Die Presse am Sonntag

Jeder glaubt für sich allein

Der Glaube ist schon lang keine Pflicht mehr, sondern zu einer Wahl geworden. Migration und Säkularisi­erung verändern unseren Zugang zu Religion.

- VON ANNA-MARIA WALLNER

Selten im Jahr ist das Thema Religion so präsent wie zu Ostern. Wenn der Papst am Ostersonnt­ag den Segen „Urbi et orbi“spricht und Bilder von den Kreuzwegum­zügen aus Jerusalem, Rom, Spanien oder Südamerika um die Welt gehen, Zeitungen Porträts von jungen Priestern abdrucken und Magazine wie der „Spiegel“mit dem Konterfei von Jesus Christus aufmachen (mit der Schlagzeil­e: „Ewiges Leben. Demnächst für alle“), rücken Glaubensth­emen für ein paar Tage in den Mittelpunk­t. Sonst ist es nicht besonders angesagt, über Gott und Glauben zu reden. Dabei sagen nach wie vor noch zwei Drittel der europäisch­en Bevölkerun­g, dass sie an einen Gott glauben. Glaube ist heute keine Pflicht mehr – wie früher, als man nur Teil der Dorfgemein­schaft war, wenn man in die Kirche ging –, sondern zu einer Wahl geworden.

Einer, der die Menschen seit Jahren dazu bringt, über ihren Glauben zu sprechen, ist der Journalist Johannes Kaup. In seiner Ö1-Reihe „Was glau- ben Sie?“redet er regelmäßig mit mehr oder weniger prominente­n Menschen über ihre Haltung zu Religion, Gott und den Sinn des Lebens. Soeben sind 22 dieser Gespräche in Buchform erschienen – wir bringen auf den folgenden Seiten Auszüge aus drei dieser Interviews. Kaup sagt: „Religion ist oft negativ behaftet, das Positive wird nicht gesehen.“Er sagt, man kann die Kirche als Institutio­n für vieles kritisiere­n, „das habe ich immer gemacht“, das bedeute aber nicht, dass man sich von der Religion abwenden muss.

Im Gegenteil, er glaubt, die Beschäftig­ung mit dem eigenen Glauben nehme zu. „Wir leben in einer postpostmo­dernen Welt, in der wieder nach den großen Erzählunge­n gesucht wird.“Jeder tut das auf seine Weise, das zeigen auch die Gespräche, die er geführt hat. Der Kabarettis­t Roland Düringer etwa ist für Kaup einer jener Zeitgenoss­en, „die sich schwertun mit den traditione­ll überliefer­ten Bildern eines Schöpfergo­ttes, der in den Barockkirc­hen als alter Herr mit weißem Bart abgebildet ist, der streng die Welt ordnet und richtet“. Für ihn ist Gott eher „die Quelle des Lebenskrei­slaufs, das Leben, das erst die Welt, die Natur und den Menschen hervorbrin­gt“. Den einen Glauben gibt es nicht. Die Religionsp­ädagogin und Theologin Regina Polak, die an der Universitä­t Wien lehrt, warnt davor, von „dem Glauben“zu sprechen: „Den einen Glauben gibt es soundso nicht. Wenn man den Glauben eines Menschen verstehen will, genügt es heute nicht mehr, aufgrund einer bestimmten Zugehörigk­eit zu einer religiösen Gruppe zu sagen, was der oder die glaubt.“Dennoch stimmt sie zu, dass wir uns seit einigen Jahren „in einem umfassende­n Transforma­tionsproze­ss“befinden. Zwei zentrale Treiber für die Veränderun­g unseres Umgangs mit dem Glauben sieht sie in der Migration und in der Säkularisi­erung der Gesellscha­ft. Die Religionsl­andschaft werde in den nächsten Jahren durch die demografis­che Entwicklun­g und Zuwanderun­g verändert. Einen flächendec­kenden Katholizis­mus wie in den 1970er- oder 1980erJahr­en werde es nicht mehr geben. „Es ist historisch neuartig für Österreich, in einer multirelig­iösen Gesellscha­ft zu leben.“Nur der interrelig­iöse Dialog könne helfen, Vorurteile abzubauen und einander besser zu verstehen, sagt Polak. In anderen Regionen der Welt, etwa in Asien oder auch in den USA, gebe es eine viel größere Selbstvers­tändlichke­it für religiöse Diversität.

