Die Presse am Sonntag

»Ich bin kein Kirchenren­ner«

Die Flüchtling­shelferin Ute Bock wir© ©emn´chst 75. Den Sinn ©es Leãens sieht sie im Versuch, ©Żs Beste zu geãen.

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Was macht Ihnen Freude? Wann sagen Sie: „Heute war ein Supertag, heute ist etwas weitergega­ngen, das befriedigt mich“? Schauen Sie, ich habe da vor mir Berge liegen: Jemand braucht eine Krankenver­sicherung und hat keine. Ich muss da von Pontius zu Pilatus rennen. Wenn mir so etwas gelingt, dann freut mich das. Da sitzen welche draußen, die keine Unterkunft haben. Ich telefonier­e herum. Am Abend, wenn ich gehe – Gott sei Dank –, sind alle untergebra­cht. [. . .] Ich habe unzählige Leute, die bei mir ehrenamtli­ch etwas tun. Es gibt unzählig viele Leute, die mir fünf, zehn Euro monatlich spenden. Es gibt sogar Reiche, die mich unterstütz­en. Woher nehmen Sie Ihre Kraft? Was ist das Herz Ihrer Motivation? Woran glauben Sie? Ich weiß das eigentlich nicht. Ich glaube, das liegt in meiner Erziehung: Probleme selbst zu lösen, so sind wir erzogen worden. Nicht irgendwohi­n gehen und raunzen. Da muss man durch. Als ich angefangen habe, in Biedermann­sdorf zu arbeiten, hätte ich normalerwe­ise nach der ersten Woche wegrennen müssen. Es war furchtbar. Ich habe da auf einmal 30 halbwüchsi­ge, irre Buben in den Griff bekommen müssen. Ich habe das vorher nie gemacht und nicht gekonnt, aber da muss man durch. Da hat mir diese Erziehung viel geholfen. „Aber da muss man durch“– da braucht man ja auch Motivation. Es gibt ja nicht immer Erfolge, man muss ja auch Durststrec­ken hinter sich bringen. Da braucht man doch irgendwann einmal die Kraft, von der man eben nicht weiß, woher sie kommt. Es ist so, dass man, wenn man das übersteht, einen Erfolg spürt. Ich habe immer das Gefühl gehabt, ich muss da bleiben, weil ich da noch etwas verändern muss. Das war in Biedermann­sdorf so, das war in der Zohmanngas­se so. Jetzt ist es wieder so. Ich bin besessen, ich sage Ihnen das: Ich habe einen Vogel. Ich weiß nicht, ob das für Ihr Leben relevant ist, aber ich stelle die Frage trotzdem: Glauben Sie an Gott? Ich meine jetzt nicht an einen Mann mit weißem Bart, so wie sich das manche in der Kinderzeit vorgestell­t haben, sondern eher als einen tragfähige­n Sinnhorizo­nt im Leben. Ich bin kein Kirchenren­ner. Ich glaube nicht, dass er da oben sitzt und heruntersc­haut, denn dann muss ihm grausen. Ich hoffe aber, dass der Mensch nicht nur das Ergebnis einer schlechten chemischen Verbindung ist. Mir passieren manchmal Sachen, bei denen ich mir denke: Wieso ist das jetzt passiert? Das ist ganz komisch. Wissen Sie, es geht mir manchmal so, dass ich nicht weiß, wie es weitergeht. Auf einmal schlägt Gott eine Tür zu und macht irgendwo ein Fenster auf. Das passiert. Ich habe eine Familie da sitzen und weiß nicht, wohin. Was mache ich mit ihnen? Am nächsten Tag in der Früh ruft einer an und sagt: „Ich habe eine Wohnung. Wollen Sie sie haben?“Das ist mir schon passiert. Ein Atheist oder Agnostiker würde sagen, das ist ein Zufall, und Sie fantasiere­n das jetzt ein Stück weit. Ich bin auch eher der Meinung, dass das ein Zufall ist. Aber wenn das häufiger vorkommt, dann denkt man sich schon: Was ist denn da los? Ich glaube nicht, dass der da oben sitzt und sagt: „Jetzt gebt’s ihr eine Wohnung, sonst schnappt sie über!“, oder so. Das glaube ich nicht. Aber irgendwo glaube ich eben diese Geschichte mit der schlechten chemischen Verbindung auch nicht. Das kann ja nicht alles sein. Es kann ja nicht sein, dass ich mich da 80 Jahre wie eine Depperte plage, und dann hupfe ich in die Kiste. Den Eindruck hatte ich auch, dass Sie eigentlich, ohne viel Zeit zu haben, darüber zu reflektier­en, eine Ahnung haben, dass es mit dem Leben nicht nur nicht aus ist, sondern dass es in diesem Leben einfach darum geht, Gutes zu tun, weil es gut ist, weil es andere Menschen befreit. Ja, genauso ist es. Ich bin überhaupt nicht religiös aufgewachs­en. Aber meine Mutter hat bei allem, was passiert ist, gesagt: „Siehst du, das ist die Strafe Gottes.“Ich denke heute noch, wenn ich zum Beispiel etwas machen sollte, dann zu faul dazu bin und es nicht gleich mache, es nach einer halben Stunde doch tue: Jetzt mache ich es doch noch, denn sonst bekomme ich irgendwo eine aufs Hirn. Ich habe sonst das Gefühl, ich bekomme sonst irgendwo einen Prügel vor die Füße gehaut. Was bleibt für Sie? Was ist wirklich wichtig, was ist für Sie heilig? Dass man am Ende seines Lebens sagen kann: Ich habe versucht, mein Bestes zu geben. Es war vielleicht nicht immer alles gut, aber ich habe es probiert und aus. Mehr ist es nicht.

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