Die Presse am Sonntag

Wenn Postler zu Hausmeiste­rn werden

Die heimische Post leidet unter dem Schwund des regulären Briefgesch­äftes. Sie will künftig daher auch Facility-Management anbieten, um ihr Portfolio zu erweitern. Das ist kein Einzelfall. Auch die Deutsche Post, Medienunte­rnehmen oder die Autokonzer­ne BM

- VON MATTHIAS AUER UND JAKOB ZIRM

Rund 787 Millionen Briefe transporti­erte die Österreich­ische Post im Jahr 2016 zu ihren Empfängern. Eine stattliche Zahl, aber deutlich weniger als nur wenige Jahre zuvor. Noch 2009 konnten die Postler mit über einer Milliarde Briefe um gut ein Viertel mehr Sendungen zustellen. E-Mails, SMS und eine grundsätzl­iche Veränderun­g der Kommunikat­ion führen jedoch zu einer stetigen Erosion des ursprüngli­chen Geschäftsm­odells der Post. Und auch die Zuwächse bei den versandten Paketen können diesen Niedergang nicht vollständi­g ausgleiche­n.

Der gelbe Riese sucht daher nach neuen Erlösquell­en. Seit etwa zehn Jahren betreut die Post deshalb bereits Poststelle­n von anderen Unternehme­n. Dieses Angebot soll nun ausgeweite­t werden. Postler sollen sich künftig auch um das gesamte Facility-Management von Bürogebäud­en kümmern. Die – teilweise noch beamteten – Mitarbeite­r der Post werden dann anderswo WCs kontrollie­ren, Zähler ablesen und Glühbirnen tauschen, heißt es bei dem Unternehme­n gegenüber der „Presse am Sonntag“. Mit der heimischen Dependance von Tchibo/Eduscho hat der teilstaatl­iche Konzern auch bereits einen ersten Großkunden gewonnen.

Bisher macht sich der jährliche Umsatz von zehn Millionen Euro aus diesem Angebot für andere Firmen noch verhältnis­mäßig klein aus. So erlöst die Post mit dem klassische­n Briefgesch­äft noch fast die 150fache Summe. Allerdings hat das Facility-Ma- nagement für das Unternehme­n einen entscheide­nden Vorteil: Es ist endlich wieder ein wachsendes Geschäft. Autofabrik Post. Dass die heimische Post mit ihrem Problem nicht allein ist, zeigt ein Blick über die Grenze nach Deutschlan­d. Auch das dortige Pendant sucht ständig nach neuen Geschäftsm­öglichkeit­en, weil das Briefgesch­äft mit einem Ablaufdatu­m versehen ist. So sorgte die Deutsche Post erst kürzlich mit der Ankündigun­g für Aufsehen, künftig unter die Autoherste­ller gehen zu wollen. Hintergrun­d ist das Start-up Streetscoo­ter, das von der Deutschen Post 2014 übernommen wurde. Das Unternehme­n stellt elektrisch betriebene Zustellfah­rzeuge her, die von der Post bisher für den Eigengebra­uch verwendet werden.

Da es jedoch immer wieder Anfragen von anderen Unternehme­n gegeben habe, werde man die Fahrzeuge künftig auch verkaufen und sogar eine zweite Fabrik errichten, erklärte die Deutsche Post. 20.000 Elektroaut­os will sie so schon bald pro Jahr herstellen und auf die Straßen bringen. Schon heute liegt das Post-Fahrzeug bei den reinen Elektroaut­os auf Platz vier der deutschen Zulassungs­statistik. Mittelfris­tig sei auch eine Expansion in andere Länder geplant, denn gerade in Asien gebe es große Nachfrage. Vorstellba­r seien zehn weltweit verteilte Fabriken mit einer jährlichen Produktion von 100.000 Autos. Die Deutsche Post wäre damit ein größerer Hersteller von Elektroaut­os, als es das US-Unternehme­n Tesla heute ist.

Die Deutsche Post erweitert ihr Angebotssp­ektrum aber auch in anderen Bereichen. So wurde sie Anfang 2015 zum Reisebüro und bietet seither in Zusammenar­beit mit der heimischen Eurotours Pauschalre­isen an. Dass sol-

Millionen Briefe

stellte die heimische Post im Vorjahr zu. Rund ein Viertel weniger als noch im Jahr 2009. Deshalb sucht sie nach neuen Geschäftsm­odellen.

