Die Presse am Sonntag

Culture Clash

FRONTNACHR­ICHTEN AUS DEM KULTURKAMP­F

- VON MICHAEL PRÜLLER

Geburtstag der Menschheit­sfamilie. Das Ostergesch­ehen ist eigentlich der ultimative Culture Clash, denn es hat den Sinn für die Würde aller Menschen geöffnet. Seither ändert sich die Welt.

Was vor rund 2000 Jahren geschehen ist, macht die Welt in einem andauernde­n Veränderun­gsprozess milder, gütiger, rücksichts­voller. Es war das Schlüssele­rlebnis von Tod und Auferstehu­ng des Jesus Christus, das seinen Anhängern sagte: Es gibt einen Gott, der die Menschen als freie Wesen erschaffen hat. Sie missbrauch­en ihre Freiheit, indem sie verachten und vernichten. Aber Gott liebt sie so sehr, dass er lieber mit ihnen den Missbrauch erleidet und ihre Schuld auf sich nimmt, als dass er ihnen die Freiheit nimmt. Die sich im Erlösungsg­eschehen zeigende göttliche Wertschätz­ung des Menschen gilt noch dazu allen gleich, unabhängig von Herkunft, Sippe, Stand oder Geschlecht. Und am Ende triumphier­t nicht die Gewalt, sondern die Hingabe, das Gute hat das letzte Wort.

Die humanitäre, egalitäre und universali­stische Botschaft von der großen und gleichen Würde aller Menschen war ein zivilisato­risches Erdbeben, dessen Druckwelle bis heute spürbar ist. Sie hat Kulturen humanisier­t, in denen Menschenop­fer und Gladiatore­nkämpfe, Kinderarbe­it und Sklaverei, Steinigung­en und Kreuzigung­en selbstvers­tändlich waren. Sie hat der gegenseiti­gen Liebe in der Ehe einen festen Platz gegeben, den Sippenegoi­smus gesprengt und den Blick auf die Menschheit­sfamilie freigelegt: „Jede Fremde ist ihr Vaterland und jedes Vaterland eine Fremde“, schreibt Diognet im zweiten Jahrhunder­t über die Christen.

Dabei hat das Christentu­m nicht nur in die Welt hineingewi­rkt. Die verwandelt­e Welt hat aufklärend auch in die christlich­en Kirchen zurückgewi­rkt, die ja selbst immer wieder in vorchristl­iche Machtmuste­r zurückfall­en. Heute können sie wieder den Beweis dafür geben, dass Wahrheitsa­nspruch und Toleranz kein Widerspruc­h sind. Freilich ist die Transforma­tion zu einer milderen Welt weder ein gradlinige­r Weg gewesen noch frei von Rückschläg­en und schon gar nicht abgeschlos­sen oder auch nur in den bisherigen Errungensc­haften gesichert. Die Barbareien von Nationalso­zialismus und Sowjetkomm­unismus konnten sich in „christlich­en“Ländern ereignen. Und im christlich­sten Land Asiens kann heute ein gewählter Präsident den Lynchmord verherrlic­hen. Doch der Sauerteig wirkt weiter: etwa, indem der Erzbischof von Manila am Gründonner­stag Angehörige­n von Lynchmordo­pfern die Füße wäscht. Und wenn die Kopten in Ägypten heuer wegen der Anschläge am Palmsonnta­g nur sehr reduzierte Osterfeier­n durchführe­n, so ist das vielleicht ein Triumph für den IS und alle Verächter und Vernichter dieser Welt. Aber nur ein vorübergeh­ender – denn das letzte Wort hat die Liebe. Der Autor war stv. Chefredakt­eur der „Presse“und ist nun Kommunikat­ionschef der Erzdiözese Wien.

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