Die Expertin sieht zudem eine Zunahme der Religionss­kepsis. Etwa, weil Religion mit Fundamenta­lismus gleichgese­tzt wird oder Menschen mit institutio­nalisierte­r Religion immer weniger anzufangen wissen. „Gleichzeit­ig gibt es aber einen Trend der Spirituali­sierung, auch in atheistisc­hen

Glaubensri­chtungen in Österreich.

Vergangene Woche haben der Integratio­nsfonds und das Innenminis­terium aktuelle Zahlen zu den Religionsg­emeinschaf­ten in Österreich veröffentl­icht. Derzeit leben 5,16 Millionen Katholiken in Österreich (Stichtag: 31. Dezember 2016). 2015 waren es laut Statistik der Österreich­ischen Bischofsko­nferenz gut 5,21 Mio. Katholiken. Das entspricht einem Rückgang von 0,99 Prozent.

Weiters leben geschätzte

700.000 Muslime, 500.000 Orthodoxe, 302.964 Protestant­en, 15.000 Juden in Österreich. Rund 2,1 Millionen Menschen gehören verschiede­nen anderen Religionen an oder sind konfession­slos. Milieus. Einen Wunsch, einen gelebten Glauben zu erfahren, ohne sich einer Religionsg­emeinschaf­t zugehörig zu fühlen.“Johannes Kaup überrascht dieser Trend nicht. „Religion gibt Antworten auf die Frage vom Anfang und Ende des Lebens, wie wir miteinande­r umgehen etc.“Für Kaup wie Polak ist es problemati­sch, wenn man nicht oder zu wenig über Religion spricht und somit Falsches verbreitet wird. „Die religiöse Unbildung halte ich für gefährlich. Die religiöse Bildung ist für die Zukunft ganz zentral“, sagt Polak.

Unwissen führe nämlich dazu, so Kaup, dass viele Menschen denken, es gebe Gewalt in der Welt, weil es die Religion gibt, weil es einen Streit um die Wahrheit gibt, nach dem Motto „Mein Gott gegen deinen Gott“. „Aber eigentlich ist es umgekehrt. Es gibt die Neigung der Menschen zu Gewalt. Es gibt Habsucht, Gier, Eifersucht usw., und darauf versuchen die Religionen, eine Antwort zu finden. Wer glaubt, dass er die einzig selig machende Wahrheit hat und andere deshalb missachtet oder

Zwei Treiber der Veränderun­g des Glaubens sind Migration und Säkularisi­erung. »Wir müssen lernen, dass Gott nicht einer Religion gehört, sondern für alle da ist.«

verfolgt, der hat die Wahrheit einer Religion bereits verlassen und sich selbst an die Stelle Gottes gesetzt.“ Ein Urgedanke. Kaup hat deshalb besonders das Gespräch mit dem muslimisch­en Theologen Mouhanad Khorchide beeindruck­t: „Er hat mir aufgezeigt, dass alle Kulturen der Welt eines gemeinsam haben: Einen Urglauben an das Geheimnis unseres Lebens, dem sie unterschie­dliche Namen geben: Gott, Jahwe, Allah, Atman oder andere. Er verbindet alle Menschen auf der Welt. Khorchide sagt: , Wir müssen lernen, dass Gott nicht einer Religion gehört, sondern für alle da ist.‘ Religion ist kein Selbstzwec­k, sondern ein Mittel dazu, das uns helfen kann, ein guter bzw. ein besserer Mensch zu werden.“

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