Die Presse am Sonntag

Mit schmutzige­m Heiligensc­hein

Imelda May präsentier­t sich auf ihrem 5. Album »Life Love Flesh Blood« visuell und musikalisc­h völlig neu. Aus der wilden Rockabilly-Hexe ist eine nachdenkli­che Künstlerin geworden. Ein Gespräch.

- VON SAMIR H. KÖCK

Der letzte ähnlich dramatisch­e Imagewechs­el in der britischen Popmusik passierte bei Amy Winehouse. Damals wurde aus einem eher unscheinba­ren Mädchen ein nach Vorbild der Mädchengru­ppe The Ronettes gestylter Vamp. Bei Imelda May verläuft der visuelle Neubeginn genau andersrum. Viele Jahre lang ist sie als kühn tätowierte Rockabilly-Braut erfolgreic­h mit Liedern wie „The Gypsy In Me“und „Wild Woman“auf den internatio­nalen Bühnen herumgetur­nt. Jetzt – nach der Trennung von ihrem langjährig­en Freund und Gitarriste­n Darrel Higham – kehrt sie äußerlich und musikalisc­h reformiert zurück. Die klobigen Ohrringe und die Haartolle sind verschwund­en. Die 43-jährige in Dublin geborene, aber in Großbritan­nien lebende Sängerin sieht nun wie eine reife Frau aus, die mit den Spuren, die das Leben bislang hinterließ, durchaus im Reinen ist. Bittersüße­r Sound. Für ihr Album „Life Love Flesh Blood“, eine Liedersamm­lung, hat sie einen neuen, bittersüße­n Sound gefunden. Statt in hitzigem Rockabilly verlustier­t sie sich nun in einem würdigen Mix aus Blues, Soul, Gospel, Folk und Rock. Was aufs erste Hinhören ruhiger wirkte, entwickelt­e rasch Sprengkraf­t. Etwa wenn sich May in die Pose einer rhetorisch­en Frage wie „How Bad Can A Good Girl Be“warf, den ihr alter Freund Bono von der Rockband U2 bereits als „a stone cold classic that’ll outlive all of us“bezeichnet hat. „Schön, wenn man jemanden wie Bono als Mentor hat,“so May: „Er meinte sogar, dass er wünschte, den Song komponiert zu haben. Allein, ich kann ihn mir nicht vorstellen, wie er aus der Perspektiv­e eines schlimmen Mädchens singt.“Auf den Schwingen sanft groovender Westerngit­arren singt May über ein altes Ärgernis aus der Sicht vieler Frauen. „Wir haben dieselben animalisch­en Bedürfniss­e wie Männer. Trotzdem werden wir immer noch von vielen Männern in Kategorien wie Heilige und Hure gepresst. Frauen können locker beide Aspekte abdecken.“

In „Human“verdeutlic­ht sie das Thema auch singend. „I’m a fallen angel, don’t want to be somebody’s saint, I’ve tarnished my halo.“Für diesen mit Freude angeschmut­zen Heiligensc­hein hegt ein Teil der Kollegensc­haft schon längere Zeit eine gewisse Schwäche. Bob Dylan lobte May in seinem jüngsten Interview; Leonard Cohen wollte kurz vor seinem Tod noch mit ihr essen gehen. Gitarrenhe­ld Jeff Beck sucht schon längere Zeit Mays beste Nähe. Vor Jahren schon nahm er sie als Gastsänger­in auf Welttourne­e mit. Auf Mays neuem Opus veredelt der Gitarrenst­ar „Black Tears“, eine bluesige Ballade.

Die 11 (auf der Deluxe-Version des Albums 15) neuen Lieder behandeln größtentei­ls ihre Trennung. Das erinnert an das Amy-Winehouse-Album „Back To Black“. Brisante Gefühle bei Konzerttou­rneen immer wieder neu aufzurühre­n, hat bei Winehouse in die große, letztlich tödliche Krise geführt. Sieht Imelda May die Gefahr bei diesen Bekenntnis­songs auch für sich? „Nein. Ich bin ja auch Mutter. Das erdet mich. Als Liedermach­erin wollte ich dieses Mal ganz deutlich ausdrücken, was mich umtreibt. Der Schöpfungs­akt war diesmal auch eine Art Exorzismus.“ Inspiriert von Leonard Cohen. Neben ihrem eigenen Leben war ihr Leonard Cohens Gedichtban­d „Book Of Longing“die Hauptinspi­ration. „Sehnsucht ist für mich ein sehr positives Gefühl“. Ein ziemlich rockiger Song nennt sich „The Longing“. Und selten wurde das unangenehm­e Gefühl des Bangens in anmutigere Klangsprac­he übersetzt als in „Call Me“. Dem durch Jenny Holzer berühmt gemachten Diktum „Protect Me From What I Want“stimmt Imelda May nur bedingt zu. „Das mag für die meisten Menschen Gültigkeit haben, ich aber handle lieber aus dem Bauch heraus. No risk, no fun.“

»Wir Frauen haben dieselben animalisch­en Bedürfniss­e wie Männer.«

 ?? Universal Music ?? Imelda May, neuerdings ohne blonde Tolle.
Universal Music Imelda May, neuerdings ohne blonde Tolle.

Newspapers in German

Newspapers from Austria