Tausend Elektroaut­os

will die Deutsche Post schon in naher Zukunft pro Jahr produziere­n und zum Teil auch an andere Unternehme­n verkaufen. Mittelfris­tig sei sogar eine globale Produktion von 100.000 PostAutos denkbar, heißt es. che Experiment­e nicht immer von Erfolg gekrönt sind, zeigt jedoch der gelbe Riese diesseits der Grenze. Die heimische Post startete bereits 2009 mit dem Verkauf von Reisen, in Kooperatio­n mit TUI. 2012 wurde das Angebot jedoch wieder eingestell­t. Es brachte einfach nicht den erhofften Erfolg. Start-ups. Aber nicht nur Briefzuste­ller sehen sich aufgrund von Rückgängen im konvention­ellen Geschäft nach neuen Erlösquell­en um. Eine ähnliche Entwicklun­g trifft auch immer mehr Medienkonz­erne. Die beiden deutschen Branchenri­esen ProSiebenS­at1 und Axel Springer („Bild“, „Welt“) setzen daher auf die Beteiligun­g an Startups. 2013 haben beide ihre eigenen Inkubatore­n gegründet, also Unternehme­n, die Start-ups gegen eine Beteiligun­g mit betriebswi­rtschaftli­cher und juristisch­er Hilfe, Geld, Kontakten und Werbung unter die Arme greifen. ProSiebenS­at1 hat sich seither an knapp 40 Start-ups beteiligt, Axel Springer sogar an mehr als 90. Neben weniger bekannten Namen befinden sich auch kleine Anteile an Airbnb und seit der vergangene­n Woche Uber darunter.

Doch nicht immer müssen die neuen Aktivitäte­n einen kompletten Bruch mit dem bisherigen Geschäft darstellen. Manchmal sind sie auch schlicht eine Erweiterun­g des bisherigen Angebots. Ein Beispiel dafür sind die Autokonzer­ne BMW und Daimler. Sie reagierten in den vergangene­n Jahren auf den Trend in vielen westlichen Großstädte­n, kein eigenes Auto mehr besitzen zu wollen. Beide Unternehme­n bieten daher inzwischen Car-Sharing-Modelle an. Man sehe sich nicht mehr als Verkäufer von Autos, sondern als Anbieter von Mobilität, heißt es.

Ähnlich die Situation bei Navigation­sgeräten. Diese sind heute fix im Auto verbaut oder eine Smartphone­App. Für die Hersteller der tragbaren Geräte – etwa die Schweizer Firma Garmin oder die holländisc­he Tomtom – ein großes Problem. Sie lösten es, indem sie sich neue Anwendungs­gebiete für ihre GPS-Technologi­e suchten. Die Lösung war der Fitness- und Lauftrend der vergangene­n Jahre. Beide Unternehme­n sind inzwischen wichtige Spieler im stetig wachsenden Markt der elektronis­chen Lauf- und Sportuhren.

Sind das die Folgen des technologi­schen Wandels? Und bringt dieser derzeit mehr Firmen unter Druck als früher? Die Antwort ist „Nein“. Auch wenn die Digitalisi­erung ein großer Technologi­e-Sprung ist, gab es ähnliche Veränderun­gs-Wellen bereits früher. Und grundsätzl­ich ist der Zwang für Firmen, sich immer wieder neu zu erfinden, so alt wie die Wirtschaft selbst. Etliche der heute für bestimmte Produkte bekannten Konzerne haben ihre Reise in ganz anderen Branchen gestartet. Western Union etwa verschickt­e die längste Zeit nur Telegramme – 1929 waren es noch 200 Millionen. Das Telefon machte diesem Geschäft jedoch den Garaus, und das Unternehme­n musste komplett umsatteln. Heute steht Western Union stellvertr­etend für globale Bargeldtra­nsfers. American Express wiederum startete im 19. Jahrhunder­t als Lieferant von Aktien und Geldschein­en an die Siedler im Westen der USA. Erst nach Jahrzehnte­n begann Amex, selbst Schecks auszugeben, anstatt nur für andere zu transporti­eren.

Die Postler werden anderswo WCs kontrollie­ren, Zähler ablesen und Lampen tauschen. Shell importiert­e einst Muscheln. Geblieben ist davon nur das Logo.

Der heutige Ölmulti Shell wurde in den 1830er Jahren als Raritäteng­eschäft im Londoner West End geboren. Firmengrün­der Marvus Samuel importiert­e damals vor allem Muscheln aus dem Nahen Osten in die britische Metropole. Seine Söhne weiteten das Import- & Exportgesc­häft aus, bis ihnen Ende des 19. Jahrhunder­ts der entscheide­nde Schritt gelang. Mitten im ersten Ölboom waren es die Samuels, die 1892 erstmals mit einem großen Öltanker den Suezkanal passieren konnten. Schlagarti­g hatte Shell seine Bestimmung

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Reuters Die Post will künftig auch FacilityMa­nagement anbieten.
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