»Theater ist in dem Zirkus nicht erwünscht«
Weshalb Tenöre oft für dumm gehalten werden, weiß Piotr Beczała nicht. Glaubt aber, »dass alle Witze ihren Grund haben«. Der polnische Tenor versucht jedenfalls nicht, klüger zu sein, als er ist. Denn das sei erbärmlich, sagt er. Wenn Freunde vor Beginn d
Auf der Bühne der Wiener Staatsoper stehen Sie oft. Sind Sie auch manchmal im Zuschauerraum zu finden? Piotr Beczała: Selten, das letzte Mal habe ich „Turandot“mit Yusif hier gesehen (Anm: Im Frühling 2016 sang der Tenor und Ehemann von Anna Netrebko, Yusif Eyvazov, den Calaf in Puccinis „Turandot“). Und als Anna hier zuletzt gesungen hat, habe ich es nicht geschafft, zur Vorstellung zu kommen, weil ich nur auf der Durchreise war. Wenn ich länger hier bin und Proben habe, ist es viel einfacher, einen Abend in die Oper zu gehen. Haben Sie dann überhaupt Lust, nach den Proben auch noch am Abend hier zu sein? Es kommt darauf an. Man will ja seine Freunde unterstützen und Daumen drücken. Ist es für Sie wichtig, wer im Publikum sitzt? Schon, es gibt ein paar Leute, die ich mag. Wenn sie vorbeikommen, freue ich mich sehr. Wenn ich weiß, dass ein Freund von mir am Abend singt, komme ich kurz vor der Vorstellung in die Garderobe, sage „Toi, toi, toi“, und dann verschwinde ich auch. Mögen Sie das, wenn unmittelbar vor der Vorstellung noch jemand zu Ihnen in die Garderobe kommt? Ich meine mögen . . . Also es ist ein bisschen störend. Aber ich habe meine Routine. Ich verschwinde 30, 40 Minuten vor der Vorstellung, um ungestört zu sein. Da findet mich hier niemand, die Einsingzimmer sind ganz hinten. Und wie erfreut sind Sie über Besuch in den Pausen? In den Pausen ist es mir egal, weil ich Pausen sowieso als störend empfinde. Ich bevorzuge alles in einem dramaturgischen Lauf zu singen. Zu viele Pausen töten das Geschehen. In Bayreuth gibt es nach jedem Akt eine Pause, die über eine Stunde dauert. Ja, das ist recht viel. Allerdings gibt es bei Wagner einen anderen Modus. Die Opern sind so komponiert, dass die Pausen richtiggehend hineinkomponiert sind. Bei Verdi oder Puccini könnte man das nie so machen, weil sie vom Sänger ein viel höheres Energielevel verlangen. Eine Pause bewirkt, dass man abstürzt. Das finde ich sehr störend. Bei „Maskenball“etwa muss ich mich für den dritten Akt extra wieder einsingen, weil ich davor fast 40 Minuten Pause habe. Und trinken und essen Sie auch etwas? Schon, aber keinen Wein. Und ich esse eine Kleinigkeit, weil der Zuckerspiegel nach zwei Stunden so stark nach unten geht, dass man sich ganz schwach fühlt. Aber keine Schokolade, weil die legt sich so an den Schleimhäuten an. Die Mezzosopranistin Agnes Baltsa erzählte einmal, dass der Aufführungstag für sie eine einzige Qual sei. Wie ist er für Sie? Ich weiß, die Sänger von damals haben sich so viele Gedanken gemacht. Sie kennen die Geschichten. Manche trinken nur Tee, spazieren nur im Schatten oder essen Kompott, aber nur aus Apfelschalen. Christa Ludwig sagte, sie sprach an den Aufführungstagen nicht, sondern verständigte sich mit ihren Kindern nur durch Pfeifen. Das ist alles absurd. Man kann es übertreiben. Sie sprachen von „den Sängern von damals“. Heute wird um die Sänger viel weni-
Piotr Beczała
wurde 1966 in Polen geboren. Nach seinem Gesangsstudium in Kattowitz war er fünf Jahre lang
engagiert. Nachdem er in
in Linz und in Wien
einsprang, wurde die internationale Opernwelt auf Beczała aufmerksam. Mittlerweile zählt er zu den gefragtesten Tenören weltweit. Im Mai 2016 debütierte Piotr Beczała in
Richard Wagners „Lohengrin“
mit der Titelpartie an der Seite von Anna Netrebko an der Semperoper in Dresden. Beide wurden von Kritikern und Publikum bejubelt.
An der Wiener Staatsoper
ist Piotr Beczała ab 17. April in
Verdis „Maskenball“als Gustaf III. (Riccardo)
zu sehen.
Zürich
ger Theater gemacht als früher, oder? Theater ist unerwünscht in diesem Zirkus. Klar, das Publikum denkt, dass wir alle Champagner zum Frühstück trinken und Kaviar essen. So funktioniert das nicht. Verlangt wird sehr viel Professionalität. Man muss immer pünktlich sein und parat, Sachen sofort zu machen. Es ist sicher härter geworden. Und ich kann das beurteilen. Ich habe alles von ganz unten an durchgemacht, vom Straßensänger bis . . . Sie sind also kein verwöhnter Sänger. Nein, das bin ich nicht. Wenn heute junge Leute zu mir kommen und mich Maestro nennen, sag ich: „Ich bin doch kein Maestro!“Maestro ist für mich ein Dirigent oder eine wichtige Persönlichkeit in der Musikwelt, ich bin einfach ein Sänger. Und sind sogar bei Interviews gut gelaunt. Ich sehe auch Interviews als Teil meines Berufs und bin dabei genauso gut aufgelegt, wie wenn ich zur Vorstellung gehen würde. Dabei hat man manchmal Pech und gerät an Leute, die null Ahnung haben von dem, was ich mache. Das ärgert Sie dann? Ja. Es ist schon passiert, dass ich die ersten zehn Minuten erklären musste, wer ich bin und was ich überhaupt mache. Das ist schon ein bisschen arg. Dann kosten Sie die Interviews mehr Kraft als die Proben. Nein, weil da bin ich in einem anderen Modus. Interviews sind intellektuelle Herausforderungen, weil man versucht – obwohl man Tenor ist –, etwas Kluges zu sagen. Was heißt, „obwohl man ein Tenor ist“? Tenöre gelten oft als dumm. Das ist ein Klischee. Woher das kommt, weiß ich nicht, aber alle diese Witze haben ja ihren Grund. Es gibt auch genug Aber doch nicht nur unter den Tenören. Man sagt ja, ein Bass Das geht irgendwann nach hinten los. Sie glauben, das war ein PR-Gag? . . . wie wichtig es für Sie ist, wer das Haus, in dem Sie singen, leitet? Es ist nicht wichtig, weil ich ohnehin keinen Einfluss darauf habe. Ich kenne mittlerweile fast jeden Opernchef auf der ganzen Welt. Mit vielen bin ich gut bekannt und kann ganz offen reden. Wenn jemand kommt, den ich nicht kenne, macht mich das auch nicht nervös. Es gibt nämlich so viele Opernhäuser auf der Welt, in denen Qualität zählt. Und ich habe immer auf Qualität und nicht auf Bekannt- und Machenschaften gesetzt. . . . ob eigene Kinder in Ihrem Leben fehlen? Na ja, direkt schon, weil wir haben ja keine. Das war freilich nicht unser Wunsch und nicht unsere Entscheidung. Aber meine Frau und ich haben dieses Thema durchgearbeitet, und irgendwann kommt man damit auch gut zurecht. Ich akzeptiere Dinge, auf die ich keinen Einfluss habe, und mache mich nicht verrückt. Und in unserer Familie gibt es sehr viele Kinder. Ich bin ein guter Onkel.