Wenn Postler zu Hausmeistern werden
Die heimische Post leidet unter dem Schwund des regulären Briefgeschäftes. Sie will künftig daher auch Facility-Management anbieten, um ihr Portfolio zu erweitern. Das ist kein Einzelfall. Auch die Deutsche Post, Medienunternehmen oder die Autokonzerne BM
Rund 787 Millionen Briefe transportierte die Österreichische Post im Jahr 2016 zu ihren Empfängern. Eine stattliche Zahl, aber deutlich weniger als nur wenige Jahre zuvor. Noch 2009 konnten die Postler mit über einer Milliarde Briefe um gut ein Viertel mehr Sendungen zustellen. E-Mails, SMS und eine grundsätzliche Veränderung der Kommunikation führen jedoch zu einer stetigen Erosion des ursprünglichen Geschäftsmodells der Post. Und auch die Zuwächse bei den versandten Paketen können diesen Niedergang nicht vollständig ausgleichen.
Der gelbe Riese sucht daher nach neuen Erlösquellen. Seit etwa zehn Jahren betreut die Post deshalb bereits Poststellen von anderen Unternehmen. Dieses Angebot soll nun ausgeweitet werden. Postler sollen sich künftig auch um das gesamte Facility-Management von Bürogebäuden kümmern. Die – teilweise noch beamteten – Mitarbeiter der Post werden dann anderswo WCs kontrollieren, Zähler ablesen und Glühbirnen tauschen, heißt es bei dem Unternehmen gegenüber der „Presse am Sonntag“. Mit der heimischen Dependance von Tchibo/Eduscho hat der teilstaatliche Konzern auch bereits einen ersten Großkunden gewonnen.
Bisher macht sich der jährliche Umsatz von zehn Millionen Euro aus diesem Angebot für andere Firmen noch verhältnismäßig klein aus. So erlöst die Post mit dem klassischen Briefgeschäft noch fast die 150fache Summe. Allerdings hat das Facility-Ma- nagement für das Unternehmen einen entscheidenden Vorteil: Es ist endlich wieder ein wachsendes Geschäft. Autofabrik Post. Dass die heimische Post mit ihrem Problem nicht allein ist, zeigt ein Blick über die Grenze nach Deutschland. Auch das dortige Pendant sucht ständig nach neuen Geschäftsmöglichkeiten, weil das Briefgeschäft mit einem Ablaufdatum versehen ist. So sorgte die Deutsche Post erst kürzlich mit der Ankündigung für Aufsehen, künftig unter die Autohersteller gehen zu wollen. Hintergrund ist das Start-up Streetscooter, das von der Deutschen Post 2014 übernommen wurde. Das Unternehmen stellt elektrisch betriebene Zustellfahrzeuge her, die von der Post bisher für den Eigengebrauch verwendet werden.
Da es jedoch immer wieder Anfragen von anderen Unternehmen gegeben habe, werde man die Fahrzeuge künftig auch verkaufen und sogar eine zweite Fabrik errichten, erklärte die Deutsche Post. 20.000 Elektroautos will sie so schon bald pro Jahr herstellen und auf die Straßen bringen. Schon heute liegt das Post-Fahrzeug bei den reinen Elektroautos auf Platz vier der deutschen Zulassungsstatistik. Mittelfristig sei auch eine Expansion in andere Länder geplant, denn gerade in Asien gebe es große Nachfrage. Vorstellbar seien zehn weltweit verteilte Fabriken mit einer jährlichen Produktion von 100.000 Autos. Die Deutsche Post wäre damit ein größerer Hersteller von Elektroautos, als es das US-Unternehmen Tesla heute ist.
Die Deutsche Post erweitert ihr Angebotsspektrum aber auch in anderen Bereichen. So wurde sie Anfang 2015 zum Reisebüro und bietet seither in Zusammenarbeit mit der heimischen Eurotours Pauschalreisen an. Dass sol-
Millionen Briefe
stellte die heimische Post im Vorjahr zu. Rund ein Viertel weniger als noch im Jahr 2009. Deshalb sucht sie nach neuen Geschäftsmodellen.
Tausend Elektroautos
will die Deutsche Post schon in naher Zukunft pro Jahr produzieren und zum Teil auch an andere Unternehmen verkaufen. Mittelfristig sei sogar eine globale Produktion von 100.000 PostAutos denkbar, heißt es. che Experimente nicht immer von Erfolg gekrönt sind, zeigt jedoch der gelbe Riese diesseits der Grenze. Die heimische Post startete bereits 2009 mit dem Verkauf von Reisen, in Kooperation mit TUI. 2012 wurde das Angebot jedoch wieder eingestellt. Es brachte einfach nicht den erhofften Erfolg. Start-ups. Aber nicht nur Briefzusteller sehen sich aufgrund von Rückgängen im konventionellen Geschäft nach neuen Erlösquellen um. Eine ähnliche Entwicklung trifft auch immer mehr Medienkonzerne. Die beiden deutschen Branchenriesen ProSiebenSat1 und Axel Springer („Bild“, „Welt“) setzen daher auf die Beteiligung an Startups. 2013 haben beide ihre eigenen Inkubatoren gegründet, also Unternehmen, die Start-ups gegen eine Beteiligung mit betriebswirtschaftlicher und juristischer Hilfe, Geld, Kontakten und Werbung unter die Arme greifen. ProSiebenSat1 hat sich seither an knapp 40 Start-ups beteiligt, Axel Springer sogar an mehr als 90. Neben weniger bekannten Namen befinden sich auch kleine Anteile an Airbnb und seit der vergangenen Woche Uber darunter.
Doch nicht immer müssen die neuen Aktivitäten einen kompletten Bruch mit dem bisherigen Geschäft darstellen. Manchmal sind sie auch schlicht eine Erweiterung des bisherigen Angebots. Ein Beispiel dafür sind die Autokonzerne BMW und Daimler. Sie reagierten in den vergangenen Jahren auf den Trend in vielen westlichen Großstädten, kein eigenes Auto mehr besitzen zu wollen. Beide Unternehmen bieten daher inzwischen Car-Sharing-Modelle an. Man sehe sich nicht mehr als Verkäufer von Autos, sondern als Anbieter von Mobilität, heißt es.
Ähnlich die Situation bei Navigationsgeräten. Diese sind heute fix im Auto verbaut oder eine SmartphoneApp. Für die Hersteller der tragbaren Geräte – etwa die Schweizer Firma Garmin oder die holländische Tomtom – ein großes Problem. Sie lösten es, indem sie sich neue Anwendungsgebiete für ihre GPS-Technologie suchten. Die Lösung war der Fitness- und Lauftrend der vergangenen Jahre. Beide Unternehmen sind inzwischen wichtige Spieler im stetig wachsenden Markt der elektronischen Lauf- und Sportuhren.
Sind das die Folgen des technologischen Wandels? Und bringt dieser derzeit mehr Firmen unter Druck als früher? Die Antwort ist „Nein“. Auch wenn die Digitalisierung ein großer Technologie-Sprung ist, gab es ähnliche Veränderungs-Wellen bereits früher. Und grundsätzlich ist der Zwang für Firmen, sich immer wieder neu zu erfinden, so alt wie die Wirtschaft selbst. Etliche der heute für bestimmte Produkte bekannten Konzerne haben ihre Reise in ganz anderen Branchen gestartet. Western Union etwa verschickte die längste Zeit nur Telegramme – 1929 waren es noch 200 Millionen. Das Telefon machte diesem Geschäft jedoch den Garaus, und das Unternehmen musste komplett umsatteln. Heute steht Western Union stellvertretend für globale Bargeldtransfers. American Express wiederum startete im 19. Jahrhundert als Lieferant von Aktien und Geldscheinen an die Siedler im Westen der USA. Erst nach Jahrzehnten begann Amex, selbst Schecks auszugeben, anstatt nur für andere zu transportieren.
Die Postler werden anderswo WCs kontrollieren, Zähler ablesen und Lampen tauschen. Shell importierte einst Muscheln. Geblieben ist davon nur das Logo.
Der heutige Ölmulti Shell wurde in den 1830er Jahren als Raritätengeschäft im Londoner West End geboren. Firmengründer Marvus Samuel importierte damals vor allem Muscheln aus dem Nahen Osten in die britische Metropole. Seine Söhne weiteten das Import- & Exportgeschäft aus, bis ihnen Ende des 19. Jahrhunderts der entscheidende Schritt gelang. Mitten im ersten Ölboom waren es die Samuels, die 1892 erstmals mit einem großen Öltanker den Suezkanal passieren konnten. Schlagartig hatte Shell seine Bestimmung