Die Presse am Sonntag

Abnorme Täter: Ruf nach Reformen

Das Thema der psychisch kranken Rechtsbrec­her gerät für das Justizress­ort zur Nagelprobe. Die Psychiater­innen Heidi Kastner und Sigrun Roßmanith wollen längere Therapien.

- VON MANFRED SEEH

Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er hat sich einiges vorgenomme­n. Er will den Bereich reformiere­n, mit dem sich die Strafjusti­z am schwersten tut: den sogenannte­n Maßnahmenv­ollzug, also die Unterbring­ung von psychisch kranken Straftäter­n in geschlosse­nen Anstalten oder Abteilunge­n. Doch die Reformbemü­hungen stocken.

Bisherige Entwürfe für ein eigenes Maßnahmenv­ollzugsges­etz haben den Minister dem Vernehmen nach nicht zufriedeng­estellt. Die Empfehlung­en einer Reformkomm­ission fand der Minister auch nur zum Teil gut. „Die Presse“fragte die beiden renommiert­en Gerichtsps­ychiaterin­nen Heidi Kastner und Sigrun Roßmanith nach Auswegen.

Beide Expertinne­n haben sich bei der Begutachtu­ng von geistig abnormen Rechtsbrec­hern einen Namen gemacht – unter den insgesamt etwa 9000 Gefangenen in Österreich, sind etwa 800 Personen (Tendenz steigend), über die von einem Strafgeric­ht eine Anstaltsei­nweisung verhängt wurde. Kastner hat etwa das Gutachten im Fall Josef Fritzl geschriebe­n, jenes Mannes, der seine Tochter 24 Jahre lang in einen Keller sperrte und sexuell missbrauch­te; Roßmanith untersucht­e beispielsw­eise die „schwarze Witwe“Elfriede Blauenstei­ner, die Männer vergiftete, um an deren Erbe zu kommen.

Beide Expertinne­n befürworte­n, dass geistig abnorme Rechtsbrec­her – auch dieses 1970-er-Jahre-Wording soll laut den ministerie­llen Reformplän­en geändert werden – länger und intensiver psychiatri­sch betreut werden. Eine Forderung, die aus mehreren Gründen scheitern könnte: Der Finanzmini­ster müsste Budgetmitt­el für den Ausbau der Therapiemö­glichkeite­n bereitstel­len. Danach sieht es nicht aus.

SPÖ und Grüne vertreten zum Teil die Meinung, es sei ein Gebot der Stunde, geschlosse­ne psychiatri­sche Anstalten eher zu leeren als zu füllen. Zudem heißt es hinter vorgehalte­ner Hand, die Reform (auch die des Strafvollz­uges) sei kein geeignetes öffentlich­es Thema – in Zeiten, in denen sich alle politische­n Lager auf vorgezogen­e Neuwahlen vorbereite­n.

Was also schlägt Kastner vor? Die Expertin legt ihr Augenmerk auf zwei Dinge. Erstens: Sie begrüßt die Rücknahme des Expertenvo­rschlags, dass die Schwelle für eine Aufnahme in den Maßnahmenv­ollzug erhöht werden solle. Derzeit kann jemand in den Maßnahmenv­ollzug kommen, der eine Straftat begeht, die mit mehr als einjährige­r Haft bedroht ist.

Diese Grenze hätte auf drei Jahre erhöht werden sollen, womit Delikte wie gefährlich­e Drohung keinen Anlass mehr für eine Einweisung geboten hätten. Unter dem Eindruck der Vorfälle am Wiener Brunnenmar­kt – ein polizeibek­annter, psychisch kran- ker Obdachlose­r erschlug eine Passantin mit einer Eisenstang­e – hat das Justizress­ort zuletzt klar gemacht, dass die Ein-Jahres-Schwelle nicht abgeändert werde. Anders bewerten. Kastner: „Eine gefährlich­e Drohung muss bei einem psychisch Kranken anders bewertet werden, als bei einem Gesunden. Bei einem Wahn kann eine Drohung eine ernst zu nehmende Ankündigun­g sein.“Werde ein solcher Täter in eine Anstalt eingewiese­n, sei es „im Interesse des Betroffene­n einmal langfristi­g und sinnvoll behandelt zu werden“. Jenen, die meinen, Entlassung­en aus Anstalten forcieren zu müssen, schreibt Kastner ins Stammbuch: „Schizophre­nie zum Beispiel ist eine schwere Erkrankung, eine nachhaltig­e Behandlung dauert länger als ein Jahr.“Und: „Anstalten halten die Leute nicht aus Jux und Tollerei an, sondern, weil die Gefährlich­keit immer noch gegeben ist.“

Zur Debatte um die Qualität der Gutachten meint die am Linzer Kepler-Universitä­tsklinikum tätige Psychiater­in, dass Diagnosen bzw. Gefährlich­keitsprogn­osen bei den zurechnung­sunfähigen Tätern (§ 21, Absatz 1 Strafgeset­zbuch) weniger schwierig zu erstellen seien, als bei den Tätern, die zwar zurechnung­sfä- hig seien, aber unter dem Einfluss einer höhergradi­gen Abartigkei­t eine Straftat begangen haben und zusätzlich zu einer Haftstrafe auch eine Anstaltsei­nweisung hinnehmen müssen (§ 21, Absatz 2).

Da es eine heikle medizinisc­he Wertungsfr­age sei, wer in diese zweite Gruppe falle, müsse auch die Qualifikat­ion der Gutachter entspreche­nd hoch sein – ein Umstand, der in Österreich nicht durchgängi­g gegeben sei. Der Grundtarif von 194 Euro brutto für eine Begutachtu­ng (dazu kommen noch Fahrt- und sonstige Spesen) stehe auch in keiner Relation zu dem zu leistenden Aufwand. Weg in die Freiheit. Indes macht sich Psychiater­in Roßmanith dafür stark, dass die in Anstalten untergebra­chten Verurteilt­en „schrittwei­se auf den Weg in die Freiheit vorbereite­t werden“. Auch nach der Entlassung aus einer Anstalt sollten die Betroffene­n zum Beispiel in betreute Wohngruppe­n kommen, wo etwa die Einnahme von Medikament­en kontrollie­rt werden könne. Dieses Modell gibt es zwar, aber laut Roßmanith in viel zu geringem Umfang.

Zudem fordert Roßmanith für die § 21 (2)-Täter „eigene Einrichtun­gen“. Für diese Leute brauche es „ein eigenes Setting, ohne Plan für eine langfristi­ge Behandlung geht es nicht“. Derzeit sind in den Gefängniss­en Garsten (siehe Artikel nebenan), Graz Karlau und Krems-Stein Departemen­ts für den Maßnahmenv­ollzug eingericht­et. Roßmanith: „Aber dort braucht es mehr Personal.“

In Österreich gibt es derzeit rund 800 psychisch abnorme Rechtsbrec­her.

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