört, sondern für alle da ist.«
verfolgt, der hat die Wahrheit einer Religion bereits verlassen und sich selbst an die Stelle Gottes gesetzt.“ Ein Urgedanke. Kaup hat deshalb besonders das Gespräch mit dem muslimischen Theologen Mouhanad Khorchide beeindruckt: „Er hat mir aufgezeigt, dass alle Kulturen der Welt eines gemeinsam haben: Einen Urglauben an das Geheimnis unseres Lebens, dem sie unterschiedliche Namen geben: Gott, Jahwe, Allah, Atman oder andere. Er verbindet alle Menschen auf der Welt. Khorchide sagt: , Wir müssen lernen, dass Gott nicht einer Religion gehört, sondern für alle da ist.‘ Religion ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel dazu, das uns helfen kann, ein guter bzw. ein besserer Mensch zu werden